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Sierens China: Keine Ausraster

Frank Sieren23. Juli 2015

Viele Beobachter hatten mit Sorge auf den chinesischen Immobilienmarkt geschaut. Doch nach Euphorie und Depressionen normalisiert sich der Immobiliensektor nun endlich, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China Wohnbauten in Yinchuan (Photo: Wang Peng)
Bild: picture-alliance/dpa/Photoshot

Nach den Börsen nun die Immobilien. Es hat etwas länger gedauert. Aber nun normalisiert sich auch der Immobilienmarkt, nachdem der Staat schon vor Monaten auch dort die Notbremse gezogen hat. Das Thema ist politisch viel brisanter als der Börseneinbruch, weil viel mehr Menschen davon betroffen sind und der Immobiliensektor ein wichtiger Sektor der chinesischen Volkswirtschaft ist. Er macht rund ein Drittel von Chinas Wirtschaftskraft aus.

Für viele Chinesen sind Immobilien die wichtigste Geldanlage. Extrem steigende und stark sinkende Preise machen ihnen daher Sorgen. Nun können sie sich erst einmal entspannen. Erstmals seit die Regierung vor knapp zwei Jahren durchgegriffen hat, steigen die Immobilienpreise wieder in über der Hälfte der 70 wichtigsten Städte des Landes. Im Mai stiegen die Preise in nur 29 Städten. Inzwischen sind es schon wieder 37. Für Juli wird der Wert voraussichtlich noch deutlich höher liegen.

Chinas wirtschaftliche Entwicklung uneinheitlich

Auch die Immobilienverkäufe normalisieren sich: zehn Prozent Wachstum im ersten Halbjahr dieses Jahres. Dafür ist vor allem der Monat Juni verantwortlich. In den ersten fünf Monaten waren es nur drei Prozent. Der Juni, der gleiche Monat also, in dem Chinas Börsen einbrachen, markiert das lang ersehnte Ende der 15-monatigen Immobilienkrise. Ob ein Zusammenhang zwischen der Börsenkorrektur und dem Immobilienaufschwung besteht, ist schwierig einzuschätzen. Wichtig ist jedoch: Chinas wirtschaftliche Entwicklung ist – anders als oft im Westen wahrgenommen – uneinheitlich. Es geht nicht etwa nur bergab.

Der Bausektor zieht wieder an, weil die Regierung die Zügel gelockert hat. Schon seit vergangenem Sommer ist es außer in Peking und Shanghai wieder einfacher, Immobilien zu kaufen und Baukredite zu bekommen. Der Grund: Es wurde zu wenig gebaut, nachdem die Regierung durchgegriffen hat. Die Stahl- und Zementpreise sind im Keller. Die Baumaschinenbestellungen stark zurückgegangen. Peking musste also gegensteuern. Inzwischen sind auch die Leerstände der Wohnungen stark gesunken. Waren es in der Spitze der staatlichen Eingriffe noch 18 Monate, sind Wohnungen jetzt im Schnitt nur noch acht Monate unbewohnt.

Vor allem Privatpersonen kaufen wieder Immobilien

Die Leerstände liegen allerdings nicht nur an der Immobilienkrise, sondern auch an der chinesische Sitte, Wohnungen leer stehen zu lassen. Die Besitzer wollen keinen Ärger mit Mietern. Sie begnügen sich damit, dass die Immobilie als Investition an Wert gewinnt. Maßnahmen der Regierung haben nun wieder mehr Privatpersonen motiviert, Immobilien zu kaufen. Von der jeweiligen Stadt und Region abhängig gibt es Rabatte von den Immobilienfirmen und Zuschläge vom Staat zwischen zehn und 50 Prozent.

Frank Sieren (Foto: Marc Tirl)
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Während im privaten Bereich die Erträge um knapp 13 Prozent zulegten, waren es bei Bürogebäuden und gewerblich genutzten Immobilien indes gerade einmal 1,2 und 1,8 Prozent. Für Unternehmen ist es weiter schwierig, Immobilienkredite zu bekommen. Sie sollen mit ihren Produkten Geld verdienen und nicht mit Immobilien. Die Zahl neuer Baustellen steigt zwar noch nicht, sinkt aber schon langsamer als im Vorjahr. Das ist der richtige Weg. Und er wird im Westen vor allem im Vergleich zur Börsenkrise viel zu wenig wahrgenommen.

Unaufgeregtheit würde Immobilienmarkt gut tun

Allerdings ist dies immer noch ein künstlich erzeugtes Hin und Her zwischen himmelhochjauchzend und tief betrübt. Erst reicht die Regierung Aufputschmittel, dann Antidepressiva gegen den Entzug. Immerhin gibt es die Medikamente und sie schlagen prompt an. Die im Westen befürchteten Ausraster hat es jedenfalls nicht gegeben. Doch normale marktwirtschaftliche Stimmungen sind das nicht. Chinas Immobilienmarkt sollte auf Dauer unaufgeregt zuversichtlich sein. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Denn die Chinesen sind, wie wir kürzlich an den Börsen sehen konnten, schnell euphorisch und gehen dann leichtfertig Risiken ein.

Dabei müssten nicht alle sofort investieren. Der Bauboom hat noch viel Luft nach oben: In China werden in den nächsten 15 Jahren geschätzte 230 Millionen Menschen vom Land in die Städte ziehen. Und Chinas Stadtbevölkerung, die jetzt schon rund 55 Prozent der 1,4 Milliarden Menschen ausmacht, wird auf über eine Milliarde wachsen. Das Problem bei so viel Luft nach oben ist jedoch: Wer früher investiert und zu günstigen Preisen einsteigt, wird schneller reich. Deshalb wird Chinas Regierung die Beruhigungsmittel noch eine Weile brauchen. Es wird noch eine Weile dauern, bis Chinas Immobilieninvestoren maßvoll werden und ihre vernünftigen, jährlichen Gewinne geduldig einstreichen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.