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Sierens China: Babyflop statt Babyboom

Frank Sieren23. Januar 2015

Nun dürfen die Chinesen mehr Kinder kriegen. Doch jetzt wollen sie nicht mehr, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Drei Generationen in Beijing (Foto: AFP/GettyImages)
Bild: PETER PARKS/AFP/Getty Images

30 Jahre lang war China von der Ein-Kind-Politik geprägt. Ein Paar konnte nur dann ein zweites Kind haben, wenn beide Partner selbst Einzelkinder waren. Anfang vergangenen Jahres wurde diese Regel zum ersten Mal gelockert. Seitdem dürfen Paare auch dann ein zweites Kind kriegen, wenn nur einer der beiden Partner ein Einzelkind ist. Doch es passiert nichts im Schlafzimmer. Diejenigen, die erwartet hatten, dass in China in den nächsten fünf Jahren acht Millionen Babys zur Welt kommen würden, lagen falsch.

Nur ein Jahr nach der Reform ist nun klar: Nicht nur, dass die Geburtenrate im letzten Jahr kaum angestiegen ist, sie bleibt auch noch weit hinter den realistischen Erwartungen zurück. So weit sogar, dass Chinas demografischer Ausblick immer noch genauso düster ist wie zuvor, weshalb diese Regelung überhaupt erst in Gang gebracht wurde. Die ersten Zahlen seit der Reform sind für Peking ernüchternd: Von elf Millionen Paaren, die durch die neue Regelung ein zweites Kind bekommen dürften, haben gerade einmal knapp eine Million die Erlaubnis auf mehr Nachwuchs beantragt. Die Regierung hatte sich doppelt so viele Anträge erhofft.

DW-Kolumnist Frank Sieren (Foto: DW)
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Sorge vor zu hohen Kosten

Und die Baby-Flaute kommt überraschend. Denn noch 2012 gaben 60 Prozent der Paare an, ein zweites Kind bekommen zu wollen, wenn es das Gesetz hergibt. Eine Umfrage ist aber eben nicht das reale Leben. Und zwei Jahre können in China eine Ewigkeit sein. Die rasende Verstädterung hat die Ansichten der modernen Chinesen verändert: Inzwischen wollen knapp 70 Prozent der Paare kein zweites Kind, weil die damit verbundenen Kosten zu hoch sind. Als zweiten Grund nannten die Familien die wenige Zeit, die ihnen bleibt, sich neben dem Job um noch ein weiteres Kind zu kümmern. Kosten und Karriere sind also mittlerweile wichtiger als Nachwuchs, sodass Chinas Geburtenrate von 1,5 Kindern pro Frau zu den niedrigsten der Welt gehören. Das dürfte uns bekannt vorkommen.

Wenn sich Chinas Demografie genauso weiterentwickelt, kann in 20 Jahren schon die gesamte Bevölkerung der USA durch Chinesen ersetzt werden, die älter als 60 Jahre sind. 400 Millionen wird die Zahl der über 60-Jährigen in China dann betragen, bislang sind es 171 Millionen. Das ebenso alternde Deutschland hat zurzeit immerhin noch einen Altersschnitt von 45 Jahren. Das verhältnismäßig junge China war 2010 im Schnitt 34,6 Jahre alt. Dieser ist in knapp fünf Jahren auf 36 Jahre gesprungen. Bald überholen uns die Chinesen nicht nur im Export, sondern auch wenn es um den Altersdurchschnitt der Bevölkerung geht.

Mehr Anreize seitens der Regierung notwendig

Was China aber schon jetzt belastet: Momentan verliert China jedes Jahr rund 3,5 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter. Geht das so weiter, fallen ab 2023 jährlich acht Millionen Arbeitskräfte weg. Bis 2040 würde die arbeitende Bevölkerung dann von 817 auf 696 Millionen schrumpfen. China braucht also dringend viele Babys, um dem entgegenwirken zu können. Doch um die Menschen zu locken, mehr Kinder bekommen zu wollen, muss nicht nur die Ein-Kind-Politik gelockert werden. Auch der Lebensstandard muss dann steigen. Die Menschen müssen mehr in der Tasche haben und weniger für die Versorgung ihrer Eltern und Kinder ausgeben müssen.

Pekings Reformen gehen also noch nicht weit genug. Es reicht nicht mehr nur, das zweite Kind zu legalisieren. Die Familienplanung muss zumindest in den Städten ähnlich wie in Deutschland aktiv vom Staat mit Kinder- und Elterngeld unterstützt werden. Das wird auf jeden Fall billiger, als wenn der chinesische Staat jetzt nicht eingreift.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.