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"Sieh einmal, hier steht er"

13. Juni 2009

Jedes Kind kennt den Struwwelpeter, kaum jemand aber dessen Schöpfer: Heinrich Hoffmann, ein aufrührerischer Arzt und Psychiater, wurde vor 200 Jahren in Frankfurt geboren.

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Der Struwwelpeter (Buchcover)
Heinrich Hoffmann: Der StruwwelpeterBild: dpa

Eigentlich war der Frankfurter Psychiater Heinrich Hoffmann im Winter 1844 nur auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für seinen dreijährigen Sohn Carl. Doch als er lediglich "alberne Bildersammlungen und moralische Geschichten" in den Läden fand, entschied er: "Da will ich dem Jungen schon selbst ein Bilderbuch herstellen!". So malte und schrieb Hoffmann bald in ein leeres Heft und begeisterte damit nicht nur den eigenen Sprössling, sondern auch erwachsene Freunde und Bekannte. Nur ein Jahr später kam das Werk auf den Markt, welches als außergewöhnlicher Klassiker weltweit in die Kinderbuchgeschichte eingehen sollte: "Der Struwwelpeter".

Heinrich Hoffmann
Bestseller StruwwelpeterBild: picture alliance / dpa

Das Buch, dessen 1500 Exemplare umfassende erste Auflage innerhalb eines Monats ausverkauft war, ist bis heute in über 40 Sprachen und bestimmt noch mal 70 deutsche Dialekte übersetzt worden. Aus Anlass seines 200. Geburtstages liegt das Werk des Psychiaters, der am 13. Juni 1809 in Frankfurt geboren wurde, nun bereits in der 546. Auflage vor. In Hoffmans Heimatstadt stehen darum der Struwwelpeter, Suppenkasper, der böse Friederich und Paulinchen in den kommenden Wochen im Rampenlicht: Zahlreiche Ausstellungen befassen sich mit Hoffmann und der Psychologie seiner erdachten Figuren - wie im eigens für die ungezogenen Gesellen geschaffenen Struwwelpeter-Museum sowie in einem alten Bürgerhaus im Frankfurter Westend.

"Skandalöses Werk"

Hoffmann, der sich im Erscheinungsjahr 1845 zunächst hinter den bizarren Pseudonymen Reimerich Kinderlieb und Heulalius von Heulenburg verbarg, erntete schon damals nicht nur Begeisterung. Entrüstet kritisierten engagierte Eltern und Pädagogen das Werk als skandalös, sei es doch gespickt mit schwarzer Pädagogik, die der zarten Kinderseele Schaden zufüge. Dabei hatte der Schöpfer des Kinderbuch-Klassikers, der als politisch liberal gesinnter Bürger Frankfurts galt und dem Vorparlament zur Paulskirchen-Versammlung von 1848 angehört hatte, keineswegs einen kruden Erziehungsratgeber kreieren wollen. Im Gegenteil: Ihm schwebten heitere Phantasie-Erzählungen vor - nicht zuletzt, um kleinen Patienten die Angst vor Doktor und Untersuchungsliege zu nehmen.

Paulinchen
Paulinchen entdeckt das FeuerzeugBild: ullstein bild

Brutales Märchen und Erziehungsratgeber

Der Autor rechtfertigte sich damals: Kindern nur "absolute Wahrheiten" zuzumuten, führe dazu, dass ebenjene Kinderseelen "elend verkümmern". Es seien nun mal die drastischen und brutalen Geschichten, die bei Sprösslingen Eindruck schinden - weil auch in ihrem eigenen Inneren schon manch unlieblicher Gedanke schlummert.

Auch heute gibt es mancherorts noch kritische Stimmen zur Geschichte des haarigen Gesellen - doch die meisten Experten bleiben gelassen, wenn es um Struwwelpeters Wirkung auf die jungen Leser geht: "Die große Mehrheit der Kinder kommt mit diesem Buch gut zurecht - möglicherweise ziehen sie etwas ganz anderes daraus als die Erwachsenen", sagt Hans-Heino Ewers vom Institut für Jugendbuchforschung.

Struwwelliese, Struwwelhitler, Anti-Struwwelpeter

Immer wieder griffen Autoren und Zeichner die von Hoffmann kreierten Figuren auf und schufen zahlreiche Parodien: etwa die APO-Fassung von 1969, die unter dem Titel "Der Struwwelpeter neu frisiert" die Große Koalition verspottete, F.K. Waechters "Anti-Struwwelpeter", in welchem autoritäre Eltern dumm dastehen oder die britische Propaganda-Variante "Struwwelhitler - a Nazi Story Book" aus dem Jahr 1941. Außerdem wurden Schreiliesel, Kleckerklaus und Struwwelliese geboren. Dazu gesellten sich solche chaotischen Staatsmänner wie "Swollenheaded William", gemeint war Wilhelm II., ein wahrer "Kriegsstruwwelpeter".

Brennende Pauline
Paulinchens Spiel mit dem Feuer endet böse

Revolutionär der Psychiatrie

Bei all dem Erfolg sah Hoffmann selbst seine eigentliche Lebensleistung darin, dass er die Frankfurter Psychiatrie - damals noch als Narrenhaus bekannt - modernisierte und den Neubau einer psychiatrischen Klinik vor den Toren der Stadt veranlasste. Hoffmann drückte seine Freude darüber in einem Satz aus, der seine damals noch als revolutionär geltenden Ideen deutlich widerspiegelt: "Hier heilen wir keine Menschen, sondern Krankheiten."

Autor: Ariane von Dewitz
Redaktion: Sabine Oelze