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Zweifel an unabhängigen Ermittlungen

Mikhail Bushuev9. März 2015

Trotz des Geständnisses eines Verdächtigen hält Jens Siegert von der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau den Mord an Kremlkritiker Boris Nemzow noch nicht für aufgeklärt. Im DW-Interview weist er auf Widersprüche hin.

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Foto des ermordeten Nemzows mit Trauerflor inmitten von Blumen, Foto von Picture alliance
Bild: picture alliance

Deutsche Welle: Nach dem Geständnis eines Verdächtigen scheint der Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow so weit aufgeklärt. Welchen Eindruck macht die Wendung dieses Dramas auf Sie?

Jens Siegert: Ich glaube an gar nichts, wenn es keine Beweise gibt. Es gibt zwar ein Geständnis, aber mir scheint es zumindest bisher nicht bewiesen, dass das wirklich diese Tschetschenen gewesen sind. Es gibt noch viele Widersprüche im Tathergang: Zum Beispiel, warum dieser Mord unter den Augen des Kremls passieren konnte, an einem Ort, wo alles rund um die Uhr sehr genau mit vielen Kameras und Geheimdienstleuten beobachtet wird. Deswegen bin ich nicht überzeugt davon, dass diejenigen fünf Personen aus Tschetschenien, die jetzt festgenommen worden sind, das auch getan haben. Auch das Motiv, dass sie sich von Boris Nemzow beleidigt gefühlt haben in Bezug auf die Karikaturen des französischen Magazins "Charlie Hebdo", ist sehr fragwürdig. Es gibt viele andere Leute, die sich viel schärfer als Boris Nemzow dazu geäußert haben - er war eigentlich sogar sehr zurückhaltend. Deswegen bin ich nicht davon überzeugt, dass das Verbrechen schon aufgeklärt ist.

Ramsan Kadyrow, Präsident der Republik Tschetschenien (Anm. d. Red.: die zur Russischen Föderation gehört), hat erklärt, er kenne den angeblichen Mörder als wahren Patrioten, der nichts gegen Russland und seine Interessen tun würde. Klingt das nicht wie eine Verantwortungsübernahme?

Eine Verantwortung hat Kadyrow sowieso, weil der Verdächtige in einer tschetschenischen Polizeieinheit, dem sogenannten Bataillon "Sever" dient, die praktisch so etwas wie die Leibgarde von Kadyrow ist. Und Kadyrow kennt sicherlich diesen Mann, weil er einer der höheren Offiziere in dieser Leibgarde ist. Wenn es dieser Mann gewesen sein sollte - woran ich immer noch zweifle - stellt sich natürlich die Frage, inwieweit Kadyrow darin einbezogen ist, inwieweit er seine Leute kontrolliert und welche Verantwortung er hat.

Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung (Foto: dpa)
Siegert: "Ich glaube an gar nichts, wenn es keine Beweise gibt"Bild: Heinrich Böll Stiftung/Andrea Kroth

Putin hat am Montag auch noch einen Staatsorden an Kadyrow verliehen. Ist es vor dem Hintergrund des Mordes und der Verwicklung eines Kadyrow-Vertrauten eine demonstrative Geste, um ihm den Rücken zu stärken?

Kadyrow ist neben Putin der unabhängigste Politiker in Russland. Er kann praktisch alles machen, was er will. Das ist eine Art gegenseitige Erpressung zwischen den beiden. Auf der einen Seite bezahlt der russische Staat alles, was in Tschetschenien passiert, unter anderem auch persönlichen Reichtum von Kadyrow. Auf der anderen Seite gibt es in Tschetschenien niemand anderen mehr, der was zu sagen hat, außer ihm - auch nicht föderale Politiker. Insofern ist es ein Tandem aus Putin und Kadyrow, die ohne einander gar nicht können.

Kann man aber darauf hoffen, dass die Ermittlung es zulässt, die Wahrheit über den Mord an Boris Nemzow zu erfahren?

Ich bin nicht davon überzeugt, dass das, was uns jetzt präsentiert wird, eine Antwort darauf ist, wer tatsächlich diesen Mord ausgeführt hat. Andere Antworten sind darauf gegeben worden: Es könnten Leute aus der Umgebung Putins gewesen sein, die ihn dazu drängen wollen, nicht zu sehr mit dem Westen zu einem Kompromiss zu kommen. Oder Leute, die aus dem Donbass zurückgekommen sind. Es gibt auch andere Versionen. Und das Problem ist, dass nicht nur ich so skeptisch gegenüber den sogenannten Ermittlungsergebnissen bin, sondern das gilt für die allermeisten Menschen in Russland - auch für viele, die Nemzow nicht gemocht haben und Putin unterstützen. Kaum jemand glaubt, dass die Untersuchungsorgane den Mord unabhängig ermitteln, sondern alle sind davon überzeugt, dass sie politisch engagiert sind und das Ergebnis der Ermittlung am Ende das Resultat einer politischen Entscheidung ist - und nicht das einer unabhängigen Entwicklung.

Wie beeinflusst diese Geschichte das Image Russlands?

Wir sehen schon jetzt, dass sein Image durch die Annexion der Krim, die Intervention in der Ostukraine und eine militärische Unterstützung der dortigen Rebellen sehr stark gesunken ist. Dass jetzt in Moskau, vor den Toren des Kremls, bekannte Politiker ermordet werden können, wird weiterhin schlechte Auswirkungen auf das Image Russlands haben. Die neuesten Umfragen in Deutschland zeigen das schon.

Jens Siegert leitet das Moskauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung.

Das Interview führte Mikhail Bushuev.