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Sich leicht nehmen

30. Juni 2012

Von Pater Gerhard Eberts, Augsburg

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Pater Gerhard Eberts MSF (Missionar von der Heiligen Familie), Augsburg
Pater Gerhard EbertsBild: Gerhard Eberts

Kennen Sie die Geschichte vom Gewichtheber?

Die Kinderbuchautorin Ursula Wölfel hat sie geschrieben. Ein Gewichtheber fuhr im Urlaub an die See. Aber er langweilte sich sehr. Hier gab es nirgendwo einen anderen Gewichtheber. Wem sollte er zeigen, dass er stärker war? Im Vorbeigehen stemmte er ein paar Strandkörbe mit den Leuten darin. Aber die beschwerten sich beim Strandwächter. Ärgerlich sprang der Gewichtheber ins Meer und stemmte ein Motorboot, Er hatte Pech. Das Boot gehörte der Hafenpolizei und der starke Mann musste eine Strafe bezahlen. Dafür wollte er sich rächen. Er stemmte eine Andenkenbude, einen Reisebus und die ganze Kurkapelle mitsamt dem Klavier. Natürlich wurde ihm auch das sofort verboten. Er kochte vor Wut und schrie: „Dann stemme ich mich selbst. Das kann mir keiner verbieten!“ Er legte die Hände unter die Füße und holte tief Luft. Seine Muskeln schwollen gewaltig und die Adern an seinem Hals wurden dick wie Schiffstaue. Dann stemmte er sich zwei Meter hoch und hielt sich eine Stunde und dreiundvierzig Minuten oben. „Bravo!“, riefen die Leute und klatschten. Auch die Männer von der Hafenpolizei und der Strandwächter waren begeistert, und die Kurkapelle spielte einen Tusch.“

Möchten Sie das nicht auch manchmal? Die Schwerkraft aufheben? Das Drückende und Belastende abwerfen? Es gibt ja für jeden von uns Tage, an denen uns gleichsam alles nach unten zieht, Tage, an denen uns der notwendige Schwung und die Entschlossenheit fehlen.

Gott sei Dank gibt es neben den schweren Tagen auch andere Tage. Tage, an denen vieles gelingt. Tage, an denen man sich leicht fühlt und wie abgehoben von der Erde. Solche Tage haben dann durchaus auch ihre Anspannung und Mühe. Aber sie machen uns nichts aus. Das ist wie bei einer anstrengenden Bergtour: Man sinkt abends müde, aber zufrieden ins Bett. Übrigens: Bewegung an der frischen Luft, der Aufenthalt in der Natur und körperlichen Anstrengung tragen viel dazu bei, sich leicht zu nehmen. 

Eine andere Möglichkeit, sich selber in die Luft zu stemmen, besteht darin, jeden Tag positiv zu beginnen. Jeden Tag ein freundliches Wort, jeden Tag eine gute Tat, jeden Tag einmal oder mehrmals lachen, dann fühlen wir uns wie ein Gewichtheber, der sich selber in die Höhe stemmt.Um aus dem Schweren, das Leben nach unten Ziehende herauszukommen, hilft mir das Gebet. Oft ist es auch ein Wort der Bibel.

Jetzt ist Sommer. Der Sommer lädt uns dazu ein, darauf zu vertrauen dass das Gesäte und Gepflanzte aufgeht und Frucht bringt, ohne sich ständig sorgen zu müssen.

Manche legen vielleicht Widerspruch ein. Eltern oder Erzieher, die enttäuscht sind, wie wenig von dem wächst, was sie gesät haben. Wir haben den Boden für ein religiöses Leben vorbereitet, sagen sie. Aber dieser Boden ist ausgetrocknet und die Saat verkümmert. Wir haben uns bemüht, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft zu vermitteln, aber gewachsen sind Egoismus und Gleichgültigkeit.

Solche Klagen sind ernst zu nehmen. Aber sie dürfen uns nicht daran hindern, mit Jesu Worten zu raten: „Lasst alles wachsen bis zur Ernte!“ Wir dürfen das Wichtigste nicht aufgeben, was wir zu verschenken haben: Vertrauen. Wer Vertrauen hat, versteht, was Jesus mit den Worten meint: „Sorget nicht ängstlich!“ und „Betrachtet die Blumen des Feldes. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ Damit wird nicht der Gleichgültigkeit das Wort geredet, sondern es wird um Gelassenheit geworben.

Wir dürfen ernten, wo wir nicht gesät haben: Früchte der Zuneigung, des Friedens, der Freude, der Gemeinschaft. Es wachsen im Sommer Kontakte mit Menschen, mit denen man für gewöhnlich nicht zusammen kommt. Beispielsweise im Urlaub. Das so angestrengt diskutierte Thema der Fremden zuhause und die Auseinandersetzung mit dem Exotischen werden unerwartet zu einem Geschenk. Aus dem, was im Alltag manchmal als Bedrohung empfunden wird, wird unerwartet eine Bereicherung. Vorausgesetzt wir nehmen das Leben nicht zu schwer. Als Rezept gegen alle Schwerfälligkeit empfiehlt der heilige Augustinus: „Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen.“