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Zwei Genies, ein Todestag

Julius Schmitt23. April 2016

William Shakespeare und Miguel de Cervantes teilen sich den 400. Todestag. Doch die beiden großen Schriftsteller der englischen und spanischen Literatur starben trotzdem nicht am selben Tag.

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Bildkombo Shakespeare und Cervantes (Foto: Wikipedia)
William Shakespeare und Miguel de CervantesBild: gemeinfrei

Vorneweg: William Shakespeare und Miguel de Cervantes haben nicht viel gemeinsam. Sie lebten zwar zur gleichen Zeit, prägten nachfolgende Generationen und gelten bis heute als geniale Virtuosen im Umgang mit Feder und Papier, doch das Leben hat ihnen unterschiedliche Steine in den Weg gelegt. Bei Cervantes waren die Brocken sicherlich größer, als bei Shakespeare.

Während William Shakespeare 1564 im englischen Stratford-upon-Avon zur Welt kommt, wird Miguel de Cervantes 17 Jahre vorher im spanischen Alcalá de Henares, in der Nähe von Madrid geboren. Shakespeare besucht vermutlich die renommierte Lateinschule in seiner Heimatstadt und lernt dort die Grundlagen für Rhetorik und Poetik. Cervantes kommt aus einer verarmten Adelsfamilie und studiert Theologie an der Universität Salamanca.

Frühe Jahre der beiden Schriftsteller

Insgesamt führt Miguel de Cervantes ein sehr abenteuerliches Leben. Er zieht 1569 nach Italien, anscheinend auf der Flucht vor der spanischen Justiz. In Rom schließt er sich dem Kardinal Giulio Acquaviva als Kammerdiener an. Noch im gleichen Jahr tritt der 22-jährige Cervantes in eine in Neapel stationierten Einheit der spanischen Marine ein. Schließlich gerät er in die Seeschlacht von Lepanto (1571) gegen das Osmanische Reich. In der Schlacht wird er zwei Mal von Geschossen in die Brust getroffen und eine weitere Kugel verstümmelt seine linke Hand, in der nie wieder Gefühl haben wird. Daher stammt auch sein Beiname "der Einhändige von Lepanto" (Original: el manco de Lepanto).

Originalgetreuer Nachbau des Tageslicht-Theaters von William Shakespeare - Globe Theatre in London
Originalgetreuer Nachbau des Tageslicht-Theaters von William Shakespeare - Globe Theatre in LondonBild: picture-alliance / dpa

William Shakespeare dagegen besucht nie eine Universität. Für etwa sieben Jahre verliert sich die dokumentarische Spur des jungen Mannes. Erst 1592 - da ist er 28 Jahre alt - taucht er wieder auf. Der Schriftsteller Robert Green bezeichnet ihn in einem Dokument als Emporkömmling. Forscher schließen daraus, dass Shakespeare es bis zu diesem Zeitpunkt schon zu einer gewissen Bekanntheit geschafft hat. Er ist bereits Mitglied der renommierten Schauspielertruppe "Chamberlain's men", die später unter König Jakob I. in "King´s men" umbenannt wird.

Geschäftsmann und Soldat

Fortan sorgt Shakespeare mit seinen Theateraufführungen, seinen Stücken und Novellen für Furore. Der ältere Miguel de Cervantes dagegen wird zusammen mit seinem Bruder auf seiner Heimreise von algerischen Seeräubern überfallen und von diesen gefangen genommen. Von 1575 bis 1580 ist er Sklave des Deys von Algier, also des Statthalters des osmanischen Sultans.

Cervantes Vater gibt sein gesamtes Vermögen, die Schwester ihre Mitgift als Lösegeld – freigelassen wird aber nur Miguels Bruder. Erst nach vier erfolglosen Fluchtversuchen schaffte es der Trinitarierorden 1580 Cervantes freizukaufen. Es heißt, dass der Freigekaufte nur deshalb die Fluchtversuche überlebte, weil er den Deyvon Algier mit seinem Mut beeindruckte. Dieser erhoffte sich ein hohes Lösegeld für ihn.

Miguel de Cervantes' Zuflucht in Algier, (Foto: picture-alliance/dpa/M. Ostos)
Miguel de Cervantes Zuflucht in AlgierBild: picture-alliance/dpa/M. Ostos

Seine Erfahrungen in der Gefangenschaft verarbeitet Cervantes in seinem ersten Theaterstück "Los Tratos de Argel", das allerdings in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Wegen seines anhaltenden Misserfolges und seiner Geldknappheit verpflichtete sich der Spanier von 1580 bis 1583 wieder als Soldat. Im Gegensatz zu Shakespeare kann Cervantes Zeit seines Lebens nicht von der Literatur leben. Sein englischer Zeitgenosse ist schon zu Lebzeiten ein sehr erfolgreicher Schriftsteller und Geschäftsmann. Shakespeare wird Teilhaber des Globe Theatre und später auch beim überdachten und exklusiveren Blackfriars Theatre. Als Mitbesitzer der Theater erlangt Shakespeare ein beträchtliches Vermögen. So kann er sich in seiner Geburtsstadt Stratford das zweitgrößte Haus leisten.

Cervantes dagegen arbeitet vorübergehend als Aufkäufer und Lieferant der spanischen Kriegsflotte. Doch landet er wegen misslungener Geschäfte abermals 1597/98 und 1602 im Gefängnis. In seiner Gefangenschaft beginnt Cervantes mit seinem literarischen Meisterstück Don Quijote (original: El ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha, deutsch: Der sinnreiche Junker Don Quijote von La Mancha).

Don Quijote – das beste Buch der Welt

1605 veröffentlicht Cervantes den ersten Band von Don Quijote, 1615 publiziert er den zweiten Band. Auch wenn Don Quijote direkt ein Erfolg wird, bleibt das eingenommene Geld bei dem Verleger und den Nachdruckern. Cervantes veräußert die gesamten Rechte für eine unbekannte Summe an seinen Verleger.

Don Quijote parodiert die damals sehr beliebten Ritterromane und wurde 2002 von 100 bekannten Schriftstellern zum "besten Buch der Welt" gewählt. Organisiert wurde diese Wahl vom Nobelinstitut. In der Literaturgeschichte des Abendlandes wird der Roman als Geburt der Gattung "Roman" angesehen. Allerdings gibt es vielfältige Interpretationen zu diesem Werk. Bis heute sind sich die Kritiker nicht einig, welche eigentliche Aussage in dem Roman steckt und welche Zielgruppe er anvisiert.

Skulptur von Don Quijote und Sancho Pansa vor dem Geburtshaus von Miguel des Cervantes in Alcalá de Henares (Foto: Turespana Berlin)
Skulptur von Don Quijote und Sancho Pansa vor dem Geburtshaus von Miguel des Cervantes in Alcalá de HenaresBild: Turespana Berlin

Trotz der geografischen Distanz und der konträren Biografien von Cervantes und Shakespeare thematisieren beide in ihren Werken die Frage: Was ist Wirklichkeit und was ist Traum? Sie rücken beide den Konflikt zwischen Ideal und Realität in den Mittelpunkt und lieben das Spiel mit der Zweideutigkeit. So lässt Cervantes bei Don Quijote den Leser im Zweifel, ob dieser nun ein lächerlicher Harlekin oder ein versunkener Idealist ist. In Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" zum Beispiel (original: A Midsummer Night’s Dream) ist es ein Spiel der Illusion, in der von Wahrheit zur Lüge und wieder zurück gewechselt wird.

Zeremonie und Massengrab

Shakespeare zieht wenige Jahre vor seinem Tod von London in seine Geburtsstadt Stratford zurück. Bisher ging man davon aus, dass beide am 23. April 1616 starben. Allerdings gilt in Spanien der 22. April als Cervantes' Todestag. Die Annahme, er sei am 23. April gestorben, ging darauf zurück, dass er an diesem Tag begraben wurde. Die Urkunde der Bestattung trägt dieses Datum; sie ist das einzige historische Dokument von seinem Tod. Die Biografen meinen jedoch mittlerweile, dass Cervantes in der Nacht zuvor gestorben ist.

Während Shakespeare in Stratfords Holy Trinity Chruch beigesetzt wird, verschwinden Cervantes Gebeine in einem Massengrab. Erst Anfang 2015 konnten die Knochen von Cervantes identifiziert werden. Durch die Initialen M.C. auf dem Sarg - der allerdings mehrere Leichen beinhaltete - und den bekannten Verletzungen an Hand und Brust konnte so eine Zuordnung ermöglicht werden.

Trotz des gleichen Todestages starb Cervantes zehn Tage früher, als sein englischer Zeitgenosse. Grund dafür war damals die unterschiedliche Kalenderrechnung in England und Spanien. England rechnete damals noch mit dem julianischen Kalender von Julius Cesar, während Spanien schon auf den gregorianischen Kalender umgestiegen war.