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Hoffnung auf UN-Gericht

25. September 2008

Serbien will die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo durch den Internationalen Gerichtshof klären lassen. Dafür braucht es die Unterstützung der Vereinten Nationen.

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Spielball im Feld der UNBild: AP

Serbien will die UNO-Vollversammlung davon überzeugen, dass die Unabhängigkeit des Kosovo unrechtmäßig war. Doch ob es die nötigen Stimmen für ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) bekommt, ist unklar. Um ihr Anliegen durchzusetzen, braucht die serbische Regierung mindestens 97 Stimmen – die einfache Mehrheit der UNO-Vollversammlung. Nur dann kann sie den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag beauftragen, ein Gutachten zu erstellen zu der Frage: Ist die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo legal?

Die Aussichten für das Vorhaben stehen allerdings nicht allzu gut, meint Christian Tomuschat, Professor für Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität: „Ich kann mir vorstellen, dass viele Länder kein Interesse haben, die Frage vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen.“ Dabei denkt Tomuschat auch an Russland, das wegen der Georgien-Affäre wohl kaum ein Interesse hätte, solche Fragen gerichtlich klären zu lassen.

Win-Win-Situation für Serbien

Franz-Lothar Altmann, Balkanexperte aus München, meint, dass die Belgrader Regierung nichts zu verlieren habe, selbst wenn sie bei den Vereinten Nationen keine Unterstützung finde. Es sei für Serbien eine Win-Win-Situation. „Serbien kann dann innenpolitisch sagen: ‚Wir haben alles versucht, was möglich war. Aber es ist ja klar, dass die Staaten, die Kosovo bereits anerkannt haben, diese Anerkennung nicht mehr zurückziehen’“, so Altmann.

Falls der IGH allerdings den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens bekommt, rechnet Völkerrechtsexperte Tomuschat damit, dass das Gericht diesen Auftrag auch durchführt. Noch nie hat der IGH die Erstellung eines Gutachtens abgelehnt, auch nicht in anderen politisch brisanten Fällen: „Als die Generalversammlung etwas über den Bau der Trennmauer in Palästina wissen wollte, da hatten viele Staaten den IGH aufgefordert, das Gutachten abzulehnen. Das hat der IGH nicht getan. Er würde so etwas auch nur aus ganz schwerwiegenden Gründen tun“, meint Tomuschat.

Fragestellung unklar

Allerdings ist noch unklar, worüber der IGH letztlich befinden kann. Denn das hängt vor allem von der Fragestellung ab. Und diese muss die UNO-Generalversammlung zunächst in ihrem juristischen Unterausschuss formulieren, der am 6. Oktober seine Arbeit aufnimmt: „Da wird es noch einen großen Kampf geben.“ Oft würden bei solchen Anfragen gerade die kritischen Punkte ausgeklammert, bedauert Tomuschat und fügt hinzu: „Dann hat der Gerichtshof gar nicht die Möglichkeit, sich zum eigentlichen Schwerpunkt zu äußern.“ Sollte aber die Generalversammlung die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Sezession des Kosovo stellen, könnte sich der IGH auch dazu äußern: „Es gibt keine rechtlichen Fragen, die außerhalb seiner Jurisdiktion liegen würden. Er kann sich über alle Rechtsfragen äußern – aber natürlich nicht über politische Fragen.“

Indessen könnten weder der IGH noch die UN darüber entscheiden, ob ein Staat souverän ist oder nicht. Altmann betont: „Die Unabhängigkeit eines Staates kann nur durch die Anerkennung einzelner Staaten festgestellt werden. Aber die Generalversammlung kann darüber entscheiden, ob ein Staat als UNO-Mitglied aufgenommen wird. Der Gerichtshof entscheidet nur über Streitigkeiten, die das Völkerrecht berühren. Hier ist im Bereich der Anerkennung noch keine einheitliche Meinung zu sehen, ob eine Sezession rechtens ist oder nicht.“

Vergleiche zwischen Georgien und Kosovo

Hierbei ist vor allem die Frage relevant, ob die Unverletzlichkeit der Grenzen Vorrang hat oder ob schwerwiegende Verletzungen von Menschen- und Minderheitenrechten eine Unabhängigkeit rechtfertigen können. Gerade deshalb hält Altmann den Fall des Kosovo und den Georgiens auch für unvergleichbar. Im Kosovo habe man über die Jahre versucht, ein Nebeneinander oder Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen wiederherzustellen und die Flüchtlingsrückkehr zu organisieren. „Man hat die Regierung dazu gebracht, Standards in Bezug auf Minderheiten- und Menschenrechte zu erfüllen, die absolut notwendig sind. All das ist in Südossetien und Abchasien nicht passiert“, sagt Altmann.

Dennoch rechnet Altmann damit, dass Kosovo und Georgien auch auf der Generalversammlung in einem Atemzug genannt werden. Schon allein deshalb, weil Russland sich stets als Verfechter der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Nichtzulassung von Sezessionen aufgespielt habe – als großer Wahrer des Völkerrechts. Doch plötzlich tue es genau das Gegenteil von dem, was es dauernd verlange. „Hier ist die Glaubwürdigkeit eines Befürworters der serbischen Position sehr in Frage gestellt. Auch in Belgrad ist man sehr verunsichert über die Position Russlands“, sagt Altmann.

Fabian Schmidt