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Serbien/Bosnien: Bricht ein Film Tabus?

9. März 2006

Seit vergangener Woche läuft der Gewinnerfilm des diesjährigen Goldenen Bären auf der Berlinale auch in Sarajewo. Dort füllt er die Kinos. Auch in Belgrad wird er seit Anfang der Woche gezeigt. Doch nicht in Banja Luka.

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Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung nach VergewaltigungBild: Berlinale

Grbavica, so der Titel des Films, hat die höchste Auszeichnung der Berlinale erhalten. Das Drama der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic erzählt vom Leid der im Balkankrieg vergewaltigten Frauen. Seit der Film in den Kinos der bosnischen Hauptstadt Sarajewo zu sehen ist, sind die Säle voll. Am Montag (6.3.) war auch in Belgrad Premiere. Allein in der der bosnischen Serbienrepublik, in Banja Luka, wird der Film nicht gezeigt.

Dem Direktor des offiziellen Filmvertriebs in Banja Luka, Vladimir Ljevar, zufolge, wird Grbavica aus rein kommerziellen Gründen in der Republika Srpska nicht vorgeführt. "Wir werden den Film Grbavica nicht zeigen, weil wir festgestellt haben, dass dieser Film keine ausreichend hohe Zuschauerzahl anziehen wird. Dementsprechend haben wir gehandelt. Es steckt keine Politik oder sonst etwas dahinter", erklärte Ljevar. Unklar ist indes, warum sich die Entschätzung des Filmvertriebs in Banja Luka so von der ihrer Kollegen in Sarajewo oder Belgrad unterscheidet. Vielleicht ist der Grund dafür doch die äußerst negative Reaktion, die dieser Film bei den Bürger in der Republika Srpska und Banja Luka hervorgerufen hat, auch wenn die meisten ihn noch nicht gesehen haben.

Vorher - nachher

Vor der Berlinale galt der Film auch in serbischen Medien als anti-serbisch, weil einseitig Vergewaltigungen während der Kriegsjahre thematisiert worden seien. Doch seitdem Grbavica in Belgrad vorgeführt wird, hat sich die Einstellung zu dem Werk drastisch geändert. Natürlich nicht in nationalistischen Kreisen - sei es in der Politik oder der Kultur. Aber nicht einmal Kritiker negieren die Grundaussage des Films – den Kampf gegen Gewalt.

Zweifelsohne eröffnet dieser Film die Debatte darüber, was noch immer als Tabu gilt: das Schicksal der Mädchen und Frauen, die während des Krieges in Bosnien-Herzegowina vergewaltigt und sexuell missbraucht wurden. Auch wenn Daten beweisen, dass die meisten vergewaltigten Frauen Bosniakinnen waren, die von Serben gefangen gehalten wurden, bezeichnet immer noch ein Teil der Bevölkerung in Serbien und der Republika Srpska diesen Film als "bosniakische Propaganda" und akzeptiert nicht, dass diese und weitere Kriegsverbrechen geschehen sind.

Mirjana Karanovic, die Hauptdarstellerin in Grbavica, sagt DW-RADIO nach der Premiere in Belgrad ihre Meinung zu den Gegnern des Films: "Das sind Leute, die die Opfer in ,unsere’ und ,ihre’ teilen. Doch dort, wo die Toten jetzt sind, gibt es nicht mein und dein – sie sind einfach nur tot. Und die vergewaltigten Frauen sind ruiniert und ihre ethnische Zugehörigkeit bedeutet ihnen nichts."

G. Milosevic, Banja Luka, E. Stitkovac, Z. Bojovic, Belgrad
DW-RADIO/Bosnisch, DW-RADIO/Serbisch, 8.3.2006, Fokus Ost-Südost