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Serben fordern Schadensersatz von Deutschland

Steffen Gassel16. Oktober 2003

Vor vier Jahren bombardierte die NATO den serbischen Ort Varvarin. Dabei starben zehn Zivilisten, 17 wurden verletzt. Ihre Angehörigen verlangen nun Schadensersatz von Deutschland. Ein Gericht soll entscheiden.

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Schauplatz eines NATO-"Unfalls": Reste der Brücke von VarvarinBild: AP

Die Kläger sind 35 Bürger der Republik Jugoslawien - allesamt Opfer oder Angehörige von Opfern eines NATO-Luftangriffs im Jahre 1999. Für diese Opfer fordern sie vor dem Bonner Landgericht von der Bundesrepublik Deutschland 3,5 Millionen Euro Schadensersatz. Es ist das erste Mal, dass gegen die heutige Bundesrepublik wegen eines Kriegs, an dem sie selbst beteiligt war, Klage erhoben wird.

Piloten bleiben geheim

Hintergrund sind die Ereignisse vom 30. Mai 1999: An diesem sonnigen Sonntag feierten die Bürger der serbischen Kleinstadt Varvarin das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit. Es war Markttag und die Straßen waren überfüllt. Um kurz nach ein Uhr donnerten plötzlich NATO-Jets über den Ort und beschossen ein Brücke über den Fluss Morava. Eine Vorwarnung hatte es nicht gegeben. Bei dem Bombardement starben 10 Menschen, 17 wurden schwer verletzt. Alle Opfer waren Zivilisten. Wie es zu diesem Angriff kommen konnte und wer am Steuer der Flugzeuge saß, ist immer noch nicht geklärt.

Drei der Kläger waren zum Prozessbeginn am Mittwoch (15.10.2003) aus Serbien nach Bonn gekommen, darunter Zoran Milenkovic, der Bürgermeister von Varvarin. Seine 15 Jahre alte Tochter Sanja kam beim Angriff auf die Brücke ums Leben. Er sagt: "Wir erwarten, dass das deutsche Gericht die richtige Entscheidung treffen wird und dass die Nato verurteilt wird für das, was am 30. Mai 1999 passiert ist."

Zu entscheiden haben die Richter nun folgende Frage: Bestehen wegen des NATO-Angriffs auf die Brücke von Varvarin rechtmäßige Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland - oder nicht?

Bedauerlicher Unfall

Der Vertreter des deutschen Verteidigungsministeriums sprach den Opfern vor Gericht im Namen der Bundesregierung sein Mitgefühl aus. Die NATO habe alles unternommen, um zivile Opfer zu vermeiden. Der Angriff auf Varvarin sei ein bedauerlicher Unfall gewesen.

Individuelle Ansprüche der Opfer auf Schadensersatz will Deutschland indes nicht anerkennen. Schon vor Prozessbeginn hatte Anwalt Ulrich Karpenstein, der die Bundesrepublik vor Gericht vertritt, alle Forderungen zurück gewiesen. Keiner der 14 deutschen Tornados, die am NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien beteiligt waren, sei beim Angriff auf Varvarin zum Einsatz gekommen, so Karpenstein. Die Bundesrepublik treffe also auch keine Schuld. Außerdem könnten Kriegsschäden nur durch Reparations-Zahlungen von Staat zu Staat geregelt werden.

Pflichtverletzung

Die Anwälte der Opfer beharrten vor Gericht auf ihrem Vorwurf: Der NATO-Angriff auf die Brücke sei ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht gewesen, das den Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg vorschreibt. Ob deutsche Flugzeuge an dem Angriff auf die Brücke von Varvarin unmittelbar beteiligt waren, spielt nach Ansicht der Opferanwältin Gül Pinar für die Klage keine Rolle. "In der Nato gilt das Einstimmigkeits-Prinzip, so dass einstimmig entschieden werden muss welcher Angriff geflogen wird, wogegen und wie", sagt sie. "Und wer da mit entschieden hat, hat letztendlich gegen seine Pflicht verstoßen, Zivilbevölkerung zu schützen."

Bisher haben deutsche Gerichte das Völkerrecht stets traditionell ausgelegt: Für Kriegsschäden gab es, wenn überhaupt, nur Reparations-Zahlungen. In acht Wochen wollen die Richter das Urteil verkünden.