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Semmler: "Sie müssen bewusster trainieren"

Nils Schmidt11. Mai 2015

Borussia Mönchengladbachs U23-Torwarttrainer Christoph Semmler hat seinen Jahresurlaub geopfert, um in Äthiopien Torwarttrainer zuschulen. Im DW-Interview spricht er über seine Erlebnisse vor Ort.

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Christoph Semmler coacht äthiopische Nationaltorhüter
Bild: DW/N. Schmidt

DW: Christoph Semmler, die Torwarttrainer-Lehrgänge in Addis Abeba waren Ihr erstes Auslandscoaching und Ihre erste Begegnung mit Afrika. Wie waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie in der Hauptstadt Addis Abeba ankamen?

Christoph Semmler: In Addis Abeba ist alles anders: der Platz, die Bälle und die Höhenluft, die schon einfachste Übungen anstrengend macht. Ich habe erst einmal nach Luft geschnappt, bis ich realisiert habe, dass ich auf 2355 Meter Höhe bin. Meine "Schüler" waren in den ersten ein, zwei Tagen noch etwas zurückhaltend. Dann aber waren sie alle sehr herzlich, interessiert, offen und haben mich immer mit einem Lachen begrüßt.

Wie sah Ihr Programm aus?

Insgesamt nahmen siebzig Torwarttrainer und -trainerinnen teil, an zwei Kursen, die jeweils eine Woche liefen. In Deutschland hatte ich alles vorbereitet: Inhalte, Ablauf, Übungen. Ich stellte jedoch schnell fest, dass ich umplanen oder, besser ausgedrückt, improvisieren musste. Am Ende hat aber alles geklappt. Jeder Teilnehmer konnte sich einen Themenschwerpunkt aussuchen, aus dem athletischen, taktischen, oder technischen Bereich. Dann sollte er eine Trainingseinheit bestehend aus Aufwärm-, Haupt- und Schlussteil ausarbeiten. Das sind wir durchgegangen, und jeder Teilnehmer hat etwa 20 Minuten der Einheit vor der Gruppe im Stadion auf dem Platz durchgeführt. Ich habe anschließend mit den Teilnehmern besprochen, was man besser machen kann. Das war der praktische Teil. Dazu kam noch ein theoretischer Teil. Hierfür hatte ich eine Präsentation mit Bild- und Videomaterial vorbereitet. Am Wochenende fanden Meisterschaftsspiele im Stadion statt, die wir für eine Spielanalyse nutzten. Am letzten Tag gab es noch einen schriftlichen Test.

Ein strammes Programm. Bblieb da noch Zeit, Land und Leute etwas näher kennen zu lernen?

Es war in der Tat sehr anstrengend. Aber mittags habe ich meist mit meinen einheimischen Kollegen und Übersetzern typisch äthiopisch gegessen. Unter der Woche habe ich abends meist mit Joachim Fickert, dem Leiter des Langzeitprojektes, über Fußball philosophiert. Nach Beendigung beider Kurse bin ich dann ein paar Tage in den Norden geflogen und konnte mir dort einen kleinen Teil dieses riesigen Landes angucken. Am letzten Abend meines Aufenthaltes hat mich der äthiopische Fußballverband zu einem traditionellen Essen mit traditioneller Musik eingeladen. Ein sehr interessanter und lustiger Abend.

Was glauben Sie, kann von dem Kursprogramm hängen bleiben, machen solche Aktionen Sinn? Und wie schätzen Sie das fußballerische Niveau in Äthiopien ein?

Das Niveau in Äthiopien kann man vielleicht mit dem in der vierten Liga in Deutschland vergleichen. Die Nationalmannschaft ist ein wenig stärker.
Ich glaube, dass diese Projekte auf jeden Fall Sinn machen. Joachim Fickert bringt den Äthiopiern gerade bei, ihre Strukturen besser zu organisieren und versucht, die Trainerausbildung zu verbessern. Sie trainieren ja viel, aber häufig nicht bewusst. Mein Eindruck ist schon, dass sie aus dieser Woche mit mir viel mitgenommen haben, auch wenn es schwer ist, seine Gewohnheiten zu ändern. Es muss Schritt für Schritt passieren, das braucht Zeit. Wichtig ist, dass sie es wollen. Und dieser Wille ist da. Mit einem der Teilnehmer stehe ich in regem Email-Kontakt. Er informiert mich immer, wie seine Mannschaft spielt und fragt mich nach meiner Meinung, neuen Übungen und was er noch verbessern kann.

Christoph Semmler coacht äthiopische Nationaltorhüter
Plötzlich Torwarttrainer der äthiopischen Nationalelf: Christoph Semmler trainiert die Keeper in ÄthopienBild: DW/N. Schmidt

Der Leiter des Programms vor Ort, Joachim Fickert, ist ein echter Macher mit über dreißig Jahren Auslandserfahrung. Haben die Äthiopier Glück gehabt, diesen knorrigen Pragmatiker erwischt zu haben? Haben Sie von ihm gelernt und könnten Sie sich vorstellen, bei weiteren Auslandsprojekten mitzumachen?

Joachim Fickert? Ein Wort: Weltklasse! Sein Erfahrungsschatz ist riesig, seine Geschichten rund um den Fußball sind einfach toll. Man hört ihm gerne zu. Wo er schon überall war, was er gemacht hat, welche Probleme in diesen Ländern herrschen, wie man damit umgehen, welche Prioritäten man dort setzen muss. Er ist ein ganz toller Mensch, der seine Aufgabe lebt und mit Leidenschaft ausfüllt. Die Äthiopier können sich glücklich schätzen, so einen Fachmann an ihrer Seite zu haben. Von ihm nehme ich seine Improvisations- und Anpassungsfähigkeit mit. Wer in so vielen verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern gelebt hat wie er, muss das draufhaben. Trotzdem bleibt er dabei immer seiner akkuraten "deutschen" Art treu. Ich persönlich habe durch ihn und das Projekt meinen Erfahrungsschatz vergrößern können und würde mich freuen, erneut für Auslandsprojekte ausgewählt zu werden.

Wie sieht Ihr persönliches Fazit des Aufenthalts aus? Wie schätzen Sie das Potential der Fußballer Äthiopiens ein?

Mein Fazit ist überaus positiv. Ich durfte den äthiopischen Fußballverband kennenlernen. Seine Trainer und Funktionäre haben mich unglaublicher Herzlichkeit und Dankbarkeit empfangen und verabschiedet. Ich habe viele verschiedene Eindrücke gesammelt und auch von den Teilnehmern einiges gelernt.
Äthiopien hat etwa 15 Millionen Einwohner mehr als Deutschland, Fußball ist die beliebteste Sportart. Die Zuschauer bei den Spielen sind positiv verrückt: Sie singen eineinhalb Stunden vor dem Anpfiff, während des ganzen Spiels und auch noch danach. Wenn jetzt auch noch die Strukturen im Land und im Fußball verbessert werden, die Trainer auf einem höheren Niveau arbeiten und damit ihre Spieler besser schulen, hat Äthiopien in meinen Augen das Potenzial, sich dauerhaft für die Afrika-Meisterschaft zu qualifizieren.

Christoph Semmler ist 35 Jahre alt. Der Torwart spielte mit Rot-Weiß Oberhausen in der 2. Liga und später mit Belenenses Lissabon in der zweiten Liga Portugals. Seit Mitte 2013 arbeitet Semmler für den Bundesligisten Borussia Mönchengladbach als Torwarttrainer im Jugendbereich.

Das Interview führte Nils Schmidt.