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Theater der Welt

14. Juli 2010

Fünf Künstler aus dem Kongo und fünf aus China besuchen sich, erleben den Alltag, diskutieren, arbeiten an Bildern, Objekten, Texten. Erfahrungen aus einer fremden Welt, gezeigt in Deutschland. Ein Atelierbesuch.

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Vitshois Mwilambwe (Foto: DW)
Vitshois Mwilambwe, Künstler aus KinshasaBild: DW

"Ich habe in China ein fortschrittliches Land erlebt, ein Land, das vorwärts strebt, sich entwickelt – aber auch seine Traditionen achtet", sagt Freddy Tsimba aus Kinshasa. "Mir kam die Situation im Kongo chaotisch vor. Nichts hat richtig funktioniert, weder die Polizei, noch das Transportwesen oder auch das politische System," resümiert Pak Chuen Sheung aus Hongkong – und entschuldigt sich gleich für die Unhöflichkeit dieser Äußerung. Die beiden Künstler sind Teil von "Brave New Worlds" beim internationalen Festival Theater der Welt in Mülheim an der Ruhr. Es ist ein Austauschprojekt zur Erkundung von Alltag, Lebenswelten, Kultur und Mobilität im globalen Zeitalter.

Nichts könnte größer sein als die Entfernung zwischen der Hauptstadt eines vom Bürgerkrieg gezeichneten afrikanischen Landes und dem weltweit agierenden Textilzentrum eines Staates, der längst in der Liga der Mächtigen mitspielt. Und so dominieren vor allem ökonomische Abhängigkeiten die Beobachtungen aller Beteiligten und prägen schließlich ihre künstlerischen Ergebnisse. Entstanden sind eher Dokumentationen der alltäglichen Verhältnisse und weniger kunstvolle Umsetzungen.

'Made in China'- Billigprodukte im Kongo

Wolle-Installation von Vitshois Mwilambwe (Foto: Theater der Welt)
"The colors of China"Bild: Theater der Welt/Klaus Lefebvre

Ein Bereich im Mülheimer Kulturzentrum "Ringlokschuppen" wurde zum offenen Atelier umfunktioniert. Dort hat Vitshois Mwilambwe auf einem großen Tisch Wollknäuel ausgebreitet. In allen Größen und Farben liegen sie da, manche auseinandergerissen, andere noch ordentlich aufgewickelt, grell und bunt. "Unsere Kultur wird mittlerweile von Produkten aus China dominiert", sagt Vitshois. "Diese Farben symbolisieren das 'Made in China'". Nahezu alles, was auf den Märkten in Kinshasa zu kaufen sei – T-Shirts, Turnschuhe, Taschen, Koffer, Spielzeug – stamme aus chinesischer Produktion, erzählt er.

Freddy Tsimba hat eine martialisch anmutende Installation aus Macheten angefertigt – Macheten waren das erste Massenprodukt aus chinesischer Produktion, das Kongo erreicht hat und sie sind heute noch ein Exportschlager. Verwendet werden sie in der Landwirtschaft. Aber an ihnen haftet eben auch der unheimliche Ruch von unvorstellbarer Grausamkeit und Völkermord an.

Fotografieren illegal

Pak Chuen Sheung aus Hongkong (Foto: DW)
"Es war viel Aggressivität spürbar"Bild: DW

Pak Chuen Sheung hat in Kongo noch vielfältige Spuren und Hinterlassenschaften des Krieges entdeckt, für den Künstler aus einer von Börsen und Finanzen geprägten Metropole war das eine irritierende Erfahrung. Er zeigt kleine Plastikfigürchen, gefunden auf den Märkten in Kinshasa. Martialische Krieger und Kämpfer in grünen Tarnanzügen – Kinderspielzeug. Sein Kollege Jiang Jun spricht von einer überall spürbaren Aggressivität und Spannung. Er hat während seiner Reise 4000 Fotos gemacht und scheint ein bisschen stolz, wenn er sagt: "Das Fotografieren ist dort illegal. Ich habs trotzdem getan. Jeder da ist wütend, wenn er fotografiert wird. Das gibt es bei uns in China nicht, dort kann man alles fotografieren. Aber in Afrika heißt es gleich: Wenn du mich fotografierst töte ich dich!"

Die Architektin Chen Shuyu hat fünf Kongolesen jeweils fünf Euro gegeben und sie entscheiden lassen, was sie dafür kaufen wollten. Danach hat sie sie mit ihren Einkäufen fotografiert: eine Mutter zum Beispiel, die ein Spielzeug für ihr Kind und einen kleinen Rucksack erstand, einen jungen Mann, der sich Flip-Flops gekauft hat – einfache Dinge des täglichen Gebrauchs, für die die Menschen vorher kein Geld haben.

Unterschiedliche Welten

Plakat 'Brave New Worlds'
Afrika in China und umgekehrtBild: IISH Amsterdam

"Wir wollen mit diesem Projekt Diskussionen der Teilnehmer über die Rolle ihrer jeweiligen Länder anregen, es ist ein Prozess, ein 'work in progress' ", sagt die Belgierin Els Silvrants, eine der Kuratorinnen. Und so sind die Gespräche letztlich entscheidender als die künstlerischen Ergebnisse. Es ist auch ein Experiment, das den Beteiligten viel Mut und Offenheit abverlangt und in dessen Verlauf gleichzeitig sichtbar wird: Trotz aller Bemühungen befindet man sich nicht auf gleicher Augenhöhe. "Brave New Worlds" – das sind sehr unterschiedliche Welten.

"Unsere Kultur wird mittlerweile von Produkten aus China dominiert", sagt Vitshois Mwilambe. "Viele Afrikaner kommen nach China, weil sie bei uns arbeiten und leben wollen", berichtet Jiang Jun. Beides ist richtig. Das Bild Chinas in Afrika wird, so erzählen die Künstler, geprägt durch die simple Massenware T-Shirt und durch riesige, komplexe Straßenbaustellen. Das Bild Afrikas in China – das seien Hochhäuser, in denen afrikanische Arbeiter ohne Kontakt zu ihren Nachbarn eng zusammen leben.

Man kann das Ganze freilich auch kritisch sehen, wie die Architektin Cheng Shuyu. "Was ich auf den Märkten von Kinshasa gefunden habe, war das billigste, schlechteste kopierte Zeug – Dinge, die wir Chinesen schon längst nicht mehr brauchen. Das ist irgendwie beängstigend. Ein Wahnsinn, all diese Billigprodukte, die Kinshasa überfluten – während wir in China uns inzwischen auf westliche Standards zu bewegen."

Els Silvrants indessen räumt ein, dass China in Afrika auch handfeste Rohstoff-Interessen verfolgt. Und dennoch ist die Kuratorin überzeugt: Für die Afrikaner repräsentiert China eine Zukunft: "Es ist eine andere Zukunft als die in Europa, wo es Wertedebatten gibt und gleichzeitig so viele Restriktionen".

Mobilität - global und schwierig

Europa bleibt bei diesem Diskurs völlig außen vor, es spielt einfach keine Rolle mehr, wird gelegentlich als arrogant und abgehoben beschrieben. "Warum wendet sich Afrika China zu?" fragt Freddy Tsimba. "Weil Europa sich abschottet! China gibt sogar Jahresvisa für uns aus. Aber nach Europa gelangt man nur schwer." Das stimmt. Drei der kongolesischen Künstler durften nicht zur Präsentation ihres Projektes nach Mülheim reisen, sie bekamen kein Visum. Allerdings - auch einer kongolesische Künstlerin wurde die Einreise verweigert: nach China. In ihrem Pass steht als Berufsbezeichnung Journalistin.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Sabine Oelze