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Ein paar Zeilen Sicherheit

Katharina Kühn, Brüssel17. Oktober 2014

Drei Tage lang chatten Politikbegeisterte über die Gegenwart und Zukunft der NATO, Krisenreaktionen und Netzsicherheit. Der stellvertretende NATO-Generalsekretär Jamie Shea loggt sich auch ein.

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Internetnutzung in Deutschland
Bild: Sean Gallup/Getty Images

Jamie Shea wird gern zur Diskussionen eingeladen, wenn es um Sicherheitspolitik geht. Dann zieht er sich ein Jackett an, steckt sich vielleicht ein Mikrofon an die Krawatte und spricht vor einem Publikum. Auch heute nimmt der stellvertretende NATO-Generalsekretär für sicherheitspolitische Herausforderungen an einer Diskussion teil. Allerdings sitzt er dabei verkehrt herum auf einem Stuhl im Zimmer seiner Sekretärin und lacht über seinen ersten Beitrag: "Guten Morgen Jammers, fast wie Robin Williams in 'Good morning, Vietnam'." Jamie Shea ist einer der Gäste des diesjährigen "Security Jams".

Internationales Brainstorming zur Sicherheitspolitik

Das Wort "Jam" erinnert eigentlich an Jazz-Sessions oder Gitarrenspieler. In diesem Fall heißt "Jam": Politik. Sicherheitspolitik. Alles andere als Rock'n Roll. Die EU und die NATO haben schon zweimal einen solchen Chat organisiert. Drei Tage lang können User aus der ganzen Welt an diesem internationalen Brainstorming teilnehmen. Und trotz der häufig technischen und komplizierten Themen loggt sich ein Diskutant nach dem anderen in den Chat ein. Während des letzten Chatmarathons haben sich um die 3000 User angemeldet, aus 116 Staaten.

NATO Jamie P. Shea (Foto: NATO)
Jamie Shea chattet mitBild: NATO

Die Debatten sind in sechs Foren unterteilt. Da geht es um die Zukunft der EU als militärische Kraft, die Zusammenarbeit zwischen NATO und EU oder etwa den Konflikt in der Ukraine. Das Besondere an dem Chat ist, dass für eine Stunde oder 30 Minuten angekündigte Diskutanten hinzukommen, die sogenannten VIP-Jammer.

Diskussion rund um die NATO anregen

Jamie Shea hat sich in den Foren über die künftige Rolle der NATO und über Netzsicherheit und -abwehr angemeldet. Seine Assistentin tippt seinen Eintrag, er könne nicht so schnell auf der Tastatur schreiben, entschuldigt sich Jamie Shea. Später, das verspricht er, gibt er ihr dafür einen Kaffee aus. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Blatt mit ausgedrucktem Text, Markierungen, Anmerkungen, Pfeilen. "Wird sich die NATO in Zukunft auf die territoriale Verteidigung konzentrieren? Auch wenn sich die Beziehungen zu Russland verbessern?" Das Telefon klingelt. Jamie Shea diktiert weiter.

Er will mit seinen Fragen eine Diskussion anregen. "Es geht mir auch darum, zu sehen, was die Menschen von der NATO halten. Es ist wie ein Realitätscheck." Mit den NATO- und EU-Mitarbeitern rede er jeden Tag. Dann tue es auch mal gut, die Meinung der Menschen außerhalb der Politik-Blase zu lesen. Obwohl sich auch im Forum die meisten Teilnehmer beruflich mit den Themen auseinandersetzen. Es gibt Militärs, Wissenschaftler, Lobbyisten, Diplomaten.

Jens Stoltenberg neuer NATO Generalsekretär PK 01.10.2014 (Foto: reuters)
Der neue NATO-GeneralsekretärJens StoltenbergBild: Reuters/Francois Lenoir

Nach wenigen Minuten erscheinen die ersten Reaktionen auf Jamie Sheas Fragen. "Acht Antworten!“, ruft er. Ein User kommentiert, die NATO müsse sich besser auf unerwartete Bedrohungen vorbereiten. Jamie Shea pflichtet ihm bei, diktiert seiner Assistentin zwei Absätze. Eine andere Userin weist auf eine Diskussion des vergangenen Tages hin: Wie kann sich die NATO modernisieren? Jetzt soll Jamie Shea darauf eine Antwort finden. Eigentlich sollte er nur eine halbe Stunde im Forum sein, doch nun sind schon 45 Minuten vergangen. Er muss sich beeilen, ein Meeting steht an. "Eine Antwort schaffen wir noch."

Es muss schnell gehen beim "Security Jam". Gleichzeitig sind die Themen keine, die in zwei Absätzen ausgeschöpft sind. "Hier geht es mehr darum, Ideen zu bekommen", sagt Jamie Shea. Am Nachmittag wird er sich die Kommentare zu seinen Fragen durchlesen.

Empfehlungen aus dem Chat ableiten

Doch nach den drei Tagen Chatten sollen die Ideen dann nicht im Internet verpuffen. Der Think-Tank "Security & Defence Agenda" fasst die Diskussionen zusammen und präsentiert der NATO und der EU dann zehn Empfehlungen; nach dem letzten Jam wurden 2800 Reports verteilt. Mit dem neuen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der designierten EU-Außenbeauftragen Federica Mogherini muss noch ein Termin gefunden werden, aber dann wollen auch sie sich die Empfehlungen anschauen.

Viele Diskussionen im Forum spiegeln die aktuellen Geschehnisse wieder. Wie reagieren die EU-Staaten auf die Ebola-Epidemie? Welche Möglichkeiten gibt es, um zu verhindern, dass sich junge Menschen radikalisieren? Was tun gegen IS? Schon nach den ersten Stunden zeigen sich bestimmte Forderungen der User immer wieder: Syrische Frauen sollten etwa in Friedensverhandlungen eingebunden werden. Die EU müsse geschlossen auf die Flüchtlinge reagieren – und zwar nach ihrem Verständnis von Freiheit. Andere User wollen, dass in Afghanistan die Korruption bekämpft wird.

Zweieinhalb Wochen wird es etwa dauern, bis die zehn Empfehlungen aus dem Chat zusammengetragen sind, dann wird sich auch Jamie Shea ein Exemplar holen – ausgedruckt. Trotz Chatbegeisterung liest er lieber auf Papier.