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Schwierige Rückkehr nach Donezk

Inna Kuprianova (mo)8. November 2015

Auf den Straßen von Donezk sind wieder mehr Menschen zu sehen. Seit der Einstellung der Kampfhandlungen kehren Flüchtlinge in die Ostukraine zurück. Doch sie stehen vor vielen Problemen.

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Eine Straße in Donezk (Foto: DW)
Bild: DW/I. Kuprianova

Vor einem Monat ist die 32-jährige Larissa mit ihrem Kind nach Donezk zurückgekehrt, in eine scheinbar friedliche Stadt. Aufgewühlt erzählt sie, was sie durchgemacht hat: "Als all dies mit dem Referendum begann, wusste ich, dass es böse enden wird. Ich habe meine Familie damals zu überzeugen versucht, dass die Hoffnungen auf einen Anschluss an Russland vergeblich sind." Während der Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten brachte sie ihr Kind auf die Welt. Dann entschied sie sich, mit dem Baby zu ihren Eltern zu fliehen, die in einem Dorf in der südukrainischen Region Cherson leben.

Vor dem Krieg in der Ostukraine hatte Larissa einen gutbezahlten Job. Sie konnte sich zweimal im Jahr eine Auslandsreise leisten. Jetzt bestellt sie das Notwendigste im Internet. Geliefert bekommt sie sogar Lebensmittel an die Adresse von Bekannten, die in dem von Kiew kontrollierten Teil der Region Donezk leben. "Was man uns aus Russland in die Läden bringt, ist schlecht", beklagt die junge Mutter. "Aber ich musste zurück nach Donezk. Hier lebt mein Mann, und hier haben wir ein eigenes Haus."

Ein ukrainischer Soldat an einem Checkpoint in Donezk (Foto: DW)
Ein Soldat der ukrainischen Regierungstruppen an einem Checkpoint in DonezkBild: DW/C. Bobyn

Rückkehr aus mehreren Gründen

Eigentumswohnungen oder Häuser seien der Hauptgrund für die Rückkehr von Flüchtlingen in die Ostukraine, sagt Daria Pirogowa. Sie ist am Kiewer Internationalen Institut für Soziologie tätig, das regelmäßig telofonisch Umfragen im Donbass durchführt. An zweiter Stelle würden die Befragten berufliche Gründe nennen - sowie die Notwendigkeit, sich um Angehörige zu kümmern.

Der Soziologe Jaroslaw Pasko meint, den meisten, die jetzt in die Ostukraine zurückkehrten, sei in anderen Regionen der Ukraine oder in Russland kein Neuanfang gelungen. Pasko stammt selbst aus Donezk und lehrt seit seiner Flucht an einer Kiewer Hochschule. Doch die Rückkehr sei kein Massenphänomen: "Diejenigen, die mit ihrem Arbeitgeber - Unternehmen oder Behörden - die Konfliktzone verlassen haben, sind weiterhin im Exil." Zu bedenken sei auch, dass viele Menschen aus politischen Gründen vor der "Donezker Volksrepublik" geflohen seien. Sie würden erst zurückkehren, wenn über ihrer Heimat wieder die ukrainische Flagge weht.

Doppelte Renten und höhere Preise

Rein wirtschaftliche Gründe haben hingegen den 60-jährigen Oleg dazu bewegt, nach Donezk zurückzukehren. Er hat Russland wegen der hohen Mieten verlassen. Als die Kämpfe im Donbass begannen, war er mit seiner Ehefrau und der Enkelin ins südrussische Rostow am Don geflohen. Dort fand er schnell Arbeit bei einer Firma. Aber die Miete sei sehr hoch gewesen. Jetzt, so Oleg, lebe er wieder in Donezk und sei "relativ wohlhabend". Das Arbeitsamt habe ihm einen Job als Schlosser bei der Straßenbahn vermittelt. Der Lohn werde pünktlich gezahlt.

Außerdem bezieht Oleg zwei Renten. Die ukrainische in Höhe von 1500 Hrywnja kann er aber nur in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten des Donbass ausgezahlt bekommen. Eine zweite Rente in Höhe von 3000 Rubel erhält er von der sogenannten "Donezker Volksrepublik". "Alle Rentner, die ich kenne, beziehen zwei Pensionen. Wie soll man sonst überleben?", sagt er. Denn die Preise in Donezk seien doppelt so hoch wie in der restlichen Ukraine.

Weniger Menschen wollen Donezk verlassen

Dass seit der Einstellung der Kampfhandlungen Flüchtlinge zurückkehren, bestätigt die Sonderbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). "Uns liegen aber noch keine Zahlen vor", sagt Irina Gudima, OSZE-Mitarbeiterin in der Ukraine.

Fahrzeuge in Donezk in der Ostukraine (Foto: DW)
In Donezk sind wieder mehr Fahrzeuge zu sehenBild: DW/I. Kuprianova

Eine Wende ist auch bei der Abwanderung zu beobachten. "In den 26 Städten in der von Kiew nicht kontrollierten Region lebten vor dem Krieg 2,3 Millionen Menschen. Anfang Oktober 2015 waren es 520.000 weniger", sagt Volodymyr Paniotto vom Kiewer Internationalen Institut für Soziologie. Ihm zufolge hat sich die Anzahl der Menschen, die die Region noch verlassen wollen, in letzter Zeit auf etwa die Hälfte verringert. Es seien nur noch sechs Prozent der vom Institut befragten Menschen.

Die Unsicherheit bleibt

Larissa gehört zu denen, die auch nach ihrer Rückkehr wieder darüber nachdenken, Donezk zu verlassen: "Viele in der Stadt haben Waffen. Man weiß nicht, was morgen passiert." Heizung und Warmwasser würden immer wieder ausfallen. Andererseits seien Nachbarn und Freunde auch nach Donezk zurückgekehrt. "Die Stadt ist nicht mehr so leer wie vor einem Jahr", sagt Larissa.

Sie erinnert sich, wie sie vor dem Krieg als Touristin durch Europa gereist ist. In ihrer Gruppe seien Menschen aus verschiedenen Städten der Ukraine gewesen, mit denen sie noch in Kontakt ist. "Ich tröste mich damit, dass bald alles wieder gut wird, und dass wir keine Straßensperren mehr passieren müssen, um Freunde zu treffen, in den Urlaub zu fahren, oder Lebensmittel zu kaufen", sagt die junge Frau.