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Schwere Zeiten für Tony Blair

Jan Oltmanns30. März 2006

Großbritanniens Premier Tony Blair steht wegen einer Parteifinanzierungsaffäre mächtig unter Druck. Damit nicht genug, macht ihm die Parteilinke wieder einmal Ärger. Das könnte ihn - so wird spekuliert - das Amt kosten.

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Unter Druck: Tony BlairBild: AP

"A new dawn has broken. And its wonderful" - "Ein neuer Morgen ist angebrochen. Und er ist wunderbar." Worte von Großbritanniens Premierminister Tony Blair nach seinem ersten Wahlsieg 1997. Das Land stehe vor einem Zeitenwechsel, schwärmten einige Kommentatoren. Schließlich war es Labour gelungen, nach fast 20 Jahren die Macht der Konservativen zu brechen. Und an der Spitze der Regierung sollte mit Tony Blair künftig ein redegewandter Charmeur stehen und das Land gründlich umkrempeln.

Der frisch gewählte Regierungschef krempelte: Er beendete den Umbau der Partei und verpasste ihr unter dem Namen "New Labour" ein neues Image - fernab von Klassenkampf und Sozialismus. Eine kapitalismusfreundliche Ausrichtung gab es gleich dazu. Das nahm die Linke Blair übel. Viele Genossen verteufelten den so genannten Dritten Weg als Fortsetzung der Politik von Premierministerin Margaret Thatcher. Gleichwohl wurde Labour zur Partei der Mitte. Und das Konzept ging auf: Blair führte die Partei von Erfolg zu Erfolg.

Vom Strahlemann zur lahmen Ente

Wahl in Großbritannien: Premierminister Tony Blair kehrt mit seiner Ehefrau Cherie in die Downing Street 10 zurück
Rückkehr: Nach einem glanzlosen Wahlsieg 2005 zieht Blair erneut in die Downing Street No 10 ein.Bild: AP

Die Erfolgsstory allerdings neigt sich nun möglicherweise ihrem Ende zu. Die Mitte ist dem Premier heute längst nicht mehr so zugetan, denn der Strahlemann der Nation hat nach bald neun Jahren im Amt viel von seinem Charme eingebüßt. Seit Monaten wird in den Medien wild spekuliert, wann Blair seinen Platz für Schatzkanzler Gordon Brown freimacht. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn der Regierungschef hatte diese Mutmaßungen selbst heraufbeschworen, als er Ende 2004 erklärte, nach einer dritten Amtszeit sei endgültig Schluss. Der Premier degradierte sich damit zur "lame duck", zur lahmen Ente, wie Politiker, deren Zeit abgelaufen ist, in den USA genannt werden.

Die "lahme Ente" schlug nun doch noch einmal mit den Flügeln: Während eines Besuchs in Australien sagte Blair, es sei möglicherweise "ein Fehler" gewesen, dass er damals auf eine vierte Amtszeit verzichtet habe. Zwar dementierte Downing Street schon kurz darauf eifrig: Blair sei in den Interview unterbrochen worden. Er habe eigentlich sagen wollen, dass es ein Fehler gewesen sei, darauf zu vertrauen, dass seine Äußerung von 2004 den Spekulationen um seine Zukunft ein Ende setzen werde.

Die Linke verweigert Blair die Gefolgschaft

Beim linken Labour-Flügel, der Blair lieber heute als morgen abtreten sähe, sorgte das Interview trotzdem für Unmut. Überhaupt hat Blair mit der Linken stets Ärger - denn die ist mit seinem Kurs ganz und gar nicht glücklich. Sie wittert Verrat am Sozialismus, Flucht aus der sozialen Verantwortung und will nichts Hören von Anti-Terror-Gesetzen, Personalausweisen oder eben Elite-Schulen. Folglich verweigerten die "Parteifreunde" Blair bei der Abstimmung über ein Gesetz, mit dem Blair den Wettbewerb unter den Schulen fördern will, auch die Gefolgschaft. Ausgerechnet die Konservativen mussten einspringen, damit die Vorlage passieren konnte und Blair eine Peinlichkeit erspart blieb. Das saß, denn in einem Land, in dem noch immer die "richtige" Schule maßgeblich über die Karriere entscheidet, ist die Bildung eine heilige Kuh - und außerdem das Kernstück von Blairs Reformagenda.

Doch nicht nur in den eigenen Reihen bläst Blair ein heftiger Wind ins Gesicht: Gleich drei große Zeitungen, der "Guardian", der "Economist" und der "Independent", drängten den Premier zum Rücktritt. "Er sollte endlich gehen", schrieb der "Guardian". "The final days of Tony Blair" (Die letzten Tage des Tony Blair"), titelte der "Economist". Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das ähnlich: Mitte März standen nur noch 36 Prozent der Briten hinter ihrem Premier - ein historisches Umfragetief.

Von gekauften Lords und Ladies

Dieses miserable Ergebnis ist einer Affäre geschuldet, die Labour seit Wochen zu schaffen macht. Mitte März war bekannt geworden, dass die Partei im Wahlkampf 2004 Kredite in Höhe von stattlichen 14 Millionen Pfund bei Anhängern aufgenommen hat. Das Pikante daran: Die Kreditgeber wurden für ihre Großzügigkeit entlohnt. Einige von ihnen schlug Blair sogar für einen Sitz britischen Oberhaus vor. Der Premier versicherte zwar eilig, der Posten auf Lebenszeit und die Kredite stünden in keinem Zusammenhang. Glauben mochte ihm das kaum einer. Außerdem wird Labour angekreidet, die Kredite geheim gehalten zu haben. Das ist zwar nicht verboten - eben weil es sich nicht um Spenden handelt - die feine englische Art aber ist es auch nicht.

Brown and Blair
Finanzminister Gordon Brown (links) soll das Erbe von Tony Blair antreten. Wann, ist ungewiss.Bild: AP

Weitere Sympathien verspielte Blair über die Jahre mit nicht eingehaltenen Wahlversprechen und dem britischen Engagement im Irak. Denn die große Mehrheit der Briten lehnt den Einsatz inzwischen strikt ab. Hinzu kommt ein Folterskandal, der bei den Bürgern Entsetzen und Empörung auslöste. Und schließlich wurde von den Massenvernichtungswaffen, mit deren Existenz Blair bis zuletzt den Krieg gerechtfertigt hatte, noch keine einzige gefunden. Das fügte seiner Glaubwürdigkeit schweren Schaden zu. Blair erklärte nun, London könne sich aus dem Irak zurückziehen - ohne allerdings ein konkretes Datum zu nennen. Ob das reicht, ist ungewiss.

Und die Wahlversprechen? Beispiel Nationales Gesundheitssystem NHS: Die Briten bringt fast nichts so sehr in Rage wie ihr Gesundheitssystem: Es ist marode, die Arbeitsbedingungen der Mediziner sind katastrophal und die Wartelisten in den Krankenhäusern endlos. Blair hatte die Sanierung des NHS zur Chefsache erklärt - blieb dabei aber recht erfolglos. Und dies, obwohl Labour mehr Geld für den NHS ausgegeben hat als jede Regierung vor ihr.

Totgesagte leben länger

Blair ist angeschlagen. Aber ist er wirklich gestürzt? Der Premier wurde schon oft totgesagt - um sich dann doch wieder zu aufzurappeln. Das gelang ihm so häufig, dass es ihm den Beinamen "Teflon-Tony" eingetragen hat. Niemand kann derzeit also mit Sicherheit sagen, wann Blair seinen Platz räumen wird: Nach Ansicht seines Biographen Anthony Seldon hat der Regierungschef den für ihn persönlich besten Zeitpunkt zum Rücktritt ohnehin verpasst. Er hätte abtreten sollen, als er erfolgreich war - etwa nach den Anschlägen von London, schreibt Seldon in der "Times". Aus Perspektive der Nation sehe dies freilich ganz anders aus: Politisch wäre es am sinnvollsten, Blair bliebe bis 2009 im Amt, um seine Reform umzusetzen. So mag es tatsächlich kommen: Zuletzt erklärte Innenminister Clarke, Blair werde nicht vor 2008 ausscheiden.

Britische Soldaten unter Feuer
Britische Soldaten im Irak: Der Rückhalt der Bevölkerung schwindet.Bild: AP

Der "ewige Zweite" Gordon Brown wird sich also wahrscheinlich noch ein bisschen gedulden müssen, bis er in Downing Street No 10 Platz nehmen darf. Der Finanzminister hat bereits viele Jahre warten müssen, jetzt bringt er sich in Position: In seinen jüngsten Reden äußerte er sich zu allen möglichen Themen - Außenpolitik, Terrorismus, Sicherheit. Das sind kaum die originären Politikfelder eines Schatzkanzlers. Der altgediente und erfahrene Minister gilt außerdem als Architekt des britischen Aufschwungs, und das bringt ihm bei den Briten jede Menge Sympathien ein. Und da Brown in Sachen Wettbewerb und "Dritter Weg" als weitaus gemäßigter gilt als der Premierminister, ist er auch der Parteilinken um einiges lieber. Ihre Hoffnungen aber könnten durchaus wieder einmal enttäuscht werden. Denn bislang hält sich Brown derart folgsam an die Linie seines Chefs, dass in den Medien bereits von einem zweiten Blair die Rede ist.