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"Schweinepest am Himmel"

19. April 2010

Die Wolke aus Vulkanasche und ihre Folgen - das Thema beherrscht derzeit die deutsche Presselandschaft. Eine Auswahl aus den Kommentaren der Tageszeitungen vom Montag.

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Themenbild Presseschau (Grafik: DW)
Bild: DW

BILD-ZEITUNG: "Blauer, flugzeugloser Himmel über Deutschland. Da schwärmen manche von den Vorteilen der Entschleunigung, preisen die Poesie des Stillstands. Doch für viele Menschen und die Wirtschaft ist das eine Katastrophe. Geschäftsreisende wie Urlauber kommen nicht weiter, Termine platzen, Waren und Ersatzteile werden nicht geliefert. Noch ein paar Tage und die Asche aus Island verdüstert auch die schwache Konjunktur-Sonne, kostet Milliarden an Umsatz, gefährdet Arbeitsplätze. Klar: Bei der Sicherheit darf es keine Abstriche geben. Aber der Staat muss mit Fakten begründen, warum er das Fliegen derzeit für gefährlicher hält als die Fluggesellschaften."

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND: "Im Flugverkehr muss die Sicherheit der Passagiere immer Vorrang haben vor den wirtschaftlichen Interessen der Airlines. Das erklärt jedoch noch nicht, warum Politik und Behörden seit Donnerstag so wenig unternommen haben, um das tatsächliche Ausmaß der Gefahr zu klären. Sicher, ein Land kann nicht auf alle seltenen Launen der Natur eingestellt sein und braucht eine gewisse Reaktionszeit. Aber warum dauert es fünf Tage, bis das erste deutsche Testflugzeug starten und die Aschekonzentration in der Luft messen kann? Wieso braucht der Deutsche Wetterdienst so lange, um seine Messstationen entsprechend umzurüsten und eigene Daten zu erheben? Und weshalb nehmen sich die EU-Verkehrsminister des Problems erst heute in einer Telefonkonferenz an? Womöglich haben sie alle die Auswirkungen unterschätzt und gehofft, der Spuk werde nach ein, zwei Tagen vom Regen oder vom Wind beendet. Wenn das so war, sollten sie den Mut haben, ihren Fehler einzugestehen."

FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Wie gefährlich die über Europa schwebende Aschewolke ist, kann verlässlich derzeit niemand sagen. Dafür fehlen nicht nur Messgeräte, es fehlt auch die Erfahrung. Doch so lange es keine verlässlichen Grenzwerte gibt, helfen auch Messungen nicht. Passagiere und Fluggesellschaften müssen wohl oder übel akzeptieren, dass die Natur stärker ist als der Mensch. Wir können nur darauf warten, dass der Wind sich dreht. Alles andere wäre unverantwortlich. Die Sicherheit der Passagiere muss nun mal an der ersten Stelle stehen."

STUTTGARTER NACHRICHTEN: "Ohne Zweifel erleiden die Fluggesellschaften durch die Verbote große finanzielle Verluste. Dennoch gab es dazu keine Alternative. Für den Umgang mit Vulkanausbrüchen existiert keine verlässliche Gebrauchsanweisung nicht einmal in Deutschland; die Situation war neu und unkalkulierbar. Deshalb ließ man zu Recht Vorsicht walten."

VOLKSSTIMME (Magdeburg): "Die Aschewolke am Himmel bringt nicht nur die Luftfahrtgesellschaften in Turbulenzen, deren Flieger samt Fracht und Passagieren am Boden bleiben müssen. Sie streut auch Sand ins Getriebe anderer Branchen, die sich gerade von den Auswirkungen der globalen Krise zu erholen begannen. Dass der Gourmet mal ein paar Tage auf die 'Flug-Mango' von den Philippinen oder auf Fischspezialitäten aus Japan verzichten muss, wird er wohl verschmerzen können. Aber per 'Luftpost' kommen auch wirklich wichtige Dinge, zum Beispiel Zulieferungen und Ersatzteile für die Industrie. Und Geschäftsreisenden und Urlaubern bleibt der Rückweg an den Arbeitsplatz versperrt. Die Schäden gehen in die Milliarden. So leicht kommt eine Weltwirtschaft, die das reibungsarme Laufen ihrer Zahnräder gewöhnt ist, aus dem Tritt. Nur durch eine Aschewolke."

MANNHEIMER MORGEN: "Die Behörden haben sich deshalb bei ihrer Entscheidung, den Luftraum zu sperren, nichts vorzuwerfen. Nicht auszudenken, wenn sie es nicht getan hätten und etwas passiert wäre. Das Geschrei der Fluggesellschaften wäre riesig gewesen. Und ihre Verluste übrigens auch. Denn damit wäre das Vertrauen der Flugreisenden nachhaltig erschüttert worden. Dagegen sind ein paar Tage Ruhe am Himmel eine Kleinigkeit."

WESTFÄLISCHE NACHRICHTEN (Münster): "Überließe man die Entscheidung, ob geflogen werden kann oder nicht, den Luftfahrtgesellschaften, bliebe manches Flugzeug nicht auf dem Boden. Groß ist der wirtschaftliche Druck; rund 150 Millionen Euro kostet die Sperrung Tag für Tag. Ärgerlich bleibt die dünne Datenbasis für die Entscheidung. Nicht auszuschließen, dass gar keine echte Gefahr bestand und besteht. Wohlgemerkt: Solange diese Gefahr denkbar ist, ist die Sperrung ohne Alternative mag sie auch Milliarden kosten, manchen Urlaub und Dienstreisen platzen lassen. Aber künftig muss besser gemessen und beobachtet werden. Für einen Bruchteil der jetzt beklagten Kosten."

RHEIN-NECKAR-ZEITUNG (Heidelberg): "Der Verdacht, dass die europäische Luftaufsicht Eurocontrol mit ihren rigorosen Flugbeschränkungen die Schweinepest am Himmel inszeniert, wird indirekt längst geäußert. Es gibt nur einen Referenzfall aus den achtziger Jahren für den Beinahe-Absturz eines Passagierjets, der in eine Vulkan-Aschewolke geraten war. Der Rest sind Computermodelle. Aber beim Passagierflug heißt die Alternative nicht: Unnötiger Impfstoff oder kein Impfstoff. Dort heißt sie: Geld oder Leben. Wer möchte es darauf ankommen lassen."

KIELER NACHRICHTEN: "Die Entscheidung, das Flugverbot vorerst nicht aufzuheben, ist nachzuvollziehen. Zu unkalkulierbar bleibt das Risiko, das von dem Vulkan ausgeht. Zu wichtig ist es auch, in dieser Ausnahmesituation international abgestimmt zu handeln. Sicherheit muss in diesen Tagen Vorrang haben - und wenn der Himmel noch so blau ist. Dennoch wäre es fahrlässig, ökonomische Fragen gänzlich beiseite zu schieben. Die Aussetzung des Nachtflugverbots, die bereits jetzt gefordert wird, gehört sicherlich zu den Instrumenten, die allen Beteiligten in Kürze zuzumuten ist. Außergewöhnliche Situationen erfordern manchmal bekanntlich außergewöhnliche Maßnahmen."

ABENDZEITUNG (München): "Vulkanausbrüche und Erdbeben zeigen, was der Mensch für ein kleines Licht auf diesem Planeten ist, den er doch zu beherrschen glaubt. Da muss zum Beispiel der hoch technisierte Flugverkehr kuschen, weil die Aschewolken für ihn unpassierbare Hindernisse sind. Tage-, wochen- oder vielleicht monatelang. Zeit genug auf jeden Fall, um darüber nachzudenken, ob sich wirklich hunderttausende von Menschen täglich in Abhängigkeit von der Fliegerei begeben müssen."

Redaktion: Christian Walz