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Ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit

Daniel Heinrich, Türkei28. Oktober 2015

Die Razzien gegen die Medien der Ipek-Holding sind für viele Türken nur der Anfang. Denn die Regierung befürchtet bei der Wahl am Sonntag Stimmverluste und ist in Panik. Daniel Heinrich berichtet aus der Türkei.

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Türkei Polizei stürmt regierungskritischen Fernsehsender (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/M. Sezer

Es sind dramatische Szenen, die sich vor dem Gebäude des regierungskritischen Medienkonzerns Koza-Ipek im Herzen von Istanbul abspielen. Als Sondereinsatzkräfte der Polizei das Gebäude stürmen, wehren sich die Mitarbeiter. Aus Mangel an Alternativen nehmen sie aufgespannte Regenschirme zur Hand, mit denen sie versuchen, die vorrückenden Sicherheitskräfte abzuwehren. Das alles ohne Erfolg und live im Fernsehen. Die Berichterstattung von Bugün-TV lief so lange weiter, bis die Polizei die Verbindung kappte.

Der Staatsapparat scheint vor dem Hintergrund der bevorstehenden Parlamentswahl am Sonntag die Nerven zu verlieren. Denn egal ob kurdische PKK, der selbst ernannte "Islamische Staat" oder eben regierungskritische Presse: Die Regierungspartei AKP macht ernst und räumt im Lager der Gegner kräftig auf. Für Kristian Brakel, Leiter der Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, ist das offene Vorgehen gegen einen der letzten regierungskritischen Sender des Landes der traurige Höhepunkt bei der Beschneidung der Rechte von Journalisten: "Die Pressefreiheit in der Türkei ist schon seit einiger Zeit extremen Attacken des Staates ausgesetzt. Es ist eine Atmosphäre gefördert worden, in der nationalistische und AKP-nahe Hetzmedien kritische Journalisten regelrecht für vogelfrei erklären", so Brakel im Gespräch mit der DW.

"Panikreaktion der AKP"

Es herrschen düstere Zeiten für die Pressefreiheit in der Türkei. Reporter ohne Grenzen listet das Land im weltweiten Ranking 2015 auf Rang 149 von 180 Staaten, nur knapp vor der Demokratischen Republik Kongo und Russland.

Anhänger der Gülen-Bewegung protestieren gegen die Abschaltung der Sender der Ipek-Holding (Foto: Reuters)
Anhänger der Gülen-Bewegung protestieren gegen die Abschaltung der Sender der Ipek-HoldingBild: Reuters/M. Sezer

Die Opposition im Land verurteilt das Vorgehen der Sicherheitskräfte scharf. Allen voran die Mitte-Links-Partei CHP. "Diese Razzien sind nicht nur ein Angriff auf die Medienlandschaft. Sie sind ein Angriff auf die gesamte Demokratie", sagt Hüsnu Bozkurt, CHP-Abgeordneter aus Konya in Zentralanatolien. Eigentlich hat hier die AKP das Sagen. Den Mund lässt sich Bozkurt trotzdem nicht verbieten. Er sieht im Vorgehen gegen kritische Journalisten eine Panikreaktion der Regierung, "die nach 13 Jahren an der Macht realisiert, dass ihre Zeit abgelaufen ist".

Erdogan gegen Gülen

Doch weder Bugün-TV noch Kanaltürk sind Bastionen unabhängiger Berichterstattung: Die beiden Sender der Ipek-Holding gehören zu einem Unternehmenskonglomerat aus 22 Firmen. Die Mediengruppe wiederum gehört zur muslimischen Hizmet-Bewegung, auch Gülen-Bewegung genannt, weil sie dem Prediger Fetullah Gülen nahe steht. Gülen, einst ein enger Verbündeter des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan - besonders, wenn es um das Vorgehen gegen die unliebsame Opposition im Land ging - ist zu einem der Erzfeinde Erdogans avanciert. Denn inzwischen wirft Erdogan dem im US-Exil lebenden Prediger vor, Polizei und Justiz unterwandert zu haben und die türkische Regierung stürzen zu wollen. "Seitdem sich Tayyip Erdogan und Fetullah Gülen 2013 überworfen haben, versucht Erdogan alles, um der Gülen-Bewegung die Unterstützung im Land zu entziehen", sagt Brakel.

Hüsnü Bozkurt von der CHP (Foto: Daniel Heinrich)
Hüsnü Bozkurt blickt mit Sorge in die ZukunftBild: Daniel Heinrich

Für Oppositionspolitiker Bozkurt kommt das Vorgehen der AKP gegen die Gülen-Bewegung nicht überraschend: "Zwölf Jahre haben die Gülen-Bewegung und die AKP zusammengearbeitet. Jetzt spürt sie, wie das ist, wenn man in diesem Land nicht auf der Seite der Regierung steht."

Angesichts des drastischen Vorgehens blickt er allerdings mit Sorge in die Zukunft: "Mit der heutigen Razzia ist ein Damm gebrochen. Sie werden nicht aufhören - bis auch die letzte regierungskritische Medienanstalt von der Bildfläche verschwunden ist."