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Schuld und Sühne

13. Juli 2009

Vergewaltigung, Mord, Zwangsarbeit: So lautet die Anklage gegen Liberias Ex-Präsidenten Charles Taylor. Nun geht der Prozess vor dem UN-Sondergericht in die nächste Runde. Doch zur Versöhnung braucht es mehr als Urteile.

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Liberias Ex-Präsident Charles Taylor
Taylor will in Den Haag alle Schuld von sich weisenBild: picture-alliance/ dpa

Freetown, die Hauptstadt von Sierra Leone, eigentlich malerisch gelegen am Atlantik. Bis heute fallen sie auf, die jungen Menschen im Rollstuhl oder auf Krücken, mit frisch verbundenen Stümpfen an Armen und Beinen. Noch immer sind viele Gebäude zerstört, manche Straßen kaum befahrbar, Strom und fließendes Wasser kaum vorhanden.

Kriegsopfer in Sierra Leone (Foto: dpa)
Sie sind in Sierra Leone allgegenwärtig: die Opfer des BürgerkriegesBild: picture-alliance/dpa

Allein die January Six Invasion, der Angriff der Militärjunta auf Freetown am 6. Januar 1999, fordert mehr als 40.000 Tote. Jabati Mambou ist zu dieser Zeit 15 Jahre alt. Sein Leben ändert sich um 7.45 Uhr abends. "Die Soldaten haben alle Jungs aus dem Haus gezerrt und in einer Reihe aufgestellt. Ich war der erste. Sie befahlen mir, meine rechte Hand auf den Boden zu legen. Dann kam einer mit einer Axt – und schlug sie ab. Einfach so."

Der Krieg schafft seine eigenen Gesetze. Alles beginnt 1991. Verbündete von Liberias Präsident Charles Taylor greifen zwei Dörfer im Grenzgebiet zwischen Liberia und Sierra Leone an. Taylor braucht Geld für seinen eigenen Krieg im Nachbarland. Es ist die Stunde der Revolutionary United Front (RUF).

"Ich kann es nicht akzeptieren"

Die Rebellen wollen die sierra-leonische Regierung loswerden und brauchen Waffen. Taylor kann sie liefern – und schielt dabei auf die großen Diamantenvorkommen im Osten von Sierra Leone. Davon erzählt auch der Hollywood-Blockbuster "Blood Diamond" mit Leonardo Di Caprio. Erst 2002 schweigen die Waffen, die Vereinten Nationen schicken die bislang größte Blauhelmtruppe. "Ich kann es nicht akzeptieren", sagt Jabati Mambou. "Es gibt einfach keine Entschuldigung dafür, dass man mir meine Hand genommen hat. Und deshalb habe ich nie nach dem Warum gefragt. Ich will es nicht hören."

Der Krieg als Schwarzes Loch – elf Jahre lang haben Brutalität und die Gier nach Macht und natürlichen Ressourcen verbrannte Erde hinterlassen. Die Gesellschaft ist aus den Fugen geraten, sagt John Abu-Kpawoh. An Freetowns Fourah Bay College studiert er Umwelttechnik und gehört damit zur Elite seines Landes, in dem 70 Prozent der jungen Menschen keine Arbeit haben und weder lesen noch schreiben können. "Du kannst die Spuren des Krieges noch heute sehen, er ist ja erst seit ein paar Jahren vorbei." Die sichtbarsten Opfer seien die Amputierten, sagt er, "aber da sind auch die Frauen, die zum Geschlechtsverkehr mit ihren Söhnen gezwungen wurden, oder die Kindersoldaten. Es ist nur folgerichtig, dass jetzt auch Mister Taylor dafür verantwortlich gemacht wird. Damit hier endlich Versöhnung beginnen kann. Ich selbst bin Zeuge, dass diese Dinge während des Krieges geschehen sind."

Kann ein Gericht Würde zurückgeben?

Kindersoldaten der Revolutionary United Front (Foto: AP)
Taylors Verbündete von der Revolutionary United Front rekrutierten Tausende KindersoldatenBild: AP

Wahrheit, Verantwortung, Versöhnung. Große Worte, hohe Erwartungen. Die Menschen suchen nach Antworten. Nach ihrer verloren gegangenen Würde. Die will ihnen das UN-Sondergericht für Sierra Leone zurückgeben. Hauptangeklagter ist Charles Taylor – verhaftet 2006, nach seiner missglückten Flucht aus dem Exil in Nigeria.

30.000 Seiten Anklageschrift, elf Anklagepunkte. Rekrutierung von Kindersoldaten, Vergewaltigung, Mord, Zwangsarbeit, kurz: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dass diese Gräueltaten geschehen sind – daran besteht kein Zweifel. Doch die Anklage muss beweisen, dass diese Taten Taylor unmittelbar anzulasten sind.

Was ist Taylor anzulasten?

Natürlich ist Taylor nicht allein für den Krieg in Sierra Leone verantwortlich. Aber Foday Sankoh, Rebellenführer der RUF, starb im Gefängnis und entging seinem Urteil, andere mutmaßliche Schlächter sind untergetaucht oder wurden notgedrungen für tot erklärt. So wird der Prozess gegen Liberias Ex-Präsident Taylor zum Symbol – zum Juwel in der Krone, wie Juristen der Vereinten Nationen sagen. Zur Messlatte für Gerechtigkeit - so nennt es Peter Andersen, Sprecher des Sondergerichts in Freetown. Lange Zeit hätten Menschen mit viel Macht keine Strafe fürchten müssen, sagt er. "Genau das ändern wir mit dem Special Court. Es ist egal, wer du bist, du kannst verurteilt werden! Auch als Staatsoberhaupt. Wir machen wichtige Fortschritte im Kampf gegen die Straflosigkeit in diesem Land."

Charles Taylor - die ganze Region hat Angst vor diesem Mann. Daher findet der Prozess nicht im schicken Prozessgebäude von Freetown statt, sondern in Den Haag. Viele Menschen verstehen das nicht – und auch wenn sie die Verhandlung auf der Videoleinwand im Sondergericht verfolgen, das aussieht wie ein unbekanntes Flugobjekt – sie haben das Gefühl, dass das Recht noch immer nicht zurück ist in Sierra Leone.

Glaubwürdigkeitsproblem und Geldnot

Das Sondergericht für Sierra Leone wurde nach den Erfahrungen mit dem Strafgerichtshof für Jugoslawien einberufen. Jenes Gericht hat viel Geld verschlungen und war eben sehr weit weg vom Ort des Geschehens. "Deshalb wurde das Sondergericht in Freetown gebaut, um es eben genau anders zu machen", sagt Mohammed Suma. Er ist Direktor der Special Court Monitoring Group, eine Organisation, die die Arbeit des Sondergerichts kritisch begleitet. "Und jetzt hat man auch den Menschen in Sierra Leone das Recht weggenommen, weil sich doch alles in Den Haag abspielt. Das führt die Gründungsidee des Special Court ad absurdum."

Und das Gericht hat neben der Glaubwürdigkeit noch ein Problem: massive Geldnot. Für den nächsten Monat können kaum die Gehälter gezahlt werden. "Wir gehen mit dem Hut rum", sagt Peter Andersen. Zwingen, Geld zu geben, könne man niemanden - es handelt sich schließlich um freiwillige Beiträge der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. "Aber fest steht: Wir haben dieses Mandat, diejenigen zu bestrafen, die Verantwortung tragen für die schlimmsten Verbrechen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Anders kann man das, was hier passiert ist, eigentlich auch nicht nennen."

Es gibt noch keinen Plan B

Diamantenschürfer in Sierra Leone (Foto: AP)
Taylor brachte Waffen und wollte Sierra Leones DiamantenBild: AP

Nach der Anklage ist am Montag (13.7.2009) nun Taylors Verteidigung an der Reihe. Zwei Wochen - oder länger - will Taylor höchstpersönlich aussagen, als Kronzeuge alle Schuld von sich weisen. Es wird schmerzhaft sein, das auszuhalten, was die Juristen der UN "due process of law" nennen – ein faires Verfahren. Jabati Mambou will dabei sein und Taylor in die Augen schauen – wenn er das Geld für den Flug zusammenbekommt. "Ich hoffe, dass er mindestens 150 Jahre hinter Gitter muss. Das bringt mir meine Hand nicht zurück, aber ich würde spüren, dass es so etwas wie Gerechtigkeit gibt."

Aber im Verfahren gegen Taylor könnte es durchaus sein, dass der Angeklagte am Ende freigesprochen wird. Das entscheiden die Richter. Doch in Sierra Leone will das niemand laut sagen. Und glauben schon gar nicht.

Wenn Taylor verurteilt wird, will Großbritannien ihm eine Zelle freimachen. Für den Fall eines Freispruchs gibt es noch keinen Plan B. Es ist, als nehme Taylor Sierra Leone ein zweites Mal in Geiselhaft – als zwinge er das ganze Land, den Atem anzuhalten. Versöhnung sieht anders aus.

Autor: Alexander Göbel

Redaktion: Manfred Götzke