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Schrille Pfeifen aus dem Sauerland

Klaus Deuse26. Juni 2012

Der einzige deutsche Hersteller von Signal- und Trillerpfeifen entwickelte die ultimative Schiedsrichterpfeife. Aber nicht nur auf dem Fußballfeld ist die Firma erfolgreich, auch am Hindukusch kann man die Pfeifen hören.

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Verkaufsleiter Heinz Liebold hält eine Schiedsrichterpfeife in der Hand. Die Metallfirma MBZ Obernahmer aus dem sauerländischen Nachrodt-Wiblingwerde bei Iserlohn rüstet einige der Unparteiischen mit ihrem "Handwerkszeug" aus , Foto: dpaBildfunk+++
Bild: picture-alliance/dpa

Bei der Fußball-Europameisterschaft kann sich kein Spieler herausreden, den Pfiff des Schiedsrichters nicht gehört zu haben. Denn mit einer Frequenz von 4.000 Hertz lässt sich die "Lübold 600" einfach nicht überhören. Dass bei der Entwicklung dieser Pfeife ein Orgelbauer seine Hände mit im Spiel gehabt haben soll, scheint kaum vorstellbar. Doch bei einer Pfeife kommt es nicht auf harmonische Klänge an, sondern auf ein durchdringendes Signal. Deshalb greifen Schiedsrichter bei der EM zur lautstarken "Lübold 600", die vom Metallbauunternehmen MBZ Obernahmer im Sauerland hergestellt wird.

Verkaufsleiter Heinz Liebold weiß genau, was Schiedsrichter in erster Linie von einer Pfeife erwarten: einen unverwechselbaren Klang, der auf dem Spielfeld auch den Lärm von den Zuschauerrängen übertönt. In der Sauerländer Pfeifenschmiede kennen sich die Mitarbeiter mit diesen Anforderungen seit langem aus. Schon mit dem Modell 005 setzte man auf den Fußballplätzen dieser Welt akustische Maßstäbe. Die "Argentina 78" kam, wie der Name schon erahnen lässt, bei der Weltmeisterschaft in Argentinien zum Einsatz. Bewährt hat sich die "Argentina 78" übrigens noch 2010 bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, als sie sich auf dem Spielfeld selbst gegen die Geräuschkulisse der Vuvuzelas durchsetzte.

Ein schrecklicher Ton aus drei Kammern

Aber nun zur Europameisterschaft konnte man den Schiedsrichtern mit der "Lübold 600" eine noch leistungsstärkere Pfeife an die Hand geben. Das Besondere an dieser Neuentwicklung besteht darin, dass man auf die Luft verwirbelnde Korkkugel aus dem Erfolgsmodell 005 verzichtet hat. Zwei Jahre hat man mit Unterstützung des schon erwähnten Orgelbauers und einem Modellbauer an einer Pfeifen-Innovation herumgetüftelt. Die Lösung lautete: ein Drei-Kammer-Modell. "Diese Kammern", erklärt Heinz Liebold, "erzeugen drei verschiedene Töne. Die Luft wird in diesen Kammern verwirbelt und es kommt dann ein schrecklicher Ton raus. Und den braucht man für Fußballspieler".

Peter Kalle, einer von den sieben Trillerpfeifenmonteuren im Sauerländer Werk, attestiert: "Der Ton ist einfach ekelhaft." Mit anderen Worten: für den Zweck absolut gelungen. Die "Lübold 600" ist nämlich lauter als gewöhnlicher Discolärm. Und das will allerhand heißen. Bei den Schiedsrichtern findet diese Pfeife großen Anklang, merkt Verkaufsleiter Liebold zufrieden an. "Sie sind vollkommen überrascht, dass man so eine schöne Pfeife in traditioneller Form machen kann."

Viel Handarbeit

Wie immer die Elf von Bundestrainer Jogi Löw bei dieser Europameisterschaft letztlich abschneidet, bei den Pfeifen auf dem Feld hat Deutschland die Nase vorn. Im Unterschied zu kanadischen Konkurrenzprodukten schätzen Schiris nämlich die "Lippenhaftigkeit" der Pfeifen aus dem Sauerland. Deren Vorteil besteht in den angerauten Seitenflächen. Mit diesen sogenannten Lippenstoppern können die Schiris die "Lübold 600" auch beim Laufen im Mund halten und bei Bedarf sofort drauf los pfeifen. Die Pfeifen aus Kanada dagegen lassen sich nur mit den Zähnen festhalten. Für Schiedsrichter, weiß Heinz Liebold, ist eine Pfeife mehr als nur ein notwendiges Arbeitsutensil. Zwischen Schiri und Pfeife, sagt der Verkaufsleiter, müsse nun mal die Chemie stimmen.

Viele dieser Schiri-Pfeifen werden darum weiterhin in Handarbeit hergestellt. Also stanzen die sieben Mitarbeiter das Metall, biegen die Streifen an Hebeln zur guten alten Pfeifenform. Danach wird gelötet, genietet und galvanisiert. Zu guter Letzt werden die Mundstücke geklebt. Schiedsrichter, sagt Heinz Liebold mit einem Schmunzeln, wissen genau, was sie wollen. Mal bevorzugen sie ihre Pfeife in Hochglanz, mal im matten Ton. Ein Brasilianer habe sich sein persönliches Exemplar sogar vergolden lassen. Erfüllt wird fast jeder individueller Wunsch. Nur an dem durchdringenden Ton, da ändert sich nichts.

Kunden auch am Hindukusch

Neben Einzelfertigungen produziert man aber auch jede Menge Pfeifen aus Plastik für die Schiris. Pro Tag spucke die Maschine rund 3.000 Stück aus. Allerdings kann man nach den Worten von Mitarbeiter Peter Hofmann auch nicht an der Nachfrage vorbei produzieren. "Bei 200 Arbeitstagen kämen wir auf rund 600.000 Pfeifen. Ich glaube nicht, dass es 600.000 Schiedsrichter gibt in der Bundesrepublik, die dann auch jedes Jahr ihre Pfeife verlieren."

Insofern trillert das Unternehmen mit seinen Signalgeräten auch auf anderen Feldern. Ob bei der Deutschen oder der Schweizerischen Bahn oder im Strafvollzug. Und bald auch am Hindukusch. Vermittelt von der Bundeswehr fertigen die Mannen um Heinz Liebold Messingpfeifen für die afghanische Polizei. Eine Dreitonpfeife, die man eigentlich für den Schwimm- und Volleyballsport entwickelt habe. Hauptsache, man bleibt im Geschäft.