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Politische Reaktionen aus Berlin

15. November 2011

Nach der Serie von Morden an Migranten und einer Polizistin nimmt der Druck auf die Ermittlungsbehörden und die Politik zu. Kritik wird laut, die Ermittler seien "auf dem rechten Auge stockblind".

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Bekennervideo der Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Foto: dapd
Bild: dapd

Nachdem eine Serie von Brandanschlägen auf den Nahverkehr rund um Berlin im Oktober 2011 eine Kontroverse über linksextreme Gewalt losgetreten hat, debattiert Deutschland jetzt über eine Serie von Terroranschlägen von rechts. Der Anlass: Hinter einer Mordserie an neun Ausländern und einer Polizistin soll laut Bundesanwaltschaft eine Gruppe rechtsextremer Terroristen stecken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel in Leipzig Foto: Peter Kneffel
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in LeipzigBild: picture-alliance/dpa

"Terrorismus im rechtsextremen Bereich ist eine Schande, das ist beschämend für Deutschland", sagte die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel am Montag (14.11.2011) auf dem CDU-Parteitag in Leipzig. Sie kündigte zudem an, ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei NPD prüfen zu lassen. Tags zuvor hatte sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen umfassende Aufklärung angekündigt. "Das sind wir denen, die ums Leben gekommen sind, schuldig."

Warum handelte der Verfassungsschutz nicht?

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach unmittelbar nach Bekanntwerden der mutmaßlichen Neonazi-Mordserie am Wochenende erstmals von Rechtsterrorismus in Deutschland. Vieles spreche dafür, sagte er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, "als ob wir es tatsächlich mit einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrorismus zu tun haben".

Andrea Nahles, Generalsekretärin der oppositionellen Sozialdemokraten, warf den staatlichen Ermittlungsbehörden des Verfassungsschutzes vor, jahrelang die Augen vor rechtsextremer Gewalt verschlossen zu haben. "Es ist zumindest einiges an Merkwürdigkeiten aufgetreten", sagte sie im DW-TV-Interview, was den Schluss nahe lege, "dass wieder einmal öffentliche Institutionen auf dem rechten Auge blind sind."

Acht Mordopfer terroristischer Gewalt Foto: Bernd Thissen
Sind sie Opfer rechtsterroristischer Gewalt?Bild: picture alliance/dpa

Das sieht Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anders. Die Liberale sicherte bereits am Montagmorgen (14.11.2011) im Deutschlandfunk-Interview eine "zügige, aber auch brutalst mögliche Aufklärung" zu. Öffentlichen Forderungen, den Verfassungsschutz aufgrund seines vermeintlichen Versagens zu schließen, erteilte sie eine Absage. Man werde aber darüber reden müssen, ob die Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der 16 Länderverfassungsschutzämter wirklich optimal organisiert sei, sagte sie. "Vielleicht muss man auf Länderebene mehrere zusammenschließen mit einer dann noch klareren Schlagkraft."

Werner Patzelt, Politologe an der Technischen Universität Dresden und Rechtsextremismus-Forscher, sagte am Sonntag im Zweiten Deutschen Fernsehen den Ermittlungsbehörden großen Ärger voraus, "wenn sich zeigen sollte, dass manche von den verdeckten Ermittlern nicht dem Verfassungsschutz gegenüber loyal gewesen sind, sondern im Hintergrund ein Abschirmen des rechtextremistischen Untergrundes stattgefunden hat".

Prävention gegen Rechts vergessen?

Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner sagte im DW-TV-Interview am Montag, bislang sei das terroristische Potential rechtsmilitanter Gruppen grob vernachlässigt worden. "Dort wo eine mit Gewaltbereitschaft ausgerüstete Nazi-Kameradschaft besteht, ist das Potential für eine terroristisch orientierte Gewaltzelle gelegt", sagt Wagner, der in Berlin das Aussteigerprogramm "Exit" für Rechtsextreme gegründet hat.

Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der Sozialdemokraten im Bundestag Foto: Wolfgang Kumm
Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im BundestagBild: picture-alliance/dpa

Die Opposition wirft der Bundesregierung eklatante Versäumnisse im Kampf gegen rechte Gewalt vor. "Wir hatten ja schon im vergangenen Jahr 16.000 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund, und trotzdem hat die Bundesregierung die Mittel für die Bekämpfung des Rechtsextremismus vor Ort um zwei Millionen Euro gekürzt", rief der Sozialdemokrat Thomas Oppermann am Montag (14.11.2011) im ZDF-Morgenmagazin in Erinnerung. Er hatte zuvor als Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste eine Sondersitzung einberufen.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hält dagegen die bestehenden staatlichen Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus für ausreichend. "Mit 24 Millionen Euro ist der Etat gegen Rechtsextremismus dieses Jahr fast fünf Mal so hoch wie der gegen Linksextremismus", sagte sie der Zeitung "Rheinische Post" (Dienstagsausgabe).

Neuer Anlauf für NPD-Verbot gefordert

Quer durchs politische Spektrum ist in Deutschland die Debatte um einen neuerlichen Anlauf für ein Verbotsverfahren für die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wieder aufgeflammt. Die NPD gilt als prominentester politischer Arm der rechtsextremen Szene in Deutschland. Und sie wird, solange die Partei nicht offiziell verboten ist, bei Wahlerfolgen aus Steuermitteln teilfinanziert. "Die NPD zu verbieten ist nicht einfach, aber das ist eine Herausforderung, die die deutsche Politik annehmen muss", sagte der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, am Montag (14.11.2011) der Nachrichtenagentur DPA.

Im Jahr 2001 strengte eine politische Mehrheit in Bundestag und Bundesrat schon einmal ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei an. Der Vorwurf lautete damals, die Partei betreibe verfassungsfeindliche Propaganda (Volksverhetzung). Das Verbotsverfahren scheiterte 2003 an Bedenken des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter erkannten die vorgebrachten Beweise der Kläger nicht an.

Zustimmung zu einem neuerlichen Verbotsantrag kam auch aus Kreisen der Sicherheitsbehörden selbst. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, sagte am Montag der "Passauer Neuen Presse", ein NPD-Verbot würde den Sicherheitsbehörden helfen. "Eine braune Terrorzelle wird man mit einem neuen Verfahren sicherlich nicht verhindern können", sagte er. "Ein NPD-Verbot wäre aber ein schwerer Schlag für die gesamte rechtsextreme Szene in Deutschland."

Der Bundesvorsitzende der Gruenen Cem Oezdemir in Berlin (Foto: dapd)
Der Bundesvorsitzende der Grünen Cem ÖzdemirBild: dapd

Grünen-Chef Cem Özemdir zeigte sich skeptischer. Er regte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, ernsthaft über ein NPD-Verbotsverfahren nachzudenken. Wichtiger sei allerdings eine Diskussion darüber, welche gesellschaftliche Bedeutung die NPD und die Rechtsradikalen insbesondere in Ostdeutschland hätten.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich indes wenig zuversichtlich, dass die rechtlichen Grundlagen für ein solches Verfahren bereits geklärt seien. "Das NPD-Verbot ist vor mehreren Jahren gescheitert wegen verdeckten Ermittlern, weil man nicht mehr zurechnen konnte, was kommt wirklich von Angehörigen der NPD und was von V-Leuten", sagte Leutheusser-Schnarrenberger im Deutschlandfunk. "Das muss beseitigt werden, vorher brauchen wir überhaupt nicht über ein NPD-Verfahren neu nachzudenken."

Autor: Richard A. Fuchs (dpa, dapd, rtr)

Redaktion: Kay-Alexander Scholz, Martin Schrader