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Schoßgebete

12. August 2011

"Feuchtgebiete" hieß der erste Roman von Charlotte Roche. Er provozierte mit Sex und Ekel - und wurde das, was man einen Megaseller nennt. An diesen Erfolg soll nun der zweite Roman der ehemaligen Moderatorin anknüpfen.

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Ein Stapel Bücher des neuen Romans 'Schossgebete' der Autorin Charlotte Roche, aufgenommen am Mittwoch (10.08.2011) in einer Buchhandlung in Berlin (Foto: dapd)
Bild: dapd

Es ist kurz vor zehn Uhr morgens. Eine Mitarbeiterin des Kulturkaufhauses Dussmann, eine der größten Buchhandlungen in Berlin, zieht einen Wagen mit grauen Plastikboxen hinter sich her, um das Schaufenster zu dekorieren. Auch hier soll der neue Roman von Charlotte Roche prominent platziert werden. Im restlichen Geschäft stapeln sich bereits die druckfrischen Exemplare der "Schoßgebete", vor allem im Eingangbereich. "Das ist unser Premium-Tisch", erklärt Bianca Krömer. "Das ist der Tisch, auf den alle Kunden zulaufen und der uns den größten Umsatz beschert." Gestern lagen hier noch sieben aktuelle Bestseller, jetzt nur noch der eine Titel.

Die Autorin Charlotte Roche (Foto: dpa)
Radikal ehrlich: Charlotte RocheBild: picture alliance/dpa

Bianca Krömer arbeitet seit mehr als fünf Jahren für die Großbuchhandlung und hat schon so einige Bestseller kommen und gehen sehen. Dass der Premium-Tisch mit nur einem einzigen Titel am ersten Verkaufstag bestückt wird, kommt ziemlich selten vor. Auch, dass rund 1000 Exemplare vorab bestellt werden, wie im Fall der "Schoßgebete". Das neue Buch von Charlotte Roche ist sozusagen ein Bestseller mit Ansage, der Versuch, an den Überraschungserfolg des Debütromans "Feuchtgebiete" anzuknüpfen. Der verkaufte sich rund zwei Millionen mal. Die Erstauflage von "Schoßgebete" liegt bei einer halben Million - möglicherweise die höchste, die das Buch eines deutschsprachigen Autors bisher erreicht hat.

Kalkulierter Verkaufserfolg

Ob die Erwartungen des Verlags und der Buchhandlungen sich erfüllen werden? Bianca Krömer nickt zuversichtlich. Sie rechnet noch bis Ladenschluss mit dreistelligen Verkaufszahlen. Krömer weiß aber auch, dass es nicht leicht ist, an den vorherigen Erfolg von Roche anzuknüpfen. "'Feuchtgebiete' war ja wirklich eine große Überraschung. Da kommt diese ehemalige Fernsehmoderatorin daher, bricht alle Tabus und schreibt über Dinge in einer Form, wie man es so tatsächlich noch nicht so oft gelesen hat."

Die Überraschung war umso größer, da Rezensenten generell in Frage stellten, dass dieses schlüpfrige Buch über Intimrasur und Hämorriden als Literatur anzusehen sei. Ekelig empfanden auch viele Leser die detailgenauen Beschreibungen. An diesem Vormittag gibt in der Berliner Buchhandlung keiner der Angesprochenen offen zu, "Feuchtgebiete" gelesen oder gar gekauft zu haben. Und auch von "Schoßgebete" will vor dem Reportermikrofon keiner etwas wissen. Zwei Millionen verkaufte Exemplare - und keiner will es gewesen sein?

Therapie-Tagebuch einer "Beziehungsterroristin"

Bücherstapel von 'Schoßgebete', zweites Buch von Bestseller-Autorin Charlotte Roche, in dem Berliner Kulturkaufhaus 'Dussmann' (Foto: DW/Nadine Wojcik)
Der Premium-TischBild: DW

"Schoßgebete" mutet wie die erwachsene Fortsetzung von "Feuchtgebiete" an. Letzteres hatte ein knallig pinkes Cover, die Neuerscheinung kommt im tiefen Bordeauxrot daher. Die Protagonistin ist eine Frau in den 30ern, verheiratet, zwei Kinder. Gleich der erste Satz erfüllt die Erwartungshaltung der "Feuchtgebiete"-Fans:

"Wie immer vor dem Sex haben wir beide Heizdecken im Bett eine halbe Stunde vorher angemacht."

Es folgt eine 15-seitige, teils unappetitlich genaue Beschreibung des ehelichen Sexualaktes. Doch dann verlässt die Autorin die Körper-Exzesse und widmet sich dem Seelenleben der Protagonistin und Ich-Erzählerin Elizabeth, die es allen immer Recht machen will: ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrer Therapeutin. Elizabeth stuft sich selbst als "Beziehungsterroristin" ein.

Charlotte Roche bei einer Lesung von 'Feuchtgebiete' 2008 (Foto: DW)
Roche bei einer Lesung von Feuchtgebiete

"Schoßgebete" liest sich wie das Therapie-Tagebuch einer Frau am psychischen Abgrund. Im Zentrum des Romans steht ein Trauma, das auch das Leben von Charlotte Roche bis heute bestimmt: Auf dem Weg zu ihrer Hochzeit sterben ihre drei Brüder bei einem Autounfall. Bisher hat Roche darüber nie öffentlich gesprochen. Nun schreibt sie sich ihre eigene Lebensgeschichte von der Seele, so scheint es zumindest. Die authentischen Schilderungen und die offene Sprache lassen den Leser wie schon in den "Feuchtgebieten" glauben, Protagonistin und Autorin seien identisch.

Skandalöse Stapelware

Nach dem Überraschungserfolg von "Feuchtgebiete" traute niemand der 33 Jahre alten, attraktiven und vorlauten Charlotte Roche einen Folgeroman zu. Das habe sie nur noch mehr angetrieben, erzählte die Autorin jüngst in einem Interview mit dem Magazin "Der Spiegel". Und das, obwohl sie sich selbst nicht als Schriftstellerin, sondern als Hochstaplerin einschätze. Wie dem auch sein - an öffentlicher Aufmerksamkeit und Skandalpotenzial mangelt es auch dem neuen Roman nicht. Und hoch gestapelt wird er auf jeden Fall in den deutschen Buchläden.

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Gabriela Schaaf

Charlotte Roche: Schoßgebete. Roman. München 2011. Piper Verlag. 16,99 €