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Schneidern am Computer

Fabian Schmidt12. April 2014

Modedesigner von morgen entwerfen Schnitte nicht mehr mit Schere und Nadel, sondern mit Maus und Tastatur. Textil-Simulationssoftware liefert in Echtzeit naturgetreue Bilder mit echt wirkendem Faltenwurf.

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Simuliertes Hemd (Foto: Fraunhofer IGD)
Simulierte Stoffe wirken auf dem Computer wie echtBild: Fraunhofer IGD

Schere, Nadel und Schneiderpuppe gehören in der Bekleidungsindustrie der Vergangenheit an. Modeschöpfer entwerfen heute ihre Kollektionen am Computer - mit Simulationssoftware. "Es ist eine komplexe Angelegenheit, die natürlich ganz anders ist, als bei Stahl oder festen Materialien", erklärt Jörn Kohlhammer vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt. "Textilien haben eine eigene Struktur. Je nachdem, wie die Fasern verarbeitet sind, und welche Elastizität sie haben, fällt der Stoff anders oder zieht sich anders, wenn er bewegt wird."

Von der Faser zum gesamten Stoff

Verschiedene simulierte Stoffe (Foto: Assyst)
Die Simulation zeigt auch wie verschiedene Textilschichten aufeinander wirkenBild: Assyst

Der Informatiker führt auf der Hannover Messe eine Software vor, die er und seine Kollegen vom Fraunhofer IGD zusammen mit der Firma Assyst entwickelt haben und die bereits heute in großen Bekleidungsunternehmen zum Einsatz kommt. Damit alles so naturgetreu wirkt wie möglich, beginnt die Simulation der einzelnen Stoffe bereits mit der Faser, die darin eingewebt ist.

"Ob ich einen Jeansstoff habe oder Seide ist natürlich ein himmelweiter Unterschied", sagt Kohlhammer und greift sich auf dem Bildschirm den Zipfel eines Kleides. Dann wirft er mit dem Cursor den Stoff hin und her. Der wirft Falten, schmiegt und bewegt sich als wäre es in der wirklichen Welt.

Seide wirkt anders als Leinen

"In der Bewegung sehen sie hier einen sehr weichen Stoff. Wir haben sofort ein Gefühl dafür, was für eine Art von Stoff das wohl ist: Eine samtartige Stoffart", sagt der Informatiker. "Wäre es ein Jeansstoff, würde ich ein sehr viel flacheres Bild sehen. Auch die Faltenwürfe hier, mit den Schattenwürfen, sind für die Designer extrem wichtig, um zu entscheiden: Ist das jetzt der Faltenwurf, den ich möchte oder nicht?"

Außerdem kan Kohlhammer die Farbgebung einzelner Fasern ändern. "Das gibt ein sehr realistisches Bild für ganz bestimmte Textilien", sagt er. Beim späteren Berechnen des Verhaltens ganzer Kleidungsstücke wird das Computermodell allerdings vereinfacht. Dann wird nicht mehr jede Faser einzeln berechnet, sondern das Stoffverhalten als ganzes, erklärt der Informatiker, "ansonsten könnten wir keine schnelle und flüssige Echtzeitsimulation mehr hinbekommen".

Schnittmuster wie beim klassischen Schneider

Den Entwurf beginnt ein Designer ganz ähnlich wie ein klassischer Schneider mit dem Schnittmuster. Dann errechnet der Computer anhand der Schnitte wie das Kleidungsstück an dem jeweiligen Menschen aussieht. Auch den kann nämlich der Computer so darstellen wie er wirklich aussieht: Nicht immer nur wie ein Mannequin, sondern gern auch mal etwas fülliger.

Ein Frauenkleid am Computer entsteht (Foto: Assyst)
Wenn der Designer die Nähte des Schnittmusters verbindet, fügt sich auch das Kleid am Torso zusammenBild: Assyst

Kohlhammer nimmt die Maus und führt auf den Schnittmuster einzelne Nähte zusammen, er näht praktisch virtuell den Stoff zusammen: "Der Designer ändert einzelne Linien am Schnitt, zieht sie zusammen und definiert die Nähte. Das ist eine wichtige Information für den Simulator, dass der weiß wie die einzelnen Teile vernäht werden müssen", sagt er.

Daraufhin entsteht auf dem Bildschirm an einem Torso Stück für Stück ein komplettes Kleid. "Das ist ein ganz wichtiger Schritt bei der 3D-Echtzeitsimulation. Wenn der Simulator die Nähte zusammen zieht, bekomme ich ein in Echtzeit bewegbares Textil."

Nächster Schritt: Faserverstärkte Bauteile

Nur bei Kleidungsstücken wollen Kohlhammer und seine Kollegen mit ihrer Textilsimulation allerdings nicht stehen bleiben. Sein Ziel ist es, das gewonnene Know-how jetzt auch in ganz andere Produktbereiche zu übertragen, in denen es um das Verhalten von Fasern geht.

Zum Beispiel könnten das Industriebauteile aus faserverstärkten Kunststoffen - wie etwa Carbon, Glasfasern oder Viskose - sein. Dann könnte die Software auch für Simulationen im Maschinenbau oder zum Beispiel für Flugzeug- oder Schiffsmodelle zum Einsatz kommen - oder auch bei der Entwicklung von Autoreifen.