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Schnee von gestern

22. Dezember 2009

Das zu Ende gehende Jahrzehnt ist das bislang wärmste weltweit seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Schnee wird es bald nicht mehr geben. Auch Weiß ist vom Aussterben bedroht. Ein Nachruf zu Lebzeiten.

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Ein kleiner Schneemann (Quelle: dpa)
Ein kleiner, trauriger Schneemann - bald verlässt er unsBild: dpa

Schneeweiße Berge auf Erden sind wie tiefschwarze Löcher im All. Es gibt sie - wird behauptet - aber gesehen haben sie die wenigsten. Machen wir uns nichts vor: Schnee ist - Schnee von gestern. Selbstverständlich müssen wir nicht auf Schnee verzichten. Schnee wird in der Fernsehwerbung weiterhin eine große Rolle spielen, ähnlich wie blitzblanke Küchenspülen oder schlankmachende Süßigkeiten - auch alles Dinge, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Die aber Sehnsucht wecken. Ach, wie schön wäre es, wenn es sie gäbe...!

Winterpracht, Schneeballschlacht - von wegen

Glöckchen klingen / Englein singen / Flöckchen wirbeln / und an seinem Barte zwirbeln / sieht man den Weihnachtsmann bequem / jetzt rückt ins Bild das "Coke"- Emblem...

Wir glauben ja nicht an den Weihnachtsmann. Und erst recht nicht an den von Coca Cola. Warum an die Weiße Weihnacht?! Weiße Weihnacht existiert im "Christmas Wonderland", im Wunderland. Weiße Weihnacht ist wie ein Sechser im Lotto, bloß, dass der Schneefall kein Glücksfall ist. Man muss Schnee schippen, Granulat streuen und das Auto aus dem matsch-nassen Flockenhaufen zerren, unter den es dank der Straßenräummaschine geraten ist. Der Mensch rutscht auf der Straße herum und sieht sich zudem noch zu Freude genötigt, wenn der Nachbar ihm zuruft: "Ist das nicht schön, endlich wieder weiße Weihnachten!"

Wunderschön... Vorbei... Schlimm?

Steinlawine in den Dolomiten (Quelle: AP)
Früher war hier eine Piste und er ging rodelnBild: AP

Wir verlieren (ein) Nichts

Schnee ist im Flachland selten geworden, wird mehr und mehr pure Illusion. Diese sich verdichtende Tatsache findet in der Wissenschaft ihre Entsprechung: Weiß - die Farbe des Schnees - zeichnet sich durch das Fehlen von Farbstoff aus. Gibt es eine Farbe ohne Farbstoff? Nein. Also gibt es Weiß nicht. Schnee ist weiß. Wenn es keinen Schnee mehr gibt, gibt es etwas nicht mehr, das es schon vorher nicht gegeben hat. Warum sind Gespenster immer weiß? Weil es sie nicht gibt.

Wir müssen das verstehen lernen. Es tut immer weh, sich von etwas Vertrautem zu trennen, auch wenn es das Vertraute nur als Illusion gab. Noch gebärden sich die Menschen trotzig: Es stört sie nicht, dass die Polklappen schmelzen, denn die sind weit weg, aber hier und nur hier hätten sie bitte gerne einmal Schnee. Sofort. Zum Abseufzen. Nicht zum Wegschippen.

Ein Wakeboarder im Weihnachtsmann-Kostüm. (Quelle: dpa Report)
So sieht die Zukunft ausBild: picture-alliance/dpa

Morgen, Kinder wird’s nichts geben

Und in einer gar nicht so fernen Weihnachtszeit - der Coca-Cola-Weihnachtsmann ist gerade auf seinem dicken Schlitten vorbeigefahren, mit weißem Rauschebart, in Shorts und Badelatschen - werden wir hören, wie es aus fröhlichen Kinderkehlen über nie mehr kälteblaue Lippen uns entgegen schallt, auf eine alte Schlafliedmelodie: "Schmilz Schnee, schmilz / der Klimagipfel will’s ..."

Das ist traurig.

Weiß, wir werden dich vermissen.

Autor: Stefan Reusch

Redaktion: Ramón García-Ziemsen