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Schmidtke: "Da wird gemauschelt"

Melanie Last (aus Rio)13. September 2016

Der deutsche Schwimmer Torben Schmidtke will am Donnerstag bei den Paralympics in Rio Gold holen. Gegenüber der DW kritisiert Schmidtke die Klassifizierung der Behindertensportler und spricht sogar von Betrug.

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Torben Schmidtke beim Training in Rio de Janeiro. Foto: dpa-pa
Torben Schmidtke hofft auf eine Medaille bei den ParalympicsBild: picture-alliance/dpa/J.Buettner

Seine Prothese hat er an den Startblock gestellt. Wie immer, bevor er ins Wasser springt. Torben Schmidtke hat Dysmelie, eine angeborene Fehlbildung. Seine Beine sind verkürzt. An seiner linken Hand hat er nur drei Finger, der Arm ist dünner. In Schmidtkes Startklasse SB6 treten Brustschwimmer an, die in ihren Behinderungen von Ärzten und Physiotherapeuten nach einem System ähnlich eingeschätzt wurden. "Dass da natürlich auch gemauschelt wird, ist klar!", ist der 27-Jährige überzeugt. Einige Kollegen strengten sich in den Klassifizierungstests einfach nicht an und würden verbergen, was sie tatsächlich könnten, sagt Schmidtke.

Klassifizierung entscheidet über Karrieren

So können Welt- und Europameister gemacht werden - und Sieger bei den Paralympics. Nämlich dann, wenn ein Sportler falsch und in eine für ihn günstigere Startklasse eingestuft wurde. Umgekehrt zerstört das System auch Karrieren. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) weiß um die Kritik am Klassifizierungssystem. Dennoch hält es der medizinische Direktor der IPC, Peter van de Vliet, für "absolut sicher". Gleichzeitig räumt er ein, die Testergebnisse seien nicht nur von der Tagesform des Sportlers abhängig, sondern auch von den Prüfern: "Es ist ganz komplex und schwierig, zu analysieren." Ist damit Betrug vorprogrammiert?

Neues System geplant

Das IPC hat angekündigt, das viel kritisierte System zu ändern. Für insgesamt 20 Sportarten. Darunter sind auch Leichtathletik, Biathlon und Sledge Hockey. "Technik und Wissenschaft machen heute mehr möglich. Wir sind es unseren Sportlern schuldig, das System zu überprüfen“, sagt van de Vliet. Das Internationale Paralympische Komitee hat allein für den Schwimmsport zwei Universitäten engagiert, in Australien und in England.

Für die wissenschaftlichen Studien müssen die Athleten zum Beispiel mit neuester Technik unter Laborbedingungen beim Wassertest antreten. Dabei werden sie verkabelt durch das Schwimmbecken gezogen, um den Widerstand auf ihrem Körper zu messen. Ist der groß, gibt es entsprechend weniger Punkte. Etwa wenn ein Sportler querschnittgelähmt ist. Dann liegen seine Beine tiefer im Wasser als bei einem nicht querschnittgelähmten Schwimmer. Schummeln ist so kaum noch möglich Ähnliche Messungen werden beim Sprung vom Startblock, während des eigentlichen Schwimmens und bei der Wende durchgeführt. Aus all diesen Tests und Messungen ergibt sich dann ein Gesamtwert. Der entscheidet neben den medizinischen Untersuchungen über die Startklasse.

Start eines Rennens mit Schmidtke. Foto: dpa-pa
Beim Start haben einige Konkurrenten gegenüber Schmidtke (r.) VorteileBild: picture-alliance/dpa/B.Martin

Reformierte Startklassen in Tokio?

Noch sind die wissenschaftlichen Untersuchungen nicht abgeschlossen. Aber in zwei Jahren soll es so weit sein. Dann will das IPC mit der neuen Klassifizierung weltweit starten. Ein riesiger logistischer Aufwand. Das Komitee muss garantieren, dass weltweit alle nationalen Verbände mit den neuen Messgeräten ausgestattet sind. Außerdem muss das IPC die internationalen Klassifizierer entsprechend schulen. Gleiche Ausbildung für alle, die schließlich über die Startklassen und damit über Karrieren entscheiden. Professionell und unabhängig. Gleiche Tests für alle Sportler, die bei internationalen Wettkämpfen antreten. Fair und glaubwürdig.

Für Rio kommt das reformierte Klassifizierungssystem zu spät. Auch für Tokio 2020 wird es eng. Der neue paralympische Zyklus startet schon im kommenden Jahr. Spätestens dann müssen die Athleten wissen, in welche neue Startklasse sie eingestuft werden, um ihr Training wenn nötig entsprechend anzupassen. Ob Torben Schmidtke in vier Jahren noch dabei ist, weiß er nicht. Was jetzt für ihn zählt, ist Rio. Auch wenn er nicht daran glaubt, dass das jetzige System gerecht ist. Nach Silber in London auf seiner Paradestrecke über 100 Meter Brust will er in Brasilien endlich Gold holen.

Riesenvorteil für den Riesenkerl

Im Frühjahr ist Schmidtke Weltjahresbestzeit geschwommen - gegen den ukrainischen Weltrekordhalter Yevheniy Bohodayko. "Ein Riesenkerl ist das", sagt Schmidtke, der beinahe einen Kopf kleiner ist als sein größter Konkurrent. Bohodayko hat zwar einen verkürzten rechten Arm, aber zwei gesunde Beine. Beim Start hat der Ukrainer ein Riesenvorteil, weil er viel besser vom Block abspringen kann als Schmidtke. Der muss beim Schwimmen alles rausholen. Das Zeug dazu hat er.