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Magnus Gäfgen fordert Schmerzensgeld

4. August 2011

Die Polizei drohte Magnus Gäfgen Gewalt an: Er sollte verraten, wo er sein Entführungsopfer versteckt hielt. Doch da hatte Gäfgen den kleinen Jakob längst getötet. Jetzt will der Mörder für die Drohungen Schmerzensgeld.

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Magnus Gäfgen (Foto: dpa)
Magnus Gäfgen fordert SchmerzensgeldBild: picture alliance / dpa

Es ist der 27. September 2002, als der Jurastudent Magnus Gäfgen den kleinen Jakob entführt. Gäfgen kennt Jakobs Schwester und auch den Jungen, beides Sprösslinge der Frankfurter Bankiersfamilie von Metzler. Zu diesen wohlhabenden Kreisen will Gäfgen auch gehören, aber dazu braucht er Geld. In seiner Wohnung erstickt Gäfgen den 11-Jährigen. Dann verlangt er von Jakobs Eltern eine Million Euro Lösegeld.

Doch der Plan geht nicht auf: Gäfgen wird nach der Geldübergabe gefasst. Da er keine klaren Angaben macht, hoffen die Beamten, dass der Junge noch lebt. Der damalige Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner lässt Gäfgen im Rahmen der Suche nach dem Kind "Schmerzen" androhen. Er soll so dazu gebracht werden, zu verraten, wo der Junge ist. Nachdem Jakob tot gefunden wird, verurteilt ein Gericht Magnus Gäfgen im Juli 2003 zu lebenslanger Haft und stellt dabei die besondere Schwere der Schuld fest.

Ein Foto von Jakob von Metzler liegt am 2. Okt. 2002, umringt von Blumen und Kerzen (Foto: AP)
Das Opfer des Magnus Gäfgen: Bankierssohn Jakob von MetzlerBild: AP

Damit ist eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren auf Bewährung ausgeschlossen; Gäfgen wird Jahrzehnte in Haft bleiben. Im Knast schließt er sein Jurastudium ab. Im März 2011 klagt er auf Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro und Schadenersatz in unbekannter Höhe. Er beruft sich dafür auf eben die Drohungen, die ihm gegenüber ausgesprochen wurden, um sein Opfer noch zu retten. Am Donnerstag (04.08.2011) wird das Urteil erwartet. Über einen Befangenheitsantrag Gäfgens gegen die zuständige Zivilkammer des Landgerichts ist noch nicht entschieden.

Verurteilt, aber nicht vogelfrei

Und das könnte theoretisch zu Gäfgens Gunsten ausfallen, sagt Gerhard Wagner, Professor für deutsches, europäisches und internationales Privatrecht an der Universität Bonn. Für den Anspruch auf Schmerzensgeld spricht ein ganz wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts, so Wagner, nämlich, dass ein Straftäter, der verurteilt worden ist, zwar diese Strafe verbüßen muss. Er werde dadurch nicht vogelfrei in dem Sinne, dass er durch diese Verurteilung alle anderen Ansprüche und Rechte einbüße. Als Beispiel nennt Wagner den Fall eines verurteilten Hauseigentümers: Auch wenn er als Mörder verurteilt würde, behielte er selbstverständlich die Ansprüche auf die Mieteinnahmen.

Wenn Magnus Gäfgen also durch ein - schuldhaftes und rechtswidriges - Verhalten der Beamten eine Körper- oder Gesundheitsverletzung erlitten hat oder dadurch ein schwerwiegender Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht stattgefunden hat, hätte er einen Anspruch auf Schmerzensgeld.

Mit dem Handballen geschlagen

Magnus Gäfgen muss das alles allerdings beweisen. Dazu erklärt er, der Vernehmungsbeamte sei ihm "bedrohlich nah" gekommen und habe ihm gesagt, ein Spezialist sei mit dem Hubschrauber unterwegs, um ihm solche Schmerzen zuzufügen, wie er sie noch nie erlebt habe. Er habe ihn geschubst, mit dem Handballen geschlagen, an der Schulter geschüttelt und dabei mit dem Hinterkopf an eine Wand geschlagen. Dass die Drohungen rechtswidrig waren, hat ein Gericht bereits entschieden. Sowohl der damalige Vizepolizeipräsident Daschner als auch der Vernehmungsbeamte haben sie zugegeben und wurden dafür zu Geldstrafen verurteilt. Der Vernehmungsbeamte streitet aber ab, Gäfgen in der fraglichen Situation überhaupt berührt zu haben. Offenbar waren beide allein im Vernehmungsraum. Ob Gäfgen seinen Anspruch in vollem Umfang beweisen kann, ist fraglich. Was den Umfang des Schadens betrifft, ist auch Gerhard Wagner skeptisch: Schläge mit dem Handballen auf den Oberarm rechtfertigten sicherlich keine 10.000 Euro Schmerzensgeld, so der Zivilrechtler. Und wenn Gäfgen nur wenige Stunden mit der bloßen Drohung leben musste, dass ihm Leid angetan werden würde, werde das ebenfalls den Schmerzengeldanspruch mindern, so Wagner.

Prof. Dr. Gerhard Wagner (Foto: Privat/ Uni Bonn)
Gerhard Wagner forscht und lehrt im Bereich internationales und deutsches PrivatrechtBild: Wagner

Dass die Beamten Gäfgen drohten, um das Kind zu retten, wird wohl nicht als hehres Motiv in die Bewertung des Gerichts einfließen. Denn diese Drohung war ja - wie bereits gerichtlich festgestellt - rechtswidrig. Doch es gibt viele andere wichtige Aspekte, erklärt Wagner. Zum Beispiel die Frage, ob Gäfgen das Verhalten des Täters durch sein eigenes Verhalten herausgefordert hat. Durch die Entführung des Kindes wurde das Verhalten der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden ganz offensichtlich herausgefordert, stellt der Rechtswissenschaftler fest.

Kein Schmerzensgeld für die Eltern

Jakob von Metzlers Eltern – die im Gegensatz zu Gäfgen viel Schlimmeres erlitten haben - könnten übrigens nach deutschem Recht nur dann Schmerzensgeld verlangen, wenn sie nachweisen, dass sie durch den Verlust des Sohnes gesundheitliche Schäden erlitten haben. Der bloße Verlust des Kindes reicht nicht. Und selbst dann wäre es eine - verglichen mit US-amerikanischen Verhältnissen zum Beispiel - eher geringe Summe. Wagner nennt einen Fall, bei dem drei Geschwister von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurden. Die Eltern der drei Kinder erhielten damals 120.000 D-Mark - pro Kind 40.000. Doch abgesehen davon, dass man ein Kind nicht mit Geld ersetzen kann, geht es der Bankiersfamilie von Metzler nicht um Geld. Entsprechend haben sich bisher auch nicht geklagt.

Doch welches Signal ginge von einem Urteil aus, das Magnus Gäfgen Schmerzensgeld zusprechen würde? Der Rechtswissenschaftler Gerhard Wagner wägt ab: Die Klage des Magnus Gäfgen sei sicherlich mehr als geschmacklos, darüber könne man sich zu Recht empören. Abgesehen davon beruhe die deutsche Rechtsordnung wie die allermeisten europäischen und westlichen Rechtsordnungen auf einem rationalen Ansatz, so Wagner. Auch Straftäter werden nicht als Person auf Zeit oder auf immer verdammt, vielmehr verurteile man einzelne Taten nach den dafür maßgeblichen Regeln. Das schütze vor unverhältnismäßigen, willkürlichen und unreflektiert verhängten Strafen, so Wagner. Und daher sollte man an diesem allgemeingültigen Grundsatz festhalten, auch wenn das bedeutet, dass er eben auch für Mörder wie Magnus Gäfgen gilt.

Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Pia Gram