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Schlussspurt oder Verhandlungsmarathon?

16. Oktober 2009

Die Koalitionsgespräche zwischen Union und FDP gehen in die heiße Phase: Bis zum Sonntag sollen wichtige Ergebnisse erzielt werden. Bei den Sicherheitsthemen einigten sich die Parteien zuvor, bei der Gesundheit nicht.

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Symbolbild Schlussspurt Schwarz-Gelb (Montage: DW)
Bild: DW

In allen wichtigen Streitpunkten der Innen- und Sicherheitspolitik gab es am Donnerstag (15.10.2009) eine Einigung, wie Vertreter beider Seiten nach Abschluss der Gespräche erklärten. Darunter war eine Reihe brisanter Themen - etwas das BKA-Gesetz, die Onlinedurchsuchungen, Internetsperren, die Vorratsdatenspeicherung und der Schutz von Berufsgeheimnisträgern. "Wir haben eine gute Lösung in allen Hauptstreitpunkten gefunden", sagte FDP-Innenexperte Max Stadler nach Abschluss der Arbeitsgruppensitzung. Er gehe davon aus, dass der Kompromiss auch in der großen Runde akzeptiert wird.

Neue Regeln für Onlinedurchsuchungen, härtere Jugendstrafen

Kanzlerin Merkel leitet die Gespräche gemeinsam mit CSU-Chef Seehofer (r.) und FDP-Chef Westerwelle (Foto: AP)
Kanzlerin Merkel leitet die Gespräche gemeinsam mit CSU-Chef Seehofer (r.) und FDP-Chef WesterwelleBild: AP

Vorgesehen ist etwa, dass das Bundeskriminalamt (BKA) versucht, kinderpornografische Seiten zu löschen statt sie zu sperren. Für heimliche Onlinedurchsuchungen von Computern muss künftig die Bundesanwaltschaft einen Antrag beim Bundesgerichtshof stellen. Zudem verständigten sich die Unterhändler darauf, dass die Höchst-Jugendstrafe bei Mord von zehn auf 15 Jahre erhöht wird.

Keine Einigung gab es dagegen in der Gesundheitspolitik: Nach mehr als elfstündigen Verhandlungen ging die Arbeitsgruppe Gesundheit am Freitagmorgen ohne eine Verständigung in Kernfragen der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auseinander.

Koalitionsmarathon ohne Aussicht auf schnellen Abschluss

Bis zum Sonntag steht den künftigen Koalitionären nun ein dreitägiger Verhandlungsmarathon bevor. Ursprüngliches Ziel war der Abschluss des Koalitionsvertrages. Inzwischen wird aber nur noch erwartet, dass bei den Sitzungen am Freitag, Samstag und Sonntag die gröbsten Brocken aus dem Weg geräumt werden. Weitere Verhandlungstermine sind für die kommende Woche angesetzt.

ÜBERBLICK: Die bisherigen Entscheidungen - und was noch kommt

Was ist erreicht, was ist noch zu entscheiden? DW-WORLD.DE dokumentiert die wichtigsten Punkte:

  • STEUERN: Wie stark und in welchen Schritten sollen Bürger und Unternehmen entlastet werden? Diese entscheidende Frage ist noch nicht geklärt. Die Union strebt Erleichterungen um 15 Milliarden Euro an, die Liberalen um jährlich 35 Milliarden Euro. Weitgehend einig sind sich Union und FDP über Korrekturen bei der Unternehmens- und Erbschaftsteuerreform. Erwartet werden auch Entlastungen bei der Einkommensteuer.


  • FINANZEN: Die Bankenaufsicht in Deutschland wird künftig unter dem Dach der Deutschen Bundesbank konzentriert. Bisher teilen sich Bundesbank und die Finanzaufsicht BaFin die Bankenkontrolle. Details sind noch offen. Weitgehendes Einvernehmen gibt es auch in Fragen der internationalen Finanzbeziehungen, der Banken-Regulierung sowie der Managervergütung.


  • GESUNDHEIT: Die Zukunft des Gesundheitsfonds und die Finanzierung erwarteter Defizite bei den gesetzlichen Krankenkassen sind weiter offen. Die FDP und Teile der CDU dringen darauf, dass die Wirtschaft nicht weiter belastet wird. Dies könnte darauf hinauslaufen, dass die Kassen den Arbeitnehmeranteil des Beitragssatzes eigenständig erhöhen können und es für die Kassenmitglieder teurer wird. Einig sind sich Union und FDP über straffere Regeln für den Arzneimittelmarkt. Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie sollen erleichtert werden und Sparmöglichkeiten eröffnen.


  • INNERES: Die gespeicherten Telefon- und Internet-Verbindungsdaten der Kommunikationsanbieter dürfen nur bei schweren Gefahren abgefragt werden. Für heimliche Onlinedurchsuchungen von Computern ist künftig die Genehmigung des Bundesgerichtshofs nötig. Die Ermittlungsmethode bleibt allein dem Bundeskriminalamt vorbehalten. Die Höchst-Jugendstrafe wird bei Mord von zehn auf 15 Jahre erhöht und zudem ein sogenannter Warnschussarrest eingeführt. Beim Kampf gegen Kinderpornografie soll das BKA zunächst versuchen, eine Löschung entsprechender Internetseiten zu erreichen, statt diese sperren zu lassen.


  • SOZIALES: Die für Langzeitarbeitslose bislang recht rigiden Anrechnungsregelungen bei Vermögen und Hinzuverdiensten werden entschärft. Das sogenannte Schonvermögen für Hartz-IV-Bezieher, das später auch nicht auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird, steigt auf 750 Euro pro Lebensjahr und wird damit verdreifacht. Mit ihrer Forderung nach Einführung eines Bürgergeldes, das Hartz IV ablösen soll, stößt die FDP dagegen bei der Union auf taube Ohren. Noch offen ist auch, wie Schwarz-Gelb die grundsätzlich bejahte Ost-West-Rentenangleichung bewerkstelligen will.


  • ARBEITSMARKT: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine von der FDP geforderte Lockerung des Kündigungsschutzes und Einschnitte bei der Mitbestimmung bereits abgelehnt. Die Liberalen wollen die Probezeit für Neueingestellte von derzeit 6 auf 24 Monate vervierfachen, erst danach soll der Kündigungsschutz für die Betroffenen gelten. Auch wie man den wachsenden Schuldenberg der Bundesagentur für Arbeit in den Griff bekommen soll und ob es vielleicht höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geben soll, ist noch ungeklärt.


  • FAMILIE: Hauptstreitpunkt ist das vor allem von der CSU verlangte Betreuungsgeld für die Erziehung von Kindern bis zu drei Jahren in den Familien. Die FDP lehnt das ab und plädiert für ein Gutschein-Modell. Konsens ist dagegen, dass das Elterngeld flexibler werden und es mehr Vätermonate geben soll. Einig sind sich die künftigen Partner auch, dass Familien mit Kindern steuerlich entlastet und dass das Kindergeld angehoben werden soll. Ob und in welchem Umfang das sein wird, hängt vor den Finanzspielräumen ab.


  • AUSSEN/VERTEIDIGUNG: Das Thema Wehrpflicht ist zwischen Union und FDP noch strittig. Die FDP verlangt die Aussetzung des Pflichtdienstes für Männer, CDU und CSU halten diesen dagegen für unverzichtbar. Auch über die Forderung der Liberalen nach einem Abzug der US-Nuklearwaffen aus Deutschland gibt es noch keine Einigung. Ein überraschender Kompromiss gelang dagegen bei der strittigen Frage der Integration der Türkei in die EU. In den Koalitionsvertrag soll ein Passus aufgenommen werden, wonach die Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei "ergebnisoffen" geführt werden sollen.


  • ENERGIE: Die Laufzeit von sicheren Atomkraftwerken soll über das Jahr 2022 hinaus verlängert werden. Konkrete Angaben wie Jahreszahlen sind noch strittig und sollen im Koalitionsvertrag nicht genannt werden. Die Atommüll-Entsorgung will Schwarz-Gelb zügig anpacken. So soll das niedersächsische Salzbergwerk Gorleben als mögliches Endlager sofort erkundet werden.


  • AGRAR: Der Anbau von Gen-Pflanzen ist zwischen CDU, CSU und FDP umstritten. Die FDP besteht darauf, dass das Anbauverbot für Genmais gekippt wird. Die CSU fordert, dass letztendlich die Bundesländer selbst über ein Anbauverbot entscheiden können. Für die Milchbauern wurden von den Unterhändlern weitere Hilfen aus EU-Mitteln vereinbart, die von Bund und Ländern mitfinanziert werden sollen.


  • VERBRAUCHERSCHUTZ: Strittig ist, ob Bahnkunden bei Verspätungen früher als derzeit entschädigt werden. Entschieden ist dagegen, dass Schwarz-Gelb die Lebensmittelkennzeichnung verbessern will. Im Kampf gegen Internet-Abzocke soll ein Pflicht-Bestätigungsfeld für Verträge kommen. Als Konsequenz aus der Finanzkrise soll zudem der Anlegerschutz verbessert werden.

Autor: Frank Wörner (dpa/ap/rtr)
Redaktion: Christian Walz