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Schlusslicht Deutschland

19. Januar 2002

Eichels Haushalt steckt in einer Krise. Die schlechte Schuldenbilanz könnte Deutschland bald einen "blauen Brief" aus Brüssel einhandeln.

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Bundesfinanzminister Hans EichelBild: AP

Schüler in Deutschland kennen das: Wer seine Hausaufgaben nicht macht oder ständig schlechte Noten schreibt, bekommt einen blauen Brief. So könnte es demnächst auch Bundesfinanzminister Hans Eichel ergehen. Seine Schuldenbilanz bringt EU-Wirtschaftskommissar Pedro Solbes auf den Plan. Der Spanier wacht in Brüssel über die Neuverschuldung der Mitgliedsstaaten und verschickt im Ernstfall eine formelle Rüge, den so genannten blauen Brief. Ihn bekommt, wer in seinem Land einer Netto-Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts "gefährlich nahe" kommt.

"Besorgnis erregend"

Nach Angaben des statistischen Bundesamts beläuft sich das Minus für 2001 in Deutschland bereits auf 2,6 Prozent. Ein Sprecher des EU-Kommissars nannte das zu erwartende Defizit des Bundeshaushaltes daher auch "Besorgnis erregend hoch". In diesem Jahr könnte es sogar bei 2,7 Prozent liegen, hieß es weiter.

Die Konsequenzen einer Mahnung aus Brüssel könnten unangenehm werden. Der Maastrichter Vertrag sieht vor, dass bei einem "übermäßigen Defizit" entsprechend gegenzusteuern ist. Zunächst flattert dann ein "blauer Brief" in Eichels Briefkasten. Wird die Drei-Prozent-Grenze überschritten, ist eine Geldbuße fällig.

Ob es so weit kommt, ist noch ungewiss. Außerdem wäre eine Rüge aus Brüssel politisch zwar unbequem, juristisch gesehen aber harmlos. Die dort genannten Empfehlungen sind nicht verpflichtend.

Sicher ist aber, dass Deutschland sich als EU-Sorgenkind Nummer 1 profiliert. Als Schlusslicht rangiert das Land hinter Portugal. Dort liegt das Defizit bei etwa 1,1 Prozent.

Wachstum für 2002 zu gering

Finanzminister Eichel zeigte sich dagegen überzeugt, die Stabilitätskriterien einhalten zu können. Er setzt auf ein stärkeres Wachstum im Jahresverlauf. Allerdings werde es keine Steuererleichterungen oder Subventionen geben.

Viel Wachstum dürfte das kaum sein. Von den optimistischen 1,25 Prozent redet niemand mehr - sie waren noch Ende des letzten Jahres für 2002 prognostiziert worden. Die neue Vorhersage wird wahrscheinlich um 0,75 Prozent liegen.

Das Finanzministerium räumte ein, dass sich die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland deutlich vermindert hat. Dies sei vor allem ein Zeichen der weltwirtschaftlichen Wachstumsschwäche. Rainer Brüderle von der liberalen FDP hielt das für ein "Ammenmärchen". Rot-Grün habe die deutsche Volkswirtschaft "mit ruhiger Hand in eine schwere Wirtschaftskrise geführt", kritisierte er. Die Oppositionspartei CSU bemängelte eine "verfehlte Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Schröder-Regierung". Sie lähme die binnenwirtschaftlichen Wachstumskräfte.

Brüssel richtet den Blick zwar scharf nach Deutschland. Die Gefahr eines Durchbruchs der Drei-Prozent-Mauer sieht die EU nach Angaben eines Solbes-Sprechers derzeit aber nicht. Die Haushaltspolitik des Bundes und der Länder bewege sich innerhalb der vom Stabilitäts- und Wachstumspakt gezogenen Grenzen. Ob es zu einer Warnung mit einem "blauen Brief" kommt, wird die Kommission erst Ende Januar bewerten. (ddp/afp/alf)