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Schlittern die Philippinen in die Diktatur?

Ronald Meinardus, Manila1. März 2006

Die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo will den wegen angeblicher Putschpläne verhängten Ausnahmezustand aufrechterhalten und drangsaliert die Opposition. Ronald Meinardus berichtet aus Manila.

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Soldaten nach Verhängung des AusnahmezustandesBild: AP

Die Symbolik des Datums blieb niemandem verborgen: Just an dem Freitag (24.2.), als sich die Filipinos aufmachten, den 20. Jahrestag der gewaltfreien Revolution gegen den einstigen Diktator Ferdinand Marcos zu begehen, verhängte Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo den Ausnahmezustand. Eine besondere Ironie des Vorgangs besteht darin, dass Frau Arroyo vor fünf Jahren selber durch einen so genannten "Volksmacht-Aufstand" an die Macht kam: Damals demonstrierten Hunderttausende gegen den der Korruption bezichtigten Präsidenten Joseph Estrada. Als sich das Militär und die katholische Kirche hinter Frau Arroyo stellten, war der Machtwechsel in Manila perfekt.

Kommunistische Abgeordnete im Fadenkreuz

Fünf Jahre später will Frau Arroyo von dieser Form der Basisdemokratie nichts mehr wissen. Um die Opposition in die Schranken zu weisen, verhängte sie den Notstand. Dieser jetzt verlängerte Ausnahmezustand legalisiert Festnahmen ohne Haftbefehl, die Schließung von unliebsamen Zeitungen sowie ein allgemeines Demonstrationsverbot. Sie habe bei der Polizei sowie dem Justiz- und Verteidigungsministerium Berichte über die Lage im Land und bei den Streitkräften angefordert, die spätestens Samstag (4.3.) vorliegen sollen, sagte Arroyo am Mittwoch (1.3.) im Fernsehen. Die Opposition spricht von diktatorischen Schritten, ein Senator gar von "präsidialem Terrorismus".

Von einer brutalen Militärdiktatur oder einem Polizeistaat sind die Philippinen bislang aber weit entfernt. Die Regierung geht selektiv gegen ihre politischen Gegner vor. Im Fadenkreuz der Behörden ist für den Augenblick vor allem eine kleine Gruppe kommunistischer Unterhausabgeordneter. Zudem durchsuchte die Polizei in einer Nacht- und Nebel-Aktion die Redaktionsräume einer oppositionellen Zeitung. All dies widerspricht demokratischen Regeln. Eine Eskalation blieb bislang aber aus. Die politische Repression ist bislang weitgehend gewaltfrei geblieben.

Keine glaubhaften Hinweise auf eine Verschwörung

Die Präsidentin rechtfertigt ihr Vorgehen mit dem Hinweis, der demokratische philippinische Staat müsse sich gegen die Bedrohung durch eine Verschwörung von Kommunisten, rechtsextremistischen "Abenteurern im Militär" und Mitgliedern der politischen Opposition zur Wehr setzen. Zwar gibt es in allen drei Gruppen - dem Militär, der kommunistischen Opposition sowie dem bürgerlichen Lager - Gegner der Regierung. Andererseits fehlen bislang glaubhafte Hinweise, dass dieses politisch diffuse Spektrum sich jemals auf eine gemeinsame Strategie zum Sturz der Präsidentin verständigt hätte.

Daher hat Frau Arroyo ein Rechtfertigungsproblem: Sie hat es bisher versäumt, die aufgewühlte Öffentlichkeit über das genaue Ausmaß der angeblichen Verschwörung zu informieren. Viele Filipinos glauben daher, der ganze Vorgang diene lediglich der Einschüchterung der Regierungsgegner. Selbst enge Verbündete der Regierung kritisieren, dass Frau Arroyos Notstandsdekret unverhältnismäßig sei; sie sagen, die bestehenden Gesetze reichten aus, die Gefahr eines Putsches zu bekämpfen.

Politische Dauerkrise

Die Verhängung des Notstandes hat keinesfalls zu einer Normalisierung der politischen Verhältnisse in dem südostasiatischen Entwicklungsland beigetragen. Seit bald zwei Jahren befinden sich die Philippinen in einer politischen Dauerkrise: Im Mai 2004 hatte Frau Arroyo zwar formal die Präsidentschaftswahlen gewonnen, die Opposition hat diesen Sieg aber niemals anerkannt. Seither werden ihre Gegner nicht müde, Frau Arroyo Wahlfälschung vorzuwerfen und ihren Rücktritt zu verlangen.

Die politische Krise der Philippinen ist im Wesentlichen eine Krise der politischen Institutionen. Politische Parteien, das Parlament, die Gerichtsbarkeit - alle diese für ein reibungsloses Funktionieren des demokratischen Prozesses zentralen Einrichtungen sind schwach oder politisch manipuliert. In der Konsequenz heißt dies, dass politische Konflikte häufig nicht im verfassungsmäßigen Rahmen ausgetragen werden, sondern auf der Straße.

Geisel der Streitkräfte

Aber - und hier liegt eine weitere Ironie der aktuellen Entwicklungen - die Hauptgefahr droht der Präsidentin nicht von Demonstranten und zivilen Protesten. Die wahre Bedrohung geht heute vom Militär aus. Um sich vor der angeblichen Verschwörung zu schützen, hat die Präsidentin den Streitkräften und der Polizei außerordentliche Vollmachten gegeben. Die Generäle seien heute mächtiger als die Minister, lamentiert ein philippinischer Kommentator. Politisch gesehen ist Frau Arroyo damit zur Geisel der Streitkräfte geworden. Dies ist eine prekäre Situation. Denn wie die gesamte philippinische Gesellschaft ist auch das Militär tief gespalten. Auf der einen Seite stehen die Anhänger der Präsidentin, auf der anderen Seite ihre Gegner. Sicherheitsexperten warnen gar vor bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen diesen bewaffneten Gruppierungen, die das Land in ein blutiges Chaos stürzen könnten.

Derweilen verbreiten die um die wirtschaftliche Entwicklung besorgten zivilen Kabinettsminister Optimismus: Schon am nächsten Wochenende werde der Notstand aufgehoben. Für die leidgeprüfte philippinische Demokratie wäre das eine gute Nachricht. Die politische Dauerkrise wäre damit aber keinesfalls aus der Welt.