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Schlingensiefs Erbe: Wie seine Witwe ein Dorf in Afrika baut

Das Gespräch führte Sabine Oelze20. August 2015

Kultur in der Wüste von Burkina Faso - das war der Traum des verstorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief. Seine Witwe Aino Laberenz erzählt, wie aus der Utopie eines "Operndorfs" in Afrika Realität wird.

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Aino Laberenz, Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa/F. Schuh

DW: Nach dem Tod Ihres Mannes Christoph Schlingensief am 21. August 2010 haben Sie die Geschäftsführung des Operndorfes in Burkina Faso übernommen. Hätten Sie gedacht, dass Sie mit dem Operndorf soweit kommen würden, dass es jetzt eine Schule, ein Krankenhaus, ein Tonstudio und bald auch ein Festspielhaus gibt?

Aino Laberenz: Ich weiß gar nicht, ob ich mir zu der Zeit konkret Gedanken darüber gemacht habe, wie weit ich in fünf Jahren bin. Als ich mich dafür entschieden habe, die Geschäftsführung zu übernehmen, habe ich mich auch dafür entschieden, mich an bestimmte Gegebenheiten oder Vorgaben von Christoph zu halten, wie zum Beispiel mit dem Bau der Schule zu beginnen. Wir sind in den fünf Jahren überhaupt nur so weit gekommen, weil wir mit den Leuten vor Ort zusammenarbeiten und uns darauf einlassen, was gebraucht wird. Wir haben eine ganze Menge geschafft, aber es türmt sich auch noch ein hoher Berg auf.

Wie genau halten Sie sich an die Pläne für das Operndorf von Christoph Schlingensief? Wenn Sie Entscheidungen treffen, stellen Sie sich dann die Frage: Wie hätte Christoph das jetzt gemacht?

Kann ich so nicht sagen. Es gibt seine Baupläne und Bauphasen. Zum Beispiel, mit dem Bau der Schule zu beginnen. Dahinter steht die Idee, dass wir Bildung als eigene Wertigkeit vermitteln wollen. Die zweite Phase war die Fertigstellung der Krankenstation. Aber zum Beispiel den Bereich der Zahnmedizin hatte Christoph gar nicht vorgesehen, das hat sich aus den Bedürfnissen heraus ergeben. Durch die Zusammenarbeit mit dem nächsten Krankenhaus sahen wir, dass das gebraucht wird. Aber die von ihm vorgesehenen Bauphasen sind für mich wichtig.

Sie sind jetzt die Geschäftsführerin und auch das Gesicht des Operndorfs. Wie oft sind Sie in Burkina Faso?

Circa drei bis vier Mal im Jahr. Ich war zuletzt vor einem Monat da, als es an der Grundschule Zeugnisse gab. Für mich ist es sehr wichtig, dass es eine Eigenverantwortung vor Ort gibt. Ich möchte nicht ständig nach Burkina Faso reisen, um dort die Arbeiten zu kontrollieren.

Im letzten Jahr wurde der ehemalige Präsident von Burkina Faso, Blaise Campaoré, in einer friedlichen Revolution aus seinem Amt verjagt. Im Herbst finden Wahlen statt. Wie hat sich die politische Situation in Burkina Faso auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Für mich hat sich zunächst gar nichts geändert. Es ist klar, dass die Minister temporär eingesetzt sind und bestimmte Schritte, die wir mit der Regierung zusammenmachen müssen, wie die Verbeamtung der Lehrer, die dauern im Moment länger. Das hat aber nichts damit zu tun, dass das Operndorf nicht grundsätzlich gewollt ist. Es war gut, dass wir mit der Regierung zusammengearbeitet haben, aber auch, dass wir uns neutral verhalten haben, also kein Regierungsprojekt sind. Ich finde es sehr spannend so eine Entwicklung wie die in Burkina Faso mitzubekommen, zu sehen, wie friedlich das passiert. Viele Jugendliche und Künstler waren nicht nur daran beteiligt, sie haben die Menschen auch aufgeklärt und dazu aufgerufen, selber wählen zu wollen und Verantwortung zu übernehmen.

Das Operndorf ist sowohl Dorf als auch Kulturort. Wie viel Kunst findet dort statt?

Dieses Wort "Dorf" ist etwas, das sich entwickeln muss. Die Schule ist kein Internat, aber die Lehrer wohnen im Operndorf. Auch das Krankenpersonal wohnt vor Ort. Dann arbeiten wir mit Organisationen wie Cinéma Ambulance, das ist ein Fahrzeug, das durch verschiedene Länder in Afrika fährt mit Beamern und Filmen im Gepäck, die irgendwohin projiziert werden. Das bedeutet, dass nicht nur die Schüler das Publikum sind, sondern ihre ganze Familie. Es kommen auch Künstler- und Künstlergruppen aus dem Umkreis und aus Ouagadougou und wir schauen, dass wir mit denen zum Beispiel Workshops entwickeln: Das kann mit Film, Tanz oder Musik zu tun haben. Auch wenn dort Lehrer, Direktoren und temporär auch Künstler wohnen, wie sie es zur Zeit gerade tun, braucht es Zeit, dass sich ein Dorf entwickeln kann.

Welche Künstler laden Sie ein?

Künstler aus dem nächsten Dorf, Künstler aus Ouagadougou, Künstler aus anderen Ländern, die mit dem Lehrer und dem Direktor der Schule gemeinsam schauen, was sich in den Stundenplan der Schülerinnen und Schüler integrieren lässt. Das ist nicht pädagogisch gemeint, aber in verschiedenen Bereichen wird mit den Kindern der Schule gearbeitet. Das kann ein Mal pro Woche sein, mal ist es ein verlängertes Wochenende. Einmal hatten wir einen längeren Workshop von einer Abschlussstudentin im Studiengang Fotografie. Da war zum ersten Mal jemand länger aus Deutschland dort. Oder wir haben zusammen mit dem Goetheinstitut ein Sommercamp entwickelt. Wir können keine Stipendien vergeben, dazu fehlt uns die Unterstützung. Aber es sind Leute, die sich fürs Operndorf interessieren, die auf uns zugekommen sind. Dann überlegen wir mit unserem Team aus Burkina, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist.

Wann ist mit der Fertigstellung des Festspielhauses zu rechnen?

Es ist natürlich nicht gewollt ein Festspielhaus in unserem Sinne nach Burkina zu bringen oder zu bauen. Theater findet ja bereits statt. Die geplanten Residenzen kommen. Aber eine Art Bühne oder Atrium im Zentrum soll noch entstehen. Das sollte die letzte Phase sein und so kann sich auch der Ort in seinem Wachstum aufladen. Aber das hängt natürlich auch von finanzieller Unterstützung ab. Und erst mal müssen wir jetzt für die Schulerweiterung sammeln.

Letztes Jahr haben Sie das Festival au Désert von Malí nach Berlin geholt. Erstaunt Sie das, wie wenig viele Menschen in Westeuropa und auch in Deutschland über Afrika wissen?

Es ist überraschend, dass wir uns im Jahr 2015 noch immer nicht auf Augenhöhe begegnen. Natürlich ist viel passiert in den letzten Jahren. Auf der 56. Biennale von Venedig in diesem Jahr stand der Kontinent u.a. im Fokus. Aber afrikanische Kunst hat noch oft einen anderen Beigeschmack. Das merkt man vor allem auch, wenn man mit afrikanischen Künstlern spricht. Aber es ist in letzter Zeit viel passiert. Das Interesse könnte in Deutschland größer sein. Es müsste mehr gleichwertigen Austausch geben, der sich nicht nur auf die Berichterstattung von Problemen beschränkt.

Sie haben die Fortführung des Operndorf-Projektes angenommen, obwohl Christoph Schlingensief vor seinem Tod zu Ihnen gesagt hat, „wenn es nicht mehr geht, dann lass es“. Was haben Sie von Afrika gelernt?

Ich habe eine ganze Menge gelernt: Man lernt von den Menschen und an sich selber. Man lernt, gewohnte Systeme abzulegen. Wir kämpfen weiter dafür, dass das Operndorf gesehen wird, dass ein Gedanke gesehen wird, der vielschichtiger ist, als dass man sagt: Wir helfen bei konkreten Anlässen wie Hunger. Wir versuchen, einen Austausch zu schaffen. Hier in Deutschland dafür ein Ohr zu finden, ist nicht einfach. Wir versuchen für solche Gedanken auch langfristige Partner für das Operndorf zu finden und gleichzeitig das Operndorf mehr und mehr in eine Selbständigkeit zu bringen.