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"TTIP gefährdet Demokratie und Lebensmittel"

Gero Rueter23. April 2015

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP sorgt für Aufruhr. Foodwatch-Chef Thilo Bode sieht es als ein "von der Industrie getriebenes Projekt". Im Interview warnt er vor Nachteilen für unsere Lebensmittel.

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Thilo Bode (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Deutsche Welle: Herr Bode, Sie haben ein Buch über das geplante Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) geschrieben. "Die Freihandelslüge" ist in Deutschland ein Bestseller. Worin soll die Lüge bestehen?

Thilo Bode: Die Lüge besteht darin, dass es bei dem Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa nicht um den klassischen Freihandel geht, der durch eine Senkung der Zölle gefördert wird. Es geht hier um zwei andere wichtige Dinge: Zum einen sollen sogenannte Handelshemmnisse abgebaut - werden und dazu können auch gesellschaftspolitisch wichtige Regulierungen gehören - und zum anderen sollen wirtschaftliche Interessen noch mehr Einfluss auf die Gesetzgebung bekommen. Und darin sehen wir eine enorme Gefährdung der Demokratie. Deswegen lehnen wir das Abkommen auch ab.

Welche Auswirkungen hätte das Abkommen auf die Lebensmittel?

Die Qualität der Lebensmittel ist ohnehin nicht gut. Wir befürchten, dass notwendige Verbesserungen in der Zukunft verhindert werden. Das Abkommen besteht aus vielfältigen Maßnahmen und diese behindern den Staat bei Regulierungsvorhaben in allen Bereichen.

Wie kann der Staat behindert werden?

Die Regeln im Rahmen von TTIP sind völkerrechtlich verbindlich und haben Vorrang vor europäischen und nationalen Gesetzen. Künftige Gesetze müssen dann TTIP-kompatibel sein. Wenn in dem Abkommen zum Beispiel Standards für die Tierhaltung festgeschrieben werden, kann Europa diese nicht mehr einseitig ändern - mehr Tierschutz ginge dann nur noch, wenn die USA mitziehen.

Wir wollen aber insgesamt die Tierhaltungsbedingungen verbessern. Der massenhafte Einsatz von Antibiotika, das Töten von Küken, die Haltungsbedingungen in den Ställen - hier besteht erheblicher Handlungsbedarf. Solche Verbesserungen werden durch den Mechanismus von TTIP erschwert: Gegenseitig anerkannte Standards können dann nicht mehr einseitig geändert - oder vielmehr verbessert - werden. Denn ohne die Zustimmung des Handelspartners wäre das ein Rechtsbruch.

Deshalb wird mit TTIP der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eingeschränkt. Unsere Parlamentarier werden sozusagen teilweise entmachtet und das ist unsere Hauptkritik. Die Befürworter von TTIP sagen das aber nicht offen.

LOGO FOODWATCH
... ist ein gemeinnütziger Verein, der sich mit den Rechten von Verbrauchern und der Qualität von Lebensmitteln auseinandersetzt

Das Europaparlament will Verbraucher besser informieren. Fleisch von Tieren, die gentechnisch verändertes Futter erhielten, soll eine Kennzeichnung bekommen. Wird so eine Kennzeichnung mit TTIP schwierig?

Die Amerikaner wollen das nicht haben, weil deren Landwirtschaft fast vollständig auf Gentechnik aufbaut. Das bedeutet, wenn jetzt die Standards durch TTIP eingefroren werden, dann könnten wir unsere Kennzeichnungsvorschriften nicht weiter verbessern.

Was schlagen Sie als Alternative zu TTIP vor?

Man kann Zölle und Handelshemmnisse auch ohne dieses komplexe Abkommen beseitigen. So können sich die Automobilverbände zusammensetzen, die Blinkerfarben vereinheitlichen und die EU mit den USA entsprechende Vereinbarungen treffen. Das hat den Vorteil, dass ein Standard einseitig verändert werden kann, ohne dass es zu Vertragsstrafen oder Handelssanktionen kommt. Das ist bei einem so weitreichenden Vertrag wie TTIP eben nicht möglich.

Bei den Bioprodukten gibt es zum Beispiel so eine Vereinbarung. Bioprodukte können zwischen den USA und Europa ungehindert gehandelt werden, weil die Zertifizierungsverfahren gegenseitig anerkannt wurden. Wenn jetzt aber diese Bio-Vereinbarung Bestandteil von TTIP wird, dann kann man nicht mehr einseitig Veränderungen und Verbesserungen vornehmen.

Um es klar zu sagen: TTIP ist ein von der Industrie getriebenes Projekt und die Industrie hat das Interesse zukünftige Regulierungen möglichst zu verschieben, zu verwässern und zu verhindern.

Sie deckten mit ihrem Buch falsche Informationen auf. Welche Reaktionen gab es?

Es hieß zuerst, dass TTIP super wäre, Jobs und Wachstum schaffe und alles wunderbar wird. Dann haben wir festgestellt, dass die Zahlen um den Faktor zehn teilweise falsch dargestellt wurden. Aus einer erwarteten Steigerung des Bruttoinlandsprodukts in Europa von etwa 120 Milliarden in zehn Jahren wurden dann mehr als eine Billion! Die Beschäftigungseffekte waren maßlos übertrieben, die Annahmen, die da zugrunde gelegt worden sind, waren illusionär. Viele mussten ihre Angaben mittlerweile korrigieren, wie der Bundesverband der deutschen Industrie und der Verband der deutschen Automobilindustrie.

Jetzt lassen die Befürworter von TTIP die Zahlen weg. Stattdessen sagen sie sinngemäß, dass TTIP notwendig sei, um nicht in Armut zu versinken.

Sie halten diese Sorge für nicht berechtigt?

Da muss ich herzlich lachen. Wir müssen die Vorteile und Nachteile abwägen. Das gegenwärtige TTIP-Projekt sieht als größtes Handelshemmnis die Demokratie. Und die Gefahren für die Demokratie sind sehr groß. Wir haben nichts gegen Freihandel, aber wir dürfen dieses Abkommen in dieser Form nicht haben.

Wird das Abkommen in dieser Form nach Ihrer Einschätzung scheitern?

Der Widerstand ist in Deutschland sehr groß. Auch in anderen Ländern wächst er - die Politik reagiert nervös. Ich glaube, dass viele Politiker ein schlechtes Gewissen haben, da sie etwas verbergen und nicht mit offenen Karten spielen. Und dieses Verhalten, diese intransparenten Verhandlungen wecken noch mehr Widerstand.

Auch wenn jetzt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström das ein oder andere Dokument ins Netz stellt, könnte ich Ihnen jetzt nicht sagen, wo die Verhandlungen stehen. Wir tappen einfach im Dunkeln. Wenn es gelingt, die Öffentlichkeit in Frankreich noch mehr zu mobilisieren, etwa so wie in Deutschland, dann haben wir echte Chancen, das Abkommen in dieser Form zu kippen. Das wäre natürlich großartig.

Nun gibt es auch noch eine europäische Bürgerinitiative gegen das Abkommen….

Bis zu diesem Herbst wollen wir zwei Millionen Unterschriften sammeln. Das wird sicher eine eindrucksvolle Dokumentation des öffentlichen Widerstandes. Das allein wird aber nicht reichen.

Interessant ist jedoch, dass die Bürger bei dem sehr komplexen Thema ziemlich aufgeregt sind und wahnsinnig viel wissen wollen. Und je mehr sie wissen, desto schlechter finden sie es.

Nur weiß man wenig, da die Transparenz fehlt?

... genau, und dann gibt es natürlich Angst, weil die Erfahrung ist, dass die Wirtschaft übermäßigen Einfluss auf die Politik hat.

Dr. Thilo Bode ist Gründer und Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Der Volkswirt war von 1989 bis 1995 Geschäftsführer von Greenpeace in Deutschland. Sein Buch "Die Freihandelslüge: Warum TTIP nur den Konzernen nützt und uns allen schadet", ist ein Bestseller in Deutschland.

Das Interview führte Gero Rueter.