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Schlappe für Regierungsparteien

Bernd Riegert, Brüssel14. Juni 2004

Die Bürger der 25 EU-Mitgliedstaaten haben die Abgeordneten des Europa-Parlaments gewählt. In vielen Fällen nutzten sie die Wahl dazu, den Regierungsparteien in ihrem Land einen Denkzettel zu verpassen.

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Schwerer Gang für den SPD-Vorsitzenden Franz MünteferingBild: AP


Fast in allen 25 EU-Staaten haben die Bürger, die Gelegenheit genutzt, ihren Regierungen einen Denkzettel zu verpassen. Außer in Griechenland und Spanien, wo erst kürzlich nationale Parlamentswahlen zu Regierungswechseln führten, haben die Wähler mit ihren Stimmen auf unterschiedlichste nationale Themen reagiert, die vom Irak-Krieg in Großbritannien bis zu den Sozialreformen in Deutschland reichten. In den großen EU-Staaten Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien verloren die Regierungsparteien teilweise dramatisch.

Cox ist enttäuscht

Der scheidende irische Parlamentspräsident Pat Cox sagte, solche Denkzettelwahlen seien schlecht für Europa. "Wir müssen einen Weg finden, Europa mehr in die Europawahlen herein zu bringen", so Cox. "Das predige ich schon seit 12 Monaten. Und die Resultate zeigen, dass ich recht habe."

Sitzverteilung Europa deutsch 21:10h UTC
Sitzverteilung der europäischen Fraktionen

Wahlsieger sind nach der vorläufigen Sitzverteilung erneut die Konservativen, die seit 1999 die stärkste Fraktion im Parlament bilden. Sie erhalten 269 der Mandate. Die Sozialisten bilden mit 199 Sitzen die zweitstärkste Gruppe. Auf die Plätze drei und vier kamen Liberale und Grüne. Da keine der Fraktionen eine Mehrheit hat, rief der Fraktionsvorsitzende der Konservativen, Hans-Gert Pöttering, die Parteien am Wahlabend zur bislang praktizierten Zusammenarbeit auf. "Jetzt kommt es darauf an, dass die Fraktionen, die Europa voran bringen wollen, dies auch mit Entschlossenheit tun und dass wir da, wo es Gemeinsamkeiten gibt, diese auch nutzen sollten, im Interesse der Zukunft unseres Kontinents", sagte Pöttering

Europagegner legten stark zu

In Polen, Tschechien, Dänemark, Schweden und Österreich legten Europaskeptiker und Europagegner stark zu. In Großbritannien errang die UK Unabhängigkeitspartei, die für einen Austritt des Königreichs aus der EU kämpft, 18 Prozent der Stimmen. Die Europagegner und andere rechte Gruppieren könnten jetzt eine eigene Fraktion im Europaparlament bilden und Teile der alteingesessenen Konservativen abspalten.

"Ich glaube, das werden etwa europaskeptische 40 bis 66 Abgeordnete sein. Das ist ein Zwölftel, das heißt 11/12 sind europafreundliche Abgeordnete und mit denen werden wir arbeiten", schätzte der sichtlich enttäuschte Parlamentspräsident Pat Cox die Stärke der Europagegner ein.

Fraktionszusammensetzung klärt sich noch

Die genaue Zusammensetzung der Fraktionen, die aus den Abgeordneten der nationalen Parteien bestehen, wird erst in den nächsten Wochen festgelegt. Vergleiche mit der vorangegangenen Legislaturperiode sind schwierig, weil das Parlament nach der Erweiterung 732 statt 626 Sitze haben wird.

Die Wahlbeteiligung ist gegenüber den letzten Wahlen 1999 gesunken, im Durchschnitt aller 25 EU-Staaten auf nur noch 44,6 Prozent. Bei der ersten Direktwahl 1979 waren es noch 63 Prozent aller Wahlberechtigten, die zur Urne gingen. Extrem groß ist das Desinteresse am Europaparlament in den neuen Staaten, die vor sechs Wochen der EU offiziell beigetreten sind. In Polen gingen nur 15,4 Prozent zur Wahl, nachdem die Bauernpartei zu einem Boykott aufgerufen hatte. In den zehn neuen Ländern lag die Wahlbeteiligung im Durchschnitt bei 28,7 Prozent.

Ohrfeige für Regierungen

"Ich bin ein bisschen enttäuscht. Wir müssen hart arbeiten für die Demokratie in allen Ländern, besonders in Polen", sagte der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion Enrique Baron Crespo zur historisch niedrigen Wahlbeteiligung.

Durch die Ohrfeige für die Sozialisten in Polen und das Erstarken der Europagegner scheint die Regierung dort nun völlig handlungsunfähig zu sein. Das wird aus Brüsseler Sicht den Abschluss der Verhandlungen für eine EU-Verfassung, der für das Gipfeltreffen Ende der Woche geplant, sehr erschweren.