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Kalifornien ist pleite

19. Juni 2009

Für das kommende Haushaltsjahr fehlen Kalifornien mehr als 24 Milliarden Dollar. Gouverneur Schwarzenegger will drastisch sparen - vor allem im sozialen Sektor. Viele Menschen haben aber schon jetzt zu kämpfen.

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Ein Mitarbeiter des "Check-In-Centers" bringt eine Tonne zum EingangsbereichBild: Central City East Association

Eine vierspurige Strasse in Downtown Los Angeles morgens um halb sieben: Im Schatten der Wolkenkratzer, zwischen Stundenhotels, Lagerhallen, Obst- und Fischgroßmärkten bildet sich eine Schlange von Menschen. Sie wollen zum "Check-In-Center" der Central City East Association, einer regierungsunabhängigen Hilfsorganisation in der Innenstadt von Los Angeles. Die Initiative bietet Obdachlosen an, ihre Habseligkeiten kostenlos in einer Mülltonne zu lagern.

Vom Taxifahrer zum Obdachlosen

In der Schlange warten vor allem Männer in abgetragenen Jacken und abgelaufenen Schuhen. Ganz vorne steht ein Mann in auffallend sauberem Anorak, fleckenlosen Jeans, frisch gewaschenen Haaren und einem kleinen Rucksack über den Schultern. "Viele von uns hier haben keinen Platz, an dem wir unsere Sachen lagern können. In den Obdachlosenheimen verlangen sie, dass man sie jeden Tag mitnimmt", erklärt Nick. Er ist gekommen, um seine Jacke und seinen Pullover abzugeben, die er bei dem warmen Wetter nicht braucht. Außerdem holt er dreckige Wäsche aus seiner Tonne und bringt sie zum Waschsalon.

Obdachlose vor dem Check In Center
Obdachlose vor dem "Check-In-Center" in Los AngelesBild: Kerstin Zilm

Bis vor neun Monaten fuhr Nick Taxi. Dann geriet er in einen Rechtsstreit um Sozialhilfe mit seinem Arbeitgeber. Jetzt ist er arbeitslos - und seit einem Monat auch obdachlos. An einem Strommast gegenüber lehnt rauchend eine kleine Mitt-Dreißigerin in schwarzer Samtjacke, die Haare elegant hochgesteckt, das Gesicht dezent geschminkt. Neben ihr auf dem Boden steht eine große schwarze Sporttasche. Sonja trennte sich vor zwei Jahren von ihrem Mann, hielt sich mit Hilfsjobs über Wasser. Jetzt sind selbst die schwer zu finden. Auch Sonja schläft in einem Obdachlosenheim. Ihre zwei Kinder leben bei den Großeltern in Texas. Sie bezeichnet die Lagerhalle als "Segen". Sonja macht eine Fortbildung am Computer. Manchmal möchte sie nicht alle Bücher für den Unterricht mit sich herumschleppen. Sie legt das Unterrichtsmaterial in die Tonne und holt es wieder ab, bevor sie zur Schule geht.

Hab und Gut, das in eine Tonne passt

Um kurz vor acht gehen die Türen zum Lagerzentrum auf. Ein Mitarbeiter schiebt grüne Plastikmülltonnen mit großen Nummern auf dem Deckel in den vorderen Bereich der Halle. Eine Frau schichtet sauber zusammengelegte Wäsche um. An ihrer Tonne lehnt ein abgegriffener Stoff-Löwe. Ein junger Schwarzer tauscht Decke und Jacke gegen ein Stück Seife und Klopapier. Nick holt zwei Tüten dreckige Wäsche aus seiner Tonne und stopft sie in einen kleinen roten Koffer, den er mitgebracht hat. Neben dem Eingang befindet sich ein kleines Büro. Durch ein Fenster überblickt die Direktorin des Zentrums die Halle der ehemaligen Fischverarbeitungsfabrik mit ordentlich aufgereihten 550 Mülltonnen. "Der Bedarf ist endlos", sagt Quathryn Brehm. Doch vorerst wird die Wohltätigkeitsorganisation nicht mehr Tonnen aufstellen. Stattdessen sollen kleine Umkleidekabinen gebaut werden. Für die gibt es mehr Bedarf, weil mehr Obdachlose mit Kindern kommen. "Selbst wenn sie eine Unterkunft haben in einem Heim, können sie nirgendwo wirklich ihre Sachen unterbringen. Sie kommen morgens hierher und machen sich fertig für die Schule", beschreibt Brehm seufzend die neuste Entwicklung.

Check In Center Direktorin Qathryn Brehm
"Check-In-Center"- Direktorin Qathryn Brehm in der LagerhalleBild: Qathryn Brehm

Hoffen, Kämpfen und Durchhalten

Taxifahrer Nick macht sich, seinen kleinen roten Koffern hinter sich herziehend, auf den Weg zum Waschsalon. Von dort geht er weiter zur Bibliothek. Er will herausfinden, ob er seinen ehemaligen Arbeitgeber verklagen kann, und im Internet nach einem Arbeitsplatz suchen. Momentan wartet er auf eine Genehmigung des Heimatschutz-Ministeriums für Arbeit als LkW-Fahrer im Hafen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bedrückend. "Es sieht schlecht aus", sagt Nick achselzuckend. Er habe nur eine Ausbildung im Versicherungsbereich und dahin wolle er nicht zurück.

Schilder am maschendraht zwischen Eingangsbereich und Lagerbereich des Check In Centers
Schilder am Maschendraht zwischen Eingangsbereich und LagerbereichBild: Kerstin Zilm

Sonja wirkt optimistischer. Sie hat ihre Samtjacke gegen eine hellblaue Jeansjacke getauscht und ihre Sporttasche gegen eine goldene große Handtasche. Mit kräftigem Schritt geht sie in Richtung Bushaltestelle. "Ich tu mein Bestes, durchzuhalten, mir etwas Neues aufzubauen", versichert sie lächelnd. "Ich versuche, mich auf das Schöne zu konzentrieren. Ich sehe hier viel Hässliches und tue, was ich kann, um den Menschen Mut zu machen. Dann ziehe ich weiter."

Autorin: Kerstin Zilm
Redaktion: Anne Allmeling