1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schlag ins Kontor

Karl Zawadzky15. Mai 2003

Die deutschen Steuereinnahmen fallen im Jahr 2003 voraussichtlich um 8,7 Milliarden Euro niedriger aus als bisher prognostiziert. Karl Zawadzky warnt deshalb in seinem Kommentar: Deutschland lebt über seine Verhältnisse!

https://p.dw.com/p/3dxR

In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum letzten Quartal des Vorjahres um 0,2 Prozent geschrumpft. Die leicht rückläufige Wirtschaftsleistung war in die Grundlage der Steuerschätzung, nämlich in die regierungsamtliche Wachstumsprognose, noch gar nicht eingearbeitet. Das heißt: Da das von der Bundesregierung angenommene Wirtschaftswachstum dieses Jahres von 0,75 Prozent nach Lage der Dinge nicht mehr erreichbar ist, werden die Steuerquellen noch geringer sprudeln als von den Finanzwissenschaftlern, Statistikern, Wirtschaftsexperten und Finanzbeamten errechnet. Die Löcher in den öffentlichen Haushalten werden noch größer als von den Steuerschätzern errechnet.

Konsequenzen

Das hat Konsequenzen: Bundesfinanzminister Eichel verfehlt seine zentralen haushaltspolitischen Ziele. Die Neuverschuldung geht nicht zurück, sondern sie steigt in einem solchen Maße an und über die im Etat veranschlagte Summe der Investitionen so dramatisch hinaus, dass Eichel nur durch die Erklärung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einen Verstoß gegen den Artikel 115 des Grundgesetzes vermeiden kann, wonach die Investitionen in jedem Fall oberhalb der Neuverschuldung liegen müssen. Diese Störung ist zudem so erheblich, dass Eichel es nicht mehr schaffen kann, für das Jahr 2006 erstmals seit vielen, vielen Jahren einen Etatentwurf ganz ohne Neuverschuldung aufzustellen. Hinzu kommt, dass in diesem Jahr wie bereits 2002 die Neuverschuldung oberhalb von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen und Deutschland damit gegen den Europäischen Stabilitätspakt verstoßen wird.

Das ist bitter für Eichel selbst und mehr noch für das Land: Aus "Eisenhans", dem "Sparminator", der einen Ausweg aus der Schuldenfalle wusste, ist ein ganz gewöhnlicher Schuldenmacher geworden. Der Ernst der Lage wird auch dadurch deutlich, dass Finanzexperten der Opposition schon nicht mehr nach Eichels Rücktritt rufen, sondern Hilfe anbieten. Das ist auch deswegen gerechtfertigt, weil CDU/CSU und FDP in ihrer Regierungszeit den beschleunigten Gang in den Schuldenstaat eingeleitet haben. Eichel hat immerhin die Wende versucht. Freilich hat ihm nicht nur der Schwächeanfall der Weltwirtschaft einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern es hat ihm bei der Haushaltssanierung auch an Konsequenz und Durchsetzungskraft gefehlt. Hinzu kommt, dass die Opposition in Sachen Subventionsabbau ihre Mehrheit in der Ländervertretung Bundesrat voll ausgespielt hat. Sie hat ganz allgemein nach Subventionsabbau gerufen und sich im konkreten Fall als Besitzstandswahrer aufgeführt.

Fehlentwicklungen

Es geht kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Deutschland ist zwar die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Erde und das wirtschaftlich stärkste Land in Europa, aber Staat und Gesellschaft leben über ihre Verhältnisse - und dies schon lange. Die gegenwärtigen Probleme sind nicht nur konjunktureller Art, sondern sie sind das Ergebnis struktureller Fehlentwicklungen. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder geplanten Kürzungen im Sozialbereich einschließlich der Flexibilisierung des Arbeitsrechts sind nur der Anfang eines langen und schweren Weges. Arbeit in Deutschland muss - vor allem über die Absenkung der Lohnnebenkosten - billiger werden, damit die Beschäftigung zunimmt. Eichel verdient Unterstützung bei den bevorstehenden Einschnitten in staatliche Leistungen, vor allem bei den Subventionen. Der Ausweg in sprunghaft ansteigende Staatsverschuldung ist versperrt. Es geht nicht länger an, dass die gegenwärtige Generation vom Staat mehr verlangt, als er nach seinem Finanzaufkommen leisten kann und damit ihren Kindern und Enkeln die Zukunft verbaut.