1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Büchner-Preisträger Rainald Goetz

Heike Mund8. Juli 2015

Das "Enfant Terrible" der Literaturszene ritzte sich während einer Lesung schon mal die Stirn blutig oder beschrieb die Technoszene als einzig wahres Leben. Jetzt wird Rainald Goetz mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet.

https://p.dw.com/p/1FvGJ
Rainald Goetz Schriftsteller
Bild: picture-alliance/dpa/D. Maurer

Zeitunglesen, analog und mit Muße, gehört zu seinen größten Leidenschaften. Aber Rainald Goetz surft auch mit großer Passion durch die digitalen Netzwelten. In seinen Texten und Büchern beschäftigt er sich immer wieder mit der Welt der Technomusik und Raver, quer über die Kontinente verteilt. 1994 erschien seine erste CD "Word", mit selbst gesprochenen Texten ("Kronos") und rauschhaften Technoklängen. In der Erzählung "Rave" tauchte er auch literarisch in diese Welt ein - und beschrieb das Nachtleben der Technoszene und ihre Drogen-, Sex- und Musikexzesse als "das einzig wahre Leben". Die Literaturkritik war nicht begeistert.

Radikale Doppelbegabung

Der Büchner-Preisträger Rainald Goetz wird seit langem eher als "Enfant Terrible" der Literaturszene wahrgenommen. Gleich mit seinem ersten öffentlichen Auftritt - als Nachwuchsliterat beim Klagenfurter Lesewettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis - sorgte er 1983 für einen Skandal: Mitten in der Lesung zerschnitt er sich mit einer Rasierklinge die Stirn und las blutüberströmt seinen Text weiter. Im gleichen Jahr wurde "Irre" als Romandebüt bei Suhrkamp veröffentlicht - auf Anhieb ein Erfolg. Sein Name war mit einem Schlag bekannt, seine nachfolgenden Texte wurden viel beachtet.

Geboren 1954 in München, hatte Goetz erst gar nicht vor, Schriftsteller zu werden. Sein Berufsziel war Arzt, wie sein Vater. Das Kreative brachte seine Mutter ins Familienleben ein - sie war Fotografin. Sohn Rainald widmete sich in einem Doppelstudium der Geschichte und der Medizin, beide Fächer schloss er mit erfolgreicher Promotion ab. Doch nach nur einem Berufsjahr in der Psychiatrie wurde ihm klar, dass er andere Wege gehen wollte. In ersten Romanversuchen und Theaterdramen beschäftigte er sich "mit der psychopathologischen Zertrümmerung des modernen Menschen". Den Arztberuf gab er für das Schreiben auf.

Rainald Goetz Schriftsteller
Tendenziell medienscheu: Rainald Goetz im November 2000 in BraunschweigBild: picture-alliance/dpa/W. Langefeld

Revolutionäres Theater

Vielbeachtete Erfolge hatte er in den ersten Jahren vor allem durch ambitionierte Theaterstücke - das verbindet ihn mit Georg Büchner. In "Krieg", seinem ersten Bühnenstück, ließ er mal eben kurz die zweihundertjährige Geschichte der Französischen Revolution Revue passieren, um sie zuletzt mit der Revolutionstheorie der deutschen Studentenbewegung zu verknüpfen. Die nachfolgenden Stücke "Heiliger Krieg", "Schlachten", "Festung" verstörten nicht nur die Kritiker. 1993 erhielt Goetz für seinen Bühnenmonolog eines alten Mannes über Kunst, Sex, Moral, Krankheit und Tod ("Katarakt") - genial gespielt vom Schauspieler Jürgen Holtz - den begehrten Mülheimer Dramatikerpreis. Trotz zahlreicher Ehrungen und Preise brachte Rainald Goetz immer wieder seine Distanz zum gängigen Literaturbetrieb zum Ausdruck. 1998 verfasste er mit seinem Internet-Tagebuch "Abfall für alle" eine Fundamental-Gesellschaftskritik, die sich kritisch mit der Medien- und Konsumwelt auseinandersetzte.

"Irre" von Rainald Goetz (Buchcover)
Peter Handke bekam ihn 1973 - mit dem Büchner-Preis werden Schriftsteller ausgezeichnet, die mit ihren Texten Debatten anzettelnBild: picture-alliance/dpa/Bildarchiv

Seiner Zeit war der Schriftsteller damals weit voraus. Ausgezeichnet mit dem renommierten Wilhelm-Raabe-Preis wurde er Ende der 1990er Jahre von der Presse als "bedeutendster deutschsprachiger Schriftsteller der mittleren Generation" gefeiert. Kein Grund für den medienscheuen Autor, sich auf seinen literarischen Lorbeeren auszuruhen. Im Gegenteil: Mit mehrbändigen Zyklen, Erzählbänden, Textsammlungen verausgabte sich Goetz derart, dass er pausieren musste.

Theaterstücke von Goetz
Jürgen Holtz 2005 bei Proben zu dem Stück "Katarakt" von Rainald GoetzBild: picture-alliance/akg-images/N. Stauss

Keine Scheu vor Selbstplagiaten

Im Februar 2007 meldete sich der hochbegabte Schriftsteller zurück - überraschenderweise mit einem literarischen Weblog auf der Internetseite der Zeitschrift "Vanity Fair". Die Presse reagierte amüsiert: "Dabei schwankt er zwischen Spontanpoesie, linksliberaler Medienbegutachtung und einer teilweise nicht uncharmanten Selbstplagiierung". Erst seine nächste literarische Veröffentlichung wurde von der Literaturkritik positiv aufgenommen: "Loslabern" (2010) fand auch als Hörbuchfassung - vom Autor selbst gesprochen - viel Beachtung: "Die Sätze funkeln oft wie polierte Juwelen", schrieb die TAZ.

Rainald Goetz gilt als aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Verwerfungen und kapitalistischer Auswüchse. In seinem letzten Roman ("Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft", 2012) seziert der gelernte Arzt Aufstieg und Fall eines skrupellosen Medienmanagers - Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen wie dem einstigen Bertelsmann-Top-Manager Middelhoff sind nicht zufällig. Die Tageszeitung "Die Welt" bescheinigt dem Roman explizit Thrillerqualitäten. Und auch der Schweizer "Tagesanzeiger" lobt die literarische Güte: "Mit hitzköpfiger Sprachgewalt, kaltblütigem analytischen Furor und sprödem Witz vergräbt sich Totalabrissbirne Rainald Goetz eindrucksvoll in ein heillos kaputtes System."

Jürgen Becker bei der Verleihung des Büchner-Preises 2014
Büchner-Preisträger des Jahres 2014: der Schriftsteller Jürgen Becker (rechts)Bild: picture-alliance/dpa

Ausgezeichnete Sprachgewalt

Für die Jury des Georg-Büchner-Preises war die Entscheidung in diesem Jahr klar: Rainald Goetz entspricht ganz dem Leitbild der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die den Preis verleiht. Mit seinen vieldiskutierten Texten und Büchern gehört er zu den deutschen Schriftstellern, die gesellschaftliche Debatten anstoßen - ganz im Sinne des Namensgebers dieses mit 50.000 Euro dotierten Preises. Verliehen wird er auf der diesjährigen Herbsttagung der Akademie am 31. Oktober 2015. Man darf gespannt sein auf die Rede des Preisträgers.

Theaterstücke von Goetz
Inszenierung von "Katarakt/Brief an Deutschland" von Rainald Goetz im HAU 2 Theater Berlin (2012)Bild: picture-alliance/ZB/C. Esch-Kenkel