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Schanna Nemzowa: "Putins Politik wird scheitern"

Stefan Dege12. Februar 2016

2015 wurde der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow erschossen. Seine Tochter Schanna zog kurz darauf nach Deutschland, wo sie für die Deutsche Welle arbeitet. Jetzt legt sie ihr Buch "Russland wachrütteln" vor.

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Zhanna Nemzowa Tochter des erschossenen russischen Oppositionellen Boris Nemzow
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Schanna Nemzowa brütet über Ihrer Moderation für das Russische Programm der Deutschen Welle. Die braunen Augen blitzen, wenn der Name Putin fällt. Beim Gespräch wirkt sie konzentriert und argumentiert gestenreich. Ein Jahr ist es her, seit ihr Vater Boris Nemzow, einer der bekanntesten russischen Oppositionspolitiker und scharfer Kritiker des Präsidenten Wladimir Putin, auf offener Straße erschossen wurde.

Das Attentat geschah in der Nacht des 27. Februar 2015 in Sichtweite des Kremls. Mitten im Machtzentrum Russlands vermutet die 31-jährige Fernsehjournalistin Nemzowa die Drahtzieher für den Mord an ihrem Vater. Postwendend machte sie Präsident Putin persönlich politisch verantwortlich.

Andauernde Drohungen trieben sie in die Emigration

Das Attentat löste weltweit Entsetzen aus. Knapp ein Jahr später stellt Schanna Nemzowas jetzt ihr Buch "Russland wachrütteln" vor. Sie hat es in Deutschland geschrieben, wohin sie nach andauernden Drohungen emigriert ist. Ihr von dem Journalisten und Kreml-Kritiker Boris Reitschuster übersetztes Werk erscheint zunächst nur in Deutschland.

DW: Es ist knapp ein Jahr her, seit ihr Vater auf offener Straße in Moskau erschossen wurde. Warum musste er sterben?

Schanna Nemzowa: Das war ein politisch motivierter Mord. Seit langer Zeit stand mein Vater, wie auch andere Oppositionsführer, unter Druck. Dieser Druck wurde zu Gewalt - und mündete in diesen Mord. Er kam wesentlich von den Behörden und von der russischen Fernsehpropaganda. Ziel war es, die politischen Aktivitäten meines Vaters zu stoppen und Leute einzuschüchtern.

Das Interview mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves
DW-Reporterin Schanna Nemzowa im Interview mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik IlvesBild: DW

Viele Menschen in Russland sind heute eingeschüchtert. Sie haben Angst, frei und öffentlich zu reden und ihre Meinung zu sagen. Einige Oppositionsführer stehen auf der "Roten Liste". Alle anderen Führer haben keine Angst, sondern setzen ihre Aktivitäten fort. Die sind wirklich mutig und verdienen großen Respekt für ihre Courage.

Ihr Buch heißt "Russland wachrütteln". Woraus genau sollten die Russen wachgerüttelt werden?

Diese Worte stammen von meinem Vater, als er einmal eine Kirche besuchte. Er bestieg den Turm und begann die Glocke zu läuten. Dazu sagte er: 'Ich muss die Russen wachrütteln'.

Die russische Regierung, die russischen Behörden, sind auf dem falschen Weg. Der führt zu Rezession und wirtschaftlichem Niedergang, zur Schwächung von Institutionen, zum Verlust von Infrastruktur. Russland braucht den Wandel, aber es muss ein demokratischer Wandel sein! Wir sollten auf den Boden demokratischer Werte zurückkehren. Wir dürfen nicht aggressiv gegenüber anderen Ländern sein. Wir sollten uns auf die Probleme in Russland konzentrieren.

Die Botschaft ist: Ohne einen Wechsel der politischen Führung wird es keinen positiven Wandel in Russland geben. Das müssen die Leute verstehen. Putin ist kein russischer Patriot. Er tut sein Bestes, um die Lage zu verschlimmern. Seine Strategie wird scheitern.

"Die Unterstützung für Putin ist flüchtig"

Sie beschreiben Russland als "Unrechtsstaat" - ohne echte Wahlen, die Annexion der Krim, der heimliche Krieg gegen die Ukraine, die Medienpropaganda. Und trotzdem ist Putin in seinem Land populärer denn je?

Das ist er ja nicht wirklich. Im Jahr 2000 war er sehr populär. Fast 80 Prozent der Russen haben ihn unterstützt. Wieder im Amt als Präsident - noch ohne gewählt zu sein - stiegen seine Zustimmungswerte innerhalb weniger Monate sprunghaft an. Das zeigt doch, dass diese Unterstützung sehr flüchtig ist, dass die Leute eigentlich keine klaren politischen Vorlieben hegen. Es ist eine passive Form der Unterstützung, keine aktive. Und Putin weiß das. Vielerorts sind lediglich Minderheiten aktiv. Das ist der Grund, weshalb Putin versucht, Druck auf diese Minderheiten auszuüben.

Es gibt noch einen anderen Grund für seine vermeintliche Popularität: Als man die Menschen unlängst befragte, ob sie Angst hätten, sich offen zur aktuellen politischen Situation zu äußern, sagten 26 Prozent der Befragten "Ja"! Und außerdem gibt es keine klare Alternative zu Putin.

Gedenken an Boris Nemzow
Gedenken an Boris Nemzow im Februar 2015Bild: picture alliance/Russian Look

Russische Medien berichteten unlängst ausführlich über die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen russlanddeutschen Mädchens in Berlin. Eine glatte Fehlinformation. Führt Putin einen Informationskrieg gegen Deutschland?

Mich hat dieser Angriff der von Putin kontrollierten Medien auf Deutschland überrascht. Aber ich glaube kaum, dass russischsprechende Menschen hierzulande - das sind mehr als drei Millionen - dieser Propaganda aufsitzen.

Die deutsche Staatsanwaltschaft untersucht jetzt, ob der russische Korrespondent gegen das Gesetz verstoßen hat. Das immerhin zeigt, dass wenn russische Propaganda Deutschland berührt, sehr energisch dagegen vorgegangen wird. Ich hatte davor gewarnt. Aber diese Warnungen wurden in den Wind geschlagen.

Jetzt arbeiten Sie für die Deutsche Welle, den deutschen Auslandsrundfunk. Hat das Ihren Blick auf Russland verändert?

Nein. Meine Sicht auf Russland war sehr klar. In Russland habe ich als Kommentatorin für einen privaten Sender gearbeitet, eine Art russisches Bloomberg. Wir haben über den Finanzmarkt und über die Weltwirtschaft berichtet. Hier in der Deutschen Welle habe ich eine andere Rolle. Ich berichte zwar noch immer über wirtschaftliche Dinge, aber auch über vieles andere. Das ist eine Herausforderung. Aber meine Auffassungen haben sich nicht geändert. Es sind die gleichen Ansichten wie vor drei Jahren. Ich habe eine klare politische Haltung und politische Präferenzen.

Das Gespräch mit Schanna Nemzowa führte Stefan Dege. Ihr Buch "Russland wachrütteln", übersetzt von Boris Reitschuster, ist im Ullstein Verlag erschienen, hat 192 Seiten und kostet 18 Euro.