Schöner als die Wirklichkeit
16. August 2003Dabei hätte es Hans Holbein der Jüngere in Heinrichs Augen verdient gehabt, einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Schließlich hatte der alte Meister die junge Prinzessin Anna von Cleve so verheißungsvoll porträtiert, dass das Gemälde Heinrichs Begierde entflammte. Der Monarch erkor Anna prompt zu seiner vierten Frau - ohne die Prinzessin aus dem Rheinland ein einziges Mal in natura erblickt zu haben. Als Heinrich dann wenige Monate später seine künftige Gemahlin erstmals zu Gesicht bekam - wohlgemerkt nach dem Eheversprechen - soll er kräftig geflucht haben: Über Anna von Cleves Aussehen - und vor allem über Hans Holbein.
Ein Gefühl von Dreidimensionalität
Schöner als die Wirklichkeit - so hat Hans Holbein vor fast 500 Jahren seine Modelle verewigt. Egal, ob Könige, Kaufleute oder Gelehrte: Stets umgibt die von ihm Porträtierten eine vornehme, geheimnisvolle Aura; manchmal hat es sogar den Anschein, als seien sie physisch auf den Gemälden greifbar. "Es sind vor allem Details wie Lichtreflexe auf der Haut oder kleine Risse auf einem Mantel, die einem das Gefühl von Raum, von Dreidimensionalität geben", sagt Ariane van Suchtelen, Kuratorin des Museums Mauritshuis in Den Haag.
Für seine Holbein-Ausstellung hat das Mauritshuis, sonst eher Mekka für Liebhaber alter holländischer und flämischer Meister, insgesamt 37 Werke des Renaissance-Malers aus Augsburg zusammengetragen. Die Bilder kommen aus aller Welt: Holbeins berühmtes "Porträt des Erasmus von Rotterdam" entstammt dem Pariser Louvre, die Washingtoner National Gallery hat dem Mauritshuis das "Bildnis des einjährigen Prinzen Edward" ausgeliehen. Sogar die Queen ließ sich erweichen - und stellte den Niederländern 15 Holbein-Zeichnungen und -Gemälde aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung.
Irrungen und Wirrungen einer leuchtenden Madonna
Doch das Glanzstück der Ausstellung stammt aus Deutschland: Die "Darmstädter Schutzmantelmadonna" stand in den letzten Monaten gleich zweimal im Fokus der Feuilletons: Zum einen, weil die kalifornische Getty Stiftung den Eigentümern vom Hause Hessen-Kassel angeblich sage und schreibe 110 Millionen Euro für das Bild geboten haben soll. Zum anderen, weil die hessische Adelsfamilie beschloss, die Madonna statt wie bisher im Darmstädter Schlossmuseum zukünftig im Frankfurter Städel auszustellen. Erbitterte Wortgefechte zwischen den Lokalpolitikern beider Städte waren die Folge.
Dem Gemälde selbst haben all diese Irrungen und Wirrungen offenbar ebenso wenig anhaben können wie der Zahn der Zeit: Auch nach fünf Jahrhunderten leuchtet die Madonna in kräftigen Farben, so als sei sie erst gestern gemalt werden. Wer sie und die anderen Meisterwerke Holbeins besichtigen will, kann dies noch bis zum 16. November tun - auch wenn der Eintrittspreis mit 12,50 Euro wahrhaft königlich ist.