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Rückkehr als Volkstribunin

Frank Hofmann, Kiew25. Mai 2016

Nach zwei Jahren in russischer Haft wird die ukrainische Kampfpilotin Nadja Sawtschenko in Kiew gefeiert. Führende Politiker versuchen, sie zu vereinnahmen - erfolglos. Aus Kiew Frank Hofmann.

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Ankunft Nadja Sawtschenkos in Kiew (Foto: DW)
Bild: DW/J. Komarow

Diesen Satz muss sich Nadja Sawtschenko ganz genau überlegt haben - es ist der Dank an ihre Unterstützer, den sie nach der Ankunft in Kiew mehrmals wiederholt: "Wenn die einfachen Leute nichts gesagt hätten, hätten die Politiker ewig geschwiegen." Dann säße sie immer noch in russischer Haft - frei sei sie heute wegen des Drucks der "einfachen Leute".

Nach Sawtschenkos Verhaftung durch vermutlich pro-russische Rebellen in der Ostukraine und ihre Verschleppung nach Russland vor zwei Jahren hatte ihre Schwester Wira in ukrainischen und in internationalen Medien fast wöchentlich über Nadjas Schicksal gesprochen. Irgendwann Ende 2014 erklärte Präsident Petro Poroschenko den Fall zur Chefsache und forderte von seinem russischen Kollegen Waldimir Putin die Freilassung Sawtschenkos. Poroschenko trug das Thema auch in die von Deutschland und Frankreich vermittelten Friedensgespräche mit Russland im Februar 2015 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk.

Blumen von Julia Timoschenko

Am Flughafen Kiew wartet auch die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, um Sawtschenko einen Blumenstrauß zu überreichen. Die Geste geht ins Leere - die Freigelassene habe abgelehnt, heißt es gerüchteweise in Kiew. Sawtschenko will sich offenbar nicht vereinnahmen lassen. Etwas später sprechen die beiden Frauen vor dem Flughafengebäude dann doch noch miteinander. "Nicht Putin hat Zugeständnisse gemacht, du hast einfach das russische Imperium bezwungen", sagt Timoschenko im Duktus der pro-europäischen ukrainischen Eliten.

Nadja Sawtschenko in Kiew mit Julia Timoschenko (Foto: DW)
Treffen am Flughafen: Nadja Sawtschenko spricht mit Julia Timoschenko (l.)Bild: DW/J. Komarow

Die allerdings stehen seit Monaten heftig unter innenpolitischem Druck. Denn der Frust sitzt tief bei vielen Ukrainern, die sich nach der pro-europäischen Maidan-Revolution viel mehr von ihrer Führung erhofft hatten: Das Land ist heute so korrupt wie vor den Protesten. Vor allem die Justiz sei weiterhin nicht unabhängig, bemängeln die Korruptionsbekämpfer von Transparency International. Zuletzt sorgte der neue Generalstaatsanwalt Juri Luzenko für Aufregung: Er ist ein enger Poroschenko-Vertrauter, für den der Regierungschef eigens ein Gesetz ändern ließ. Er hat nie Jura studiert und musste wegen Amtsmissbrauchs schon einmal ins Gefängnis.

Kampfansage als Parlamentarierin

Für die Wut über diesen anhaltenden ukrainischen Nepotismus hat Nadja Sawtschenko am Flughafen von Kiew eine feine Antenne: "Das ukrainische Parlament muss sich aus echten Helden zusammensetzen. Wie das gelingen soll, weiß ich noch nicht, aber ich bemühe mich darum."

Seit Monaten wird in Kiew schon spekuliert, was eine Freilassung der 35-jährigen ehemaligen Euro-Maidan-Aktivistin politisch für die Ukraine bedeuten könnte. Sawtschenko wurde in Abwesenheit als Abgeordnete in das ukrainische Parlament gewählt. "Wenn ich jetzt im Parlament bin, werden dort jene etwas zu sagen haben, die es können", sagt sie am Flughafen zu Julia Timoschenko, die sie 2015 auf die Liste ihrer Partei hat setzen lassen. Das könnten manche tatsächlich als politische Kampfansage verstehen.

Demonstration vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in Kiew (Foto: DW)
Verbreitete Korruption: Demonstration vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in KiewBild: DW/L. Hryschko

Ihre Popularität scheint jedenfalls enorm zu sein. Geschickt wählt Sawtschenko ihre ersten Sätze vor den Kameras auf ukrainischem Boden: "Ich möchte mich bei allen Müttern entschuldigen, deren Kinder aus der Ostukraine nicht zurückgekehrt sind, während ich jetzt noch am Leben bin." Und: "Ich möchte mich bei jenen Müttern entschuldigen, deren Kinder eingesperrt sind, während ich frei bin. Ich kann keine Toten wieder lebendig machen. Aber ich bin immer dazu bereit, mein Leben noch einmal zu opfern auf dem Kampffeld für die Ukraine."

Versprechen von Poroschenko

So spricht eine Volkstribunin. Ihre Fraktionsvorsitzende Julia Timoschenko hat zuletzt bei der Kiewer Regierungskrise um den zurückgetretenen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk die pro-europäische Regierungskoalition verlassen und führt derzeit die Umfragen an, vor allem mit der populistischen Forderung, die Lebenshaltungskosten der Ukrainer zu senken.

Viel weniger Zuspruch erfährt derzeit Präsident Petro Poroschenko, der vor allem durch seine mutmaßliche Verstrickung in den Skandal um die Panama Papers Popularität verloren hat. Am Tag vor der Überstellung Sawtschenkos begnadigte der Präsident jene beiden russischen Soldaten, die im Austausch mit der ukrainischen Heldin nach Moskau geflogen wurden. Ein interessanter Zufall: Auf den Tag genau vor zwei Jahren war Poroschenko zum Präsidenten gewählt worden. Am Tag der Heimkehr Sawtschenkos fragt nun niemand nach seiner Bilanz nach zwei Jahren im Amt. Vor den Medien erklärt Poroschenko, die Heimkehrerin neben sich: "So, wie wir Nadja nach Hause geholt haben, holen wir auch die Krim und den besetzten Donbass in die Ukraine zurück." Nadja Sawtschenko geht darauf nicht ein.