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Saudische Staatsreligion unter Beschuss

Kersten Knipp19. September 2016

Die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran weitet sich aus. Auch sunnitische Organisationen gehen auf Distanz zum Wahhabismus, der Staatsreligion des Könighauses. Dieser wird härter denn je kritisiert.

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Saudi-Arabien Hadsch - PilgerInnen in Mekka (Foto: Reuters/A. Jadallah)
Bild: Reuters/A. Jadallah

Die Bilder der diesjährigen Hadsch unterschieden sich nicht von denen früherer Jahre. Wieder umrundeten zahllose Gläubige die Kaaba, das zentrale Heiligtum des Islam. Im vergangenen Jahr waren über zwei Millionen Gläubige aus allen Teilen der Welt in die Geburtsstadt des Religionsstifters Mohammed gepilgert. Auch dieses Jahr waren mindestens anderthalb Millionen Menschen dabei. Nur die Zahl der Länder, aus denen die Pilger stammen, fiel geringer aus. Denn schiitische Gläubige aus dem Iran waren dieses Jahr ausgeschlossen.

"Ein bösartiger Baum"

Nachdem im vorigen Jahr durch einen Unfall hunderte von Gläubigen gestorben waren, hatte die Regierung des - schiitisch dominierten - Iran das benachbarte Königreich Anfang September scharf kritisiert. Auf die Vorwürfe hatte Abdul-Aziz al Sheikh, der Großmufti des saudischen Königreiches, in aller Schärfe reagiert. "Wir müssen verstehen, dass sie keine Muslime sind", hatte er mit Blick auf den Nachbarstaat erklärt. Der Satz war doppeldeutig formuliert: "Sie" - das konnte sich auf die Regierung und auf die Bevölkerung des Irans beziehen.

Einen solchen Ton ließ Ajatollah Ali Chamenei, der Oberste Religionsführer nicht unbeantwortet. Die saudische Königsfamilie sei ein "verfluchter, bösartiger Baum", erklärte er Anfang September. Dieser hätte sich vom Islam entfernt und sich mit dessen Feinden verbündet.

Der iranische Ajatollah Ali Khamenei (Foto: khamenei.ir)
Scharfe Kritik am Wahhabismus: der iranische Ajatollah Ali ChameneiBild: khamenei.ir

Kritik auch von sunnitischer Seite

Der polemische Schlagabtausch fällt in eine Zeit, in der auch die Vertreter anderer muslimischer Richtungen auf Distanz zum Wahhabismus gehen. So fand Ende August in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny eine internationale Konferenz sunnitischer Religionsgelehrter statt. Teilnehmer war auch Ahmad al-Tayeb, der Imam der al-Azhar-Moschee in Kairo und als solcher eine geachtete theologische Autorität.

Die Konferenz hatte sich die Frage der sunnitischen Identität zum Thema gemacht. Diese, schrieben die Teilnehmer in der Abschlusserklärung, gründe sich auf die Zugehörigkeit verschiedener sunnitischer Gruppen und Rechtsschulen. Die Verfasser nannten eine - sehr überschaubare - Zahl verschiedener Gruppen und Strömungen. "Andere Gruppen sind in der sunnitischen Gemeinschaft nicht enthalten", so die Abschlusserklärung. Das war ein unübersehbarer Affront gegen die Wahhabiten, die die Religionsgelehrten ausdrücklich nicht in ihre Liste aufgenommen hatten und damit auch gegen Saudi-Arabien, wo der Wahhabismus Staatsreligion ist. Das saudische Königreich, das sich selbst als sunnitische Führungsmacht versteht, muss das als herbe Provokation empfinden.

Teilnehmer der diesjährigen Hadsch (Foto: picture alliance/abaca/Orhan Akkanat )
Teilnehmer der diesjährigen HadschBild: picture alliance/abaca/Orhan Akkanat

Vorwurf der Terror-Unterstützung

Der syrische Krieg hat die alte Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran neu entfacht und zusätzlich aufgeheizt. Geführt wird die Auseinandersetzung nicht zuletzt auf Grundlage religiöser Motive. Dieser Streit, berichtet das Internet-Magazion "Al-Monitor", ziehe inzwischen immer größere Runden. Demnach richte sich der Hass der Wahhabiten auch gegen die Anhänger des Sufismus, die überwiegend auch Sunniten sind. "Die Wahhabiten und ihre politischen Fürsprecher in Saudi-Arabien geben ihrem Hass gegenüber Schiiten und Sufis oftmals gleichermaßen Ausdruck", schreibt "Al-Monitor".

Immer wieder werden Teile der saudischen Gesellschaft beschuldigt, diese Organisationen zu unterstützen. So wurden zu Beginn des Krieges in Syrien Vorwürfe laut, das Königreich finanziere dort dschihadistische Gruppen, deren vornehmstes Ziel nicht der Sturz des Assad-Regimes, sondern der Aufbau eines "Kalifats" unter Herrschaft der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) sei. Diesem fühlen sich Teile der konservativen Sunniten Saudi-Arabiens sehr verbunden.

Auch der junge Mann, der diesen Sommer in einem Regionalzug auf Mit-Passagiere einstach sowie der Syrer, der in Ansbach eine vorzeitig hochgegangene Bombe bei sich trug, sollen Verbindungen zu saudischen Hintermännern haben. So berichtete es das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter Berufung auf entsprechende Chat-Protokolle, die den Bundesbehörden vorlägen. Tatsächlich hatte die saudische Regierung laut einem Medienbericht eine umfassende Zusammenarbeit mit Deutschland bei den Ermittlungen nach den Anschlägen in den bayerischen Städten angekündigt.

Anschlag in Ansbach (Foto:picture-alliance/dpa/K.J.Hildenbrand)
Anschlag in Ansbach: Die Hintermänner sitzen womöglich in Saudi-ArabienBild: picture-alliance/dpa/K.J.Hildenbrand

"Verzauberung der Welt"

Auch von wissenschaftlicher Seite wird der Wahhabismus sehr kritisch gesehen. Allein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, schreibt etwa die an der London School of Economics Cambridge lehrende Religionsanthropologin Madawi Al-Rasheed, hätten saudische Religionsgelehrte über 30.000 Fatwas erlassen. Die beträfen alle nur denkbaren Alltagsfragen. Als "Verzauberung der Welt" bezeichnet die Religionsanthropologin Madawi Al-Rasheed den nie versiegenden Fluss neuer Fatwas. Dieser diene einem konkreten Zweck: Er lenke die Aufmerksamkeit der Menschen ganz auf die Religion. Ohne Unterlass mit der Frage beschäftigt, ob sie ein den religiösen Vorschriften entsprechendes Leben führten, bliebe für weiterführende Fragen - politische etwa - kaum Zeit und Kraft.

Immer stärker steht Saudi-Arabien auch wegen solcher Praktiken in der Kritik. "Die Proteste inner- und außerhalb der muslimischen Welt könnten dazu führen, die Präsenz wahhabitischer und salafistischer Gruppen weitgehend einzuschränken", erwartet das Online-Magazin "Al-Monitor".

Die rückläufigen Einnahmen durch das Erdölgeschäft zwingen Saudi-Arabien und seine Bürger bereits jetzt, strenger auf die Ausgaben zu achten. Das dürften absehbar auch die dschihadistischen Gruppen zu spüren bekommen.