1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Keine Bösewichte mehr?

Rainer Sollich5. September 2008

Frankreichs Präsident bemüht sich um eine diplomatische Aufwertung Syriens. Mit Condoleezza Rice besuchte erstmals seit 55 Jahren ein US-Außenamtschef Libyen. Eine Synthese aus Interessen- und Friedenspolitik?

https://p.dw.com/p/FBpj
Themenbild Kommentar
Bild: DW

Der syrische Präsident Bashar al-Assad hat sich am Donnerstag (04.09.2008) für direkte Friedensverhandlungen mit Israel ausgesprochen und befürwortete eine mögliche Schirmherrschaft Frankreichs. Anlass war der Vierer-Gipfel mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem Emir von Katar, Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani.

Insbesondere das Treffen Assad-Sarkozy gilt als weiterer Schritt Syriens aus der internationalen Isolation - eine auffällige Parallele zu Libyen, wo am Freitag US-Außenministerin Condoleeza Rice zum ersten Besuch eines amerikanischen Außenamtschefs seit 55 Jahren eintraf.

Neues Zeitalter?

"In der arabischen Welt bricht diese Woche ein neues Zeitalter an", verkündet die sonst eher nüchterne Deutsche Presse-Agentur. Die Nachrichtenagentur beruft sich darauf, dass mit Libyens alterndem Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi und dem noch jungen, aber politisch durchaus gerissenen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gleich zwei im Westen lange Zeit als "Bösewichte" geltende arabische Staatslenker hohen westlichen Politikern die Hand schütteln können.

Neue Zeitalter sind in der arabischen Welt schon oft ausgerufen worden, meistens vorschnell. In einem beträchtlichen Teil der Region bleibt es bisher im wesentlichen bei alten Konflikten und Feindschaften, bei Terror und Besatzung, sozialer Armut und politischen Repressionen. Gerade die Regime in Damaskus und Tripolis haben eine miserable Menschenrechtsbilanz vorzuweisen.

Vom Bösewicht zum Bessermenschen

Dennoch gibt es in beiden Ländern auch nicht zu leugnende positive Entwicklungen: Libyen hat auf Massenvernichtungswaffen verzichtet. Es hat Angehörige von Terroranschlagsopfern entschädigt, nach langem Pokern die bulgarischen Krankenschwestern freigelassen und eine hilfreiche Rolle bei der Befreiung von ausländischen Geiseln in unterschiedlichen Ländern gespielt.

Syrien wiederum will seine Beziehungen zum Libanon normalisieren und scheint einen Friedensschluss mit Israel zumindest ernsthaft in Erwägung zu ziehen, wenn es dafür die Golanhöhen zurückerhält. Die westlichen Länder sind hier tatsächlich gut beraten, nicht auf weitere Isolation oder auf eine Strategie des Regime-Change zu setzen, sondern gesunde Realpolitik zu betreiben, also politischen Dialog und vor allem wirtschaftliche Zusammenarbeit anzubieten.

Ein Ansatz, den in Deutschland - teils gegen ausdrückliche Bedenken der Bundeskanzlerin - auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon länger verfolgt. Dieser Ansatz ist der einzig realistische - auch wenn er die autoritären Regime in Damaskus und Tripolis zunächst weiter im Amt halten wird und die erhoffte spätere Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaften keineswegs sicher scheint.

Westliche Interessenpolitik

Mit beiden Ländern verbinden der Westen und auch Europa aber auch eigene Interessen: Eine Zusammenarbeit mit Libyen ist nicht nur angezeigt, wenn es um die Bewältigung der illegalen Einwanderung aus Afrika geht. Libyen ist auch ein attraktiver Öllieferant. Der Westen hat ein Interesse daran, dass das Regime in Tripolis in Sicherheitsfragen kooperiert und nicht zulässt, dass sich Libyen - ähnlich wie teilweise der Jemen und auch Algerien - zu einem Rückzugsgebiet für gewalttätige Extremisten entwickelt.

Auch hier ist es richtig, solche Interessen trotz aller Bedenken wahrzunehmen - weil es faktisch keine erfolgversprechende Alternative gibt. Menschenrechtsfragen sollten jedoch stets Teil des westlichen Forderungskatalogs sein.

Was Syrien betrifft, so ist offensichtlich, dass Sarkozy ehrgeizig nach vorzeigbaren Erfolgen für sein Projekt der Mittelmeerunion und für seine eigene Person in der Eigenschaft als französisches Staatsoberhaupt und EU-Ratspräsident sucht. Sollte er erfolgreich sein, könnte davon neben dem Nahen Osten ganz Europa profitieren, das ein großes Interesse an einer Stabilisierung seiner Nachbarregion hat.

Vorsicht ist geboten

Allerdings sollte sich westliche Politik keinen Illusionen hingeben. Assad ist ein gewiefter Taktiker der Macht und hält bisher an seinen engen Bindungen zu Teheran wie zur libanesischen Hisbollah-Miliz fest. Genau diese Verbindungen machen unter anderem Syriens Stärke aus, und Gaddafi ist schon immer für Überraschungen gut gewesen.

Aber auch die Hoffnung mancher arabischer Kommentatoren auf eine stärkere Rolle Frankreichs und Europas - möglicherweise auf Kosten oder gar an Stelle der vierlerorts ungeliebten US-Amerikaner - dürfte eher unrealistisch sein. Wahrscheinlicher ist, dass wirklich bedeutende Fortschritte in der Region wie ein syrisch-israelischer Friedensschluss weiter auf sich warten lassen werden. Zumindest solange, bis eine neue israelische und vor allem eine neue US-amerikanische Regierung im Amt sind - möglicherweise auch erst nach einer Lösung des symbolträchtigen Palästina-Konflikts.