1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wiederentdeckter Held

14. Juli 2009

Den USA galt er als "Bandit", Fidel Castro nannte ihn "ein Vorbild und Inspiration für jeden Lateinamerikaner": Auch 30 Jahre nach der sandinistischen Revolution wird Sandino in Nicaragua wie ein Nationalheld verehrt.

https://p.dw.com/p/ImPv
Augusto César Sandino (Mitte) mit Kampfgefährten 1929 (Foto: dpa)
Bis heute ein Mythos und Nationalheld Nicaraguas: SandinoBild: picture alliance / newscom

Als im Juni 1979 in Nicaragua die Sandinisten mit einem Putsch die seit 43 Jahren bestehende Somoza-Dynastie stürzten, geschah dies im Namen Augusto César Sandinos: Der unscheinbare nicaraguanische Guerillaführer mit dem charakteristischen breitrandigen Hut und den hohen Schnürstiefeln gilt als geistiger Vater des langjährigen Kampfes der "Frente Sandinista de Libercación Nacional" (FSLN) gegen die Somoza-Diktatur.

Nicaraguas Präsident Daniel Ortega vor einem Bild von Cesar Augusto Sandino. (Archivfoto: AP)
Sandino: Der Mythos ist ungebrochenBild: AP

Sandino wurde 1895 als unehelicher Sohn einer Tagelöhnerin und eines Plantagenbesitzers in dem kleinen Dorf Niquinohomo geboren. Schon früh nahm er den zunehmenden Einfluss der USA in Nicaragua wahr, die so genannte "Dollardiplomatie": So hatte etwa der konservative Präsident Adolfo Díaz 1911 Millionenkredite von US-Banken erhalten und im Gegenzug den USA die direkte Kontrolle über die nicaraguanischen Zolleinnahmen überlassen. Als sich die eigenen Minister gegen Díaz stellten, griff Washington aktiv ein: Am 14. August 1912 besetzen Marines die Städte Managua, Granada und León; sie blieben bis 1933 und unterstützten fortan die US-freundlichen Regierungen gegen Aufständische im eigenen Land.

Guerillero der ersten Stunde

1927 entflammte der Bürgerkrieg erneut zwischen der konservativen Regierung und den Liberalen, zu deren Generälen zunächst auch Augusto César Sandino zählte. Die USA erwirkten schließlich den Pakt von Espino, dem zufolge der liberale General José María Moncada Präsident werden sollte, die Liberalen aber im Gegenzug ihre Waffen abgeben sollten. Enttäuscht wandte sich Sandino von den Liberalen ab, verweigerte die Rückgabe der Waffen und zog sich zusammen mit 30 seiner Soldaten in den Norden des Landes zurück. Von dort aus kämpften sie gegen die nicaraguanische und US-amerikanische Soldaten und brachten ihnen zahlreiche empfindliche Niederlagen bei: “Sandino hat die Methode des Guerillakampfes im 20. Jahrhundert wesentlich geprägt, weshalb nicht nur die lateinamerikanische Guerilla, sondern auch die vietnamesische Guerilla sein Beispiel studiert hat“, sagt Sandino-Biograph Volker Wünderich.

Aufständische in Nicaragua 1927-32 (Foto: AP)
Sandino und seine Truppen prägten die Guerrilla-Taktik maßgeblich - selbst die Vietnamesen lernten von ihnenBild: picture alliance/akg Images

1933 sah Sandino, der schmächtige Guerillero, der immer einen Schlapphut der Marke Stetson auf dem Kopf hatte, sein Ziel erreicht: Die US-Truppen zogen aus Nicaragua ab, nachdem sie eine nicaraguanische Nationalgarde aufgestellt und ausgebildet hatten, deren Oberbefehl ihr Vertrauter Anastasio Somoza García hatte. Obwohl Sandino die Waffen niederlegte, sahen die politischen Eliten in ihm offenbar immer noch eine unkalkulierbare Gefahr: 1934 wurden er und seine engsten Gefährten auf Befehl Somozas in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. Von einer Legende war Sandino damals noch weit entfernt: "Es gab niemand, der die Hand zum Protest erhoben hätte“, so Volker Wünderich. Danach blieb es lange still um den Revolutionär mit Schlapphut.

In seinem Buch "Sandino. Eine politische Biografie" versucht sich der Wissenschaftler an einer Entmystifizierung des populären Helden: Seine These: Sandino wurde als Kultfigur in den vergangenen Jahrzehnten aus dem historischen Kontext herausgelöst und zahlreiche Widerstandsbewegungen und sozialrevolutionäre Projekte instrumentalisierten ihn.

Vom Kämpfer zur Legende

Das Sandinistenmuseum in Nicaragua (Foto: Nicolas Martin)
Allgegenwärties Gedenken: Das Sandinistenmuseum in NicaraguaBild: Nicolas Martin

Carlos Fonseca, der Gründer der FSLN, erweckte Sandino, rund 30 Jahre nach dessen Tod, wieder zum Leben. Fonseca erkannte das Potential seiner Figur für sein politisches Projekt, in Sandino fand er den Prototyp des Dritte-Welt-Revolutionärs, denn er sei Bauernführer, bewaffneter Widerstandskämpfer, nicaraguanischer Nationalist und lateinamerikanischer Internationalist zugleich gewesen, ist bei Wünderich zu lesen. Und so wurde Sandino zum Symbol "für die Wirksamkeit des bewaffneten Kampfes" und "eine Figur in der nicaraguanischen Politik, die nicht korrupt und moralisch beschädigt war“. Als die FSLN im Juni 1979 ihr Ziel erreichte, skandierten hunderttausende Anhänger "Sandino ist der Weg!" und schwenkten die schwarz-rote Fahne, die bereits ein halbes Jahrhundert zuvor das Symbol von Sandinos "pequeño ejercito loco“, seinem "kleinen verrückten Heer" gewesen war.

Bedeutung jenseits der Grenzen

Die Rekonstruktion des Sandinobildes entfernte sich allerdings immer weiter von der Realität: So beschrieben Teile der FSLN den Kämpfer später als "beispiellosen Kommunisten", obwohl sein Widerstand sich stets gegen die rücksichtslose Ausbeutung des Landes durch amerikanische Firmen gerichtet hatte. Er nahm zahlreiche Forderungen der Arbeiterbewegung in sein Manifest auf und geißelte die unmenschlichen Verhältnisse in der Landwirtschaft. Dennoch blieb er den liberalen Ideen verpflichtet; klassenkämpferische Standpunkte hatte er wiederholt zurückgewiesen, das Privateigentum sollte in jedem Fall unangetastet bleiben, allerdings nicht nur das der Reichen, sondern auch jenes der Kleinbauern.

Revolutionsfeiern im Jahr 2004, unter ihnen Daniel Ortega, Führer der FSLN (Foto: AP)
Bis heute werden in Nicaragua die schwarz-roten Fahnen Sandinos geschwenktBild: AP

Bis heute ist der kleine Mann mit Hut in Nicaragua allgegenwärtig und genießt den Status eines Nationalhelden. Und auch international stieß der Mythos Sandino auf ein großes Echo, was Wünderich als Reaktion auf die damaligen imperialistischen Tendenzen in der amerikanischen Außenpolitik deutet. Er ist sich sicher: Sandino verkörperte die enttäuschten Hoffnungen eines ganzen Kontinents.

Autoren: Nicolas Martin / Ina Rottscheidt