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Populisten im Aufwind

Mona Naggar21. August 2012

Die Lage im Libanon gerät zunehmend außer Kontrolle. Radikale Sunniten verschärfen die Spannungen. Sie fordern die schiitische Hisbollah offen heraus. Viele Libanesen sympathisieren mit den sunnitischen Hardlinern.

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Bilal ibn Rabah Moschee in Sidon, aufgenommen am 16.8.2012 Copyright: DW/Mona Naggar
Salafisten LibanonBild: DW

Ahmad Al-Assir hat ein klares Ziel. Die schiitische Hisbollah soll endlich ihre Vormachtstellung im Libanon abtreten und ihre Waffen abgeben. Um das zu erreichen scheut der salafistische Scheich nicht davor zurück, drastische Mittel anzuwenden. Er sperrte mit seinen Anhängern kurzerhand mehrere Wochen die Hauptverbindung Richtung Süden. Sie führt mitten durch die südlibanesische Stadt Sidon. "Wir müssen uns endlich bewegen und mehr Druck ausüben", sagt er. "Nur Forderungen zu stellen und Verurteilungen abzugeben wird die Politik der Hisbollah nicht ändern."

Al-Assir, der einen langen, ungestutzen Bart trägt, eine Mütze und ein wadenlanges Gewand, wertet die Aktion als vollen Erfolg. Er ist davon überzeugt, dass er mehrere Wochen lang die Route, die Funktionäre der schiitischen Parteien in ihr Einflussgebiet im Süden nehmen, empfindlich gestört habe. Um gewalttätige Zusammenstöße zu vermeiden, wagten die Sicherheitskräfte es nicht die Blockade aufzulösen.

1 Scheich Ahmad Al-Assir, aufgenommen in Sidon/Libanon am 16. August 2012
Scheich Ahmad Al-Assir SidonBild: Mona Naggar

Provokation kommt an

Der 44-Jährige ist Imam einer kleinen, unscheinbaren Moschee im Stadtteil Abra im Osten Sidons. Vor dem Eingang wehen schwarze und weiße Fahnen. In geschwungener arabischer Schrift ist darauf das islamische Glaubensbekenntnis zu lesen. Al-Assir träumt davon, etwas Ähnliches wie am 14. März 2005 auf die Beine zu stellen. Damals gingen Hundertausende Libanesen in Beirut auf die Straße und forderten den Abzug der syrischen Truppen aus ihrem Land. Nun sollen die Sunniten die Entwaffnung der Hisbollah, der "Partei Gottes", erzwingen.

Auch die libanesischen Opposition, das Bündnis des 14. März, das aus sunnitischen und christlichen Kräften besteht, fordert die Entwaffnung der "Partei Gottes". Sie versucht dieses Ziel auf politischem Weg zu erreichen. Al-Assir dagegen fordert heraus, provoziert und droht den mächtigen Führern der beiden schiitischen Parteien im Libanon: Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah und Nabih Berri, Führer der Amal Bewegung.

Der Populismus und die Aufsehen erregenden Aktionen kommen bei einigen Sunniten gut an, wie etwa bei Mohamed, dem Besitzer einer Wäscherei in Sidon. Er erinnert daran, dass die Hisbollah 2007 die gleiche Methode benutzt und mehrere Monate das Zentrum Beiruts besetzt habe. "Damals hat niemand gewagt sie zu kritisieren", sagt er und fragt sich: "Warum dürfen die so etwas machen und wir nicht?" Mit "wir" meint Mohamed die Sunniten.

Radikal-sunnitische Gruppen sind im Zedernstaat eine Randerscheinung und politisch unbedeutend. Die überwiegende Mehrheit konzentriert sich auf die Verbreitung ihrer strengreligiösen Auffassungen in Moscheen und Schulen. Allerdings machen diese Gruppen besonders in Krisensituationen von sich reden. Die innenpolitischen Spannungen zwischen der mehrheitlich aus schiitischen Kräften bestehenden libanesischen Regierung und der sunnitischen Opposition bringen ihnen Zulauf. Der Aufstand in Syrien ist für sie ein Aufstand aller Sunniten der islamischen Welt gegen ein ungläubiges Regime in Damaskus. Und das wachsende Selbstbewusstsein islamistischer Strömungen in arabischen Ländern wie Ägypten und Tunesien hat auch den Salafisten im Libanon Auftrieb gegeben.

Demonstranten in Beirut wehen mit libanesischen Flaggen (AP Photo/Hussein Malla)
Im März 2005 demonstrierten Hundertausende Libanesen gegen die syrischen Truppen im Land.Bild: AP

Sehnsucht nach Stärke

Vor einigen Monaten kannte Scheich Al-Assir kaum jemand im Libanon. Nun ist er die neue schillernde Figur der islamistischen Szene im Land. Der Journalist Mohamed Abi Samra, der sich eingehend mit den Sunniten im Libanon beschäftigt hat, versucht das Erstarken der Salafisten und das Phänomen Al-Assir realistisch einzuschätzen. "Ich würde vorsichtig sein und diese Phänomene nicht unbedingt als Teil einer schiitisch-sunnitischen Auseinandersetzung sehen", sagt er. Der Journalist weist auf das Problem der Übermacht der Hisbollah im Land hin. Die Sunniten dagegen hätten keine bewaffnete Organisation, kein gesamtpolitisches Konzept wie die schiitische Partei. Abi Samra beschreibt Scheich al-Assir und seine Anhänger als Reaktion auf die Strukturen, die die "Partei Gottes" geschaffen habe und nicht als tief in der Gesellschaft verankerte Bewegung. "Aber es existiert durchaus die Sehnsucht vieler Sunniten, und nicht nur bei ihnen, nach einer Figur wie Nasrallah, nach einer Organisation wie der Hisbollah, um einfach stark zu sein."

Mohamed Abi Samra, Journalist, aufgenommen in Beirut am 15.8.2012 Copyright: DW/Mona Naggar
Mohamed Abi SamraBild: DW

Scheich Ahmad Al-Assir hat weitere Aktionen angekündigt - ungeachtet der äußerst gespannten politischen Lage im Land. Viele Libanesen machen sich Sorgen um den inneren Frieden in ihrer Heimat, zum Beispiel der Physiklehrer Marwan. Er ist dafür, dass jeder seine Meinung sagen kann, aber Straßensperren, die das Leben der Menschen beeinträchtigen, lehnt er ab: "Der Scheich vermehrt nur die Spannungen und Feindseligkeiten zwischen den Menschen."