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Sag niemals nie!

Rüdiger Lentz25. Mai 2006

Der Zeitpunkt hätte kaum günstiger gewählt werden können: Ein roter Teppich, ein positives Publikum und hunderte von Journalisten aus aller Welt, die darüber berichten: Al Gore’s come back in Cannes!

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Rüdiger Lentz Studio Washington
Rüdiger Lentz, WashingtonBild: DW

Der ehemalige Vizepräsident und Präsidentschaftskandidat feierte bei dem diesjährigen Filmfestival in Cannes die Aufführung seines Dokumentarfilms “An unconvenient truth” zu deutsch: “Eine unbequeme Wahrheit.”

Darin beschreibt der engagierte Umweltschützer die Gefahren der globalen Erderwärmung mit derart drastischen Bildern, dass viele sich an den Umweltschocker “The day after tommorrow” von Roland Emmerich erinnert fühlten. Nur handelt es sich hier nicht um Hollywood-Fiktionen sondern um reale Bildsequenzen von Flutkatastrophen, Überschwemmungen, dem Abschmelzen der Pol-Kappen und den Auswirkungen des Hurrikan Katrina.

Schon beim Sundance-Filmfestival wurde der Öko-Streifen enthusiastisch gefeiert, in Cannes gab es ebenfalls Ovationen. Das Bushkritische Europa liebt es eben, wenn Amerika als Umweltsünder Nr. 1 gebrandmarkt wird.

Konkurrenz für Hillary Clinton?

Ex-Präsidentschaftskandidat Gore will nach eigenen Aussagen mit dieser Kampagne Amerika aufrütteln, und das öffentliche Bewusstsein für Versäumnisse in der Umweltpolitik schärfen. Schon jetzt haben sich über hunderttausend Amerikaner auf seiner Web-Seite eingetragen, die den Film unbedingt sehen wollen. Und unter US-Demokraten wird der ehemalige Präsidentschaftskandidat bereits als heißer Tipp gegen Hillary Clinton gehandelt.

Feiert damit der mehrere Jahre lang politisch völlig abgeschriebene Al Gore sein politisches Come Back? Nicht auszuschließen. Immerhin kann er für sich verbuchen, dass er von Anfang an ein Gegner des Irakkriegs war. Hillary Clinton hingegen, die ambitionierte Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, war dafür. Sie ist inzwischen so um die politische Mitte und potenzielle konservative Wähler bemüht, dass selbst die demokratische Kolumnistin Arianna Huffington über sie spottete, Hillary sei eine Politikerin, die für “nichts mehr” stünde.

Befragt zu seinen politischen Ambitionen gab Al Gore im Interview zu Protokoll, er strebe kein politisches Amt an. Um dann allerdings in einem Nachsatz - ganz Politiker - hinzuzufügen, in alle Zukunft könne er das allerdings nicht ausschließen.

Cannes ist kein Barometer

Ob Präsident Bush sich diesen Film, der ab Mittwoch auch in zwei Washingtoner-Kinos anläuft, ansehen wird. “Ich bezweifle das”, sagte Bush sehr kühl. Von ihm ist bekannt, dass er von den Umweltambitionen seines ehemaligen Kontrahenten wenig hält. Bush bevorzugt eher Techno-Thriller, wie den Bestseller “State of Fear” von Michael Crichton, der die ganze Theorie des “Global-Warming” in Frage stellt und eine harte Abrechnung mit so genannten Eco-Terroristen ist.

Im Gegensatz zu dem etwas drögen und vom Zuschauer nur schwer verdaubaren Dokumentarfilm von Al Gore, der viel mit Konferenzbildern, Grafiken und Dia-Sequenzen arbeitet, stand der Eco-Thriller von Michael Crichton monatelang auf der Amazon.com-Bestsellerliste. Offensichtlich traf diese umweltkritische Abrechnung mit den Apologeten der Klimakatastrophe einen Massennerv. Sie verkaufte sich über 1,5 Millionen mal. Man darf gespannt sein wie die Reaktion von “Middle-America” auf Al Gores Film ausfällt. Die europäischen Filmkritiker in Cannes sind da nicht unbedingt ein verlässliches Barometer für die amerikanische Volksseele.