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Sachsenhausen - Vom "Muster-KZ" zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte

Marcel Fürstenau

Vor 60 Jahren, am 22.April 1945, befreiten polnische und sowjetische Truppen das wenige Kilometer von Berlin entfernte Konzentrationslager Sachsenhausen. Zwei Wochen später war der Zweite Weltkrieg beendet.

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Das neue Museum über das "Sowjetische Speziallager Nr. 7" auf dem Gelände des ehemaligen NS-KZ SachsenhausenBild: AP

Marcel Fürstenau beleuchtet in seinem Feature die Geschichte des KZ Sachsenhausen, das anschließend von den Sowjets als Speziallager weitergeführt wurde. 1961 weihte die DDR hier ihre dritte Nationale Mahn- und Gedenkstätte ein. Nicht zuletzt wegen seiner Nähe zur deutschen Hauptstadt gilt Sachsenhausen heute als einer der bedeutendsten authentischen Orte der Nazi-Zeit.

* * *

  • "Am Ende kann man das noch nicht glauben, dass wir es überlebt haben. Wir mussten Glück haben, viel Glück. Jede Sekunde musste man Glück haben. Tag und Nacht. Für alles, alle Zeit musste man gut aufpassen und Glück haben. Dass dir nicht einer befiehlt: ‚Du, komm mal her!' Und dann war es Schluss, dann war es vorbei."

Willem Sel, der belgische Widerstandkämpfer, hatte Glück. Er überlebte die Hölle, das Konzentrationslager Sachsenhausen, in das er als junger Mann von 22 Jahren 1943 eingeliefert worden war. Sein Schicksal ist eines von vielen, die in der heutigen Gedenkstätte Sachsenhausen dokumentiert sind. Mit Hilfe moderner Museums-Pädagogik kann man im neuen Besucher- und Informationszentrum das Leben, das Leiden und das Sterben der gut 200 000 Häftlinge zwischen 1936 und 1945 nachvollziehen. Menschen aus ganz Europa, die auf dem weitläufigen, von Mauern umgebenen Gelände in primitiven Holz-Baracken zusammengepfercht waren, gequält und bestialisch ermordet wurden.

Die wenigen original erhaltenen oder wieder errichteten Baracken dienen heute als Ausstellungs- und Veranstaltungsräume. Auch hier werden Einzelschicksale dargestellt, beispielsweise von Opfern medizinischer Versuche. Zu sehen sind nach der Befreiung gefundene Ampullen, Medikamente, aber auch persönliche Gegenstände wie Briefe und Zeichnungen gepeinigter Häftlinge. Ein Besuch in Sachsenhausen ist beeindruckend, beklemmend, lehrreich. Hier, wie in anderen KZ-Gedenkstätten, wird das Unfassbare begreiflich.

Eng verknüpft mit der Geschichte dieses Ortes ist die Errichtung des Konzentrationslagers Oranienburg. Sieben Wochen nach der Machtübernahme Adolf Hitlers am 30.Januar 1933 inhaftierten die Nazis hier ihre politischen Gegner, vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten. Und jeder konnte, ja, sollte wissen, dass es dieses KZ mitten in der Stadt gab. In Filmvorführungen und Radio-Reportagen wurde das Lager wie eine Attraktion vorgeführt:

  • "In diesem Konzentrationslager in Oranienburg befinden sich prominente Führer der SPD und KPD-Funktionäre, befinden sich Menschen, die sich schuldig gemacht haben durch Raub am deutschen Volksvermögen, die sich vergangen haben gegen Sitte und Moral, Staat und Volk, gegen die Weltanschauung des deutschen Menschen."

Mindestens 16 Menschen sind in diesem 1934 aufgelösten Vorläufer des KZ Sachsenhausen ermordet worden, unter ihnen der Schriftsteller Erich Mühsam. Die Nazis hatten ihr Ziel erreicht: die Bevölkerung einzuschüchtern und abzuschrecken. Ihr aber auch zu suggerieren, alles gehe mit rechten Dingen zu und sei ganz im Sinne der allseits propagierten Volksgemeinschaft. Eine Strategie, die funktionierte, sagt der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch:

  • "Die frühen Konzentrationslager wurden keinesfalls versteckt, sondern im Gegenteil: Hitler hatte ja schon in der sogenannten Kampfzeit der Bewegung gesagt: Wenn sie an die Macht kommen, werden sie mit ihren Feinden abrechnen. Und genau das haben sie getan. Und darauf war man durchaus stolz. Man führte sie vor. Das gilt für Dachau, das einen Tag später, nach Oranienburg, gegründet wurde. Das gilt eben auch für Oranienburg. Man führte jede Menge von Besuchern hinein. Man sprach von besonderen Instrumenten der Umerziehung. Man werde diese verhetzten Volksgenossen durch harte Arbeit umerziehen. Und damit schuf man auch eine gewisse Toleranz in der Bevölkerung."

Mitte der 30er Jahre hatte sich das Nazi-Regime stabilisiert. Die Gesellschaft war total gleichgeschaltet. Politische Gegner waren eingesperrt, tot oder im Exil. In Nürnberg waren die sogenannten Rassegesetze beschlossen worden. Die scheinjuristische Grundlage, um Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und andere Unerwünschte zu verfolgen. Das Deutsche Reich hatte sich in einen Überwachungsstaat verwandelt. Eckpfeiler dieses Systems war der vom Reichsführer SS Heinrich Himmler geleitete Polizei- und Geheimdienstapparat, dessen Macht stetig zunahm. Günter Morsch:

  • "Und hier trafen Himmler und Hitler persönlich die Entscheidung - wie man weiß -, das KZ-System eben nicht einzustellen, nicht zurückzudrehen - im Gegenteil: es auszubauen und zum entscheidenden Instrument einer 'generalpräventiven Politik der Sozialpolitik', der Rassenpolitik zu machen und ihm damit eine neue Zielstellung zu geben. Und damit rückte das KZ von der Peripherie der Gesellschaft, wo es in der Hauptsache darum gegangen ist, sich an den Feinden aus der Kampfzeit zu rächen und politische Gegner abzuschrecken - von der Peripherie der Gesellschaft ins Zentrum der Gesellschaft ins Zentrum der Militärpolitik, der Wirtschaftspolitik, der sozialen Rassenpolitik."

Als sich im Sommer 1936 die Jugend der Welt zu den Olympischen Spielen in Berlin versammelte, mussten Häftlinge aus anderen Lagern das KZ Sachsenhausen vor den Toren der Reichshauptstadt errichten. Bis zum Kriegsbeginn 1939 waren die meisten Inhaftierten weiterhin politische Gegner sowie aus rassischen und biologischen Gründen Verfolgte. Später kamen immer mehr Menschen aus den überfallenen und besetzten Gebieten hinzu. Den aus Leipzig stammenden Walter Schwarze steckten die Nazis 1940 wegen seiner homosexuellen Neigung in die sogenannte Isolier-Baracke:

  • "Was ich dort erlebt habe: jeder Tag war eigentlich dem Tode geweiht. Jeden Tag über uns die Krähen. Jeden Morgen zum Appell hörten wir das Gekrächze. Denn neben uns mussten ja die Toten liegen. Die Baracke mit ihren Insassen war mit 150 Mann immer voll."

Schwarze hatte Glück. Er überlebte das Märtyrium. Dass man sein Schicksal und das anderer ehemaliger Sachsenhausen-Häftlinge hören und auf Fotos sehen kann, ist den noch rechtzeitig geführten Interviews zu verdanken, die Bestandteil der Gedenkstätten-Konzeption sind.

Wer das ehemalige KZ besucht, sollte sich Zeit mitbringen, um die gigantische, beängstigende Struktur erfassen und die Eindrücke verarbeiten zu können. Den Gang durch das Tor mit der zynischen Inschrift ‚Arbeit macht frei'; den Turm A, in dem die SS-Kommandantur saß; den halbkreisförmigen Appellplatz, wo die Häftlinge bei Wind und Wetter stundenlang stehen mussten; die Station Z, wo Häftlinge ermordet wurden; die Krematorien, in denen Tausende Leichen verbrannt wurden. In Sachsenhausen verwirklichten die Nazis ihre Vorstellung von einem modernen Konzentrationslager. Nach Plänen des SS-Mannes Albrecht Küpper entstand eine Geometrie des Terrors, erläutert Gedenkstätten-Leiter Günter Morsch:

  • "Das heißt, von einem Punkt aus sollte ein ganzes Lager mit nunmehr Zehntausenden Häftlingen überwacht werden können. Das hat er dadurch realisiert, dass er vor dem sogenannten Tor A, wo das Maschinengewehr stand, vier konzentrische Ringe von Baracken anlegte und dadurch eine Schussbahn ermöglichte, die bis in die letzten Winkel reichte. Und das Ganze wurde durch ein gleichseitiges Dreieck von einer Häftlingsmauer zusammengefasst. Das ist das eine, das andere ist: diese formelle Trennung - 3 000 Wachsoldaten zu 200 Kommandantur-Angehörigen - realisierte er dadurch, dass er vor das Häftlingslager, aber innerhalb des Dreiecks das Truppenlager anlegte."

Kurz vor dem Ende dieses systematischen Terrors kam Walter Winter nach Sachsenhausen, nachdem er Auschwitz überlebt hatte, wo ihn die Nazis 1943 in das sogenannte Zigeuner-Lager gesteckt hatten. Während eines Arbeitseinsatzes außerhalb des KZ Sachsenhausen fand Winter im Chaos eines Bombenangriffes zwei Kartoffeln, die er unter Lebensgefahr ins Lager schmuggelte:

  • "Die Kartoffeln habe ich genommen, ich durfte ja nichts mitnehmen ins Lager. Und dann sind wir reingekommen. Und da konnte man vor dem Tor schon sehen, dass einer aufgehangen war. Meine Knochen zitterten, ich musste ja an diesen Leuten vorbei. Ich hatte ja die Kartoffeln unterm Arm. Ich war froh, dass ich durch war. Da hatten sie ein paar zwischendurch herausgepickt. Und wie ich durchs Tor komme, da war vorne der freie Platz, da stand ein Tor, das war eine Art Sportplatz. Und da hing einer am Tor, hatte ein Schild vor, da stand drauf: ‚Ich habe geplündert.' Den hatten sie aufgehangen da."

Nach der Befreiung Sachsenhausens Ende April 1945 wollten die wenigsten etwas von den schrecklichen Vorkommnissen in dem Lager gewusst haben. Zwar sorgten Wach-Kommandos dafür, dass niemand dem KZ zu nahe kam. Aber es gab genug Anhaltspunkte für die grausamen Geschehnisse - drinnen wie draußen, sagt Gedenkstätten-Leiter Günter Morsch:

  • "Also die Häftlinge kamen zu Fuß vom Hauptbahnhof Oranienburg, mitten durch die Stadt Sie gingen regelmäßig jeden Tag hin und zurück zu ihren Arbeitskommandos. Es passierten dann auch Erschießungen, sogenannte Erschießungen auf der Flucht mitten in der Stadt. Die Anwohner sahen die riesige schwarze Wolke aus den Krematorien, wie sie über Wochen über der Stadt lag. Sie rochen, was dort passiert ist. Sie haben auch gesehen, wie die Häftlinge vom Klinkerwerk gekommen sind. Und hinter sich her zogen sie die Karren, auf denen die Leichen aufgehäuft waren. Also das war alles sichtbar, das konnte man alles wissen. Man musste es nur wegrationalisieren."

Es gab aber auch Zeichen der Mitmenschlichkeit. Anwohner, die ins Lager zurückkehrenden Zwangsarbeitern heimlich Essen zusteckten, oder Mithäftlinge, die ihre Leidensgenossen in den Baracken unterstützten. Unerwartete Hilfe wurde dem aus Frankfurt an der Oder stammenden Heinz Wollmann zuteil, der nach der Pogrom-Nacht vom 9. November 1938 bis Februar '39 in der sogenannten Juden-Baracke war und an den Folgen von Misshandlungen litt:

  • "Der christliche Blockwart hat mir die ganze Zeit über geholfen im KZ mit meinen Wunden. Pastor Niemöller (ein von 1938 bis 1941 in Sachsenhausen inhaftierter bekannter Vertreter der bekennenden Kirche; Anm. d. Verf.) hat von meinem Fall gehört und Medikamente besorgt und in meine Baracke geschmuggelt. Ich wollte nur nicht ins Lazarett. Dann hat der Blockwart, wenn ich sehr viel geschlagen wurde, mich für den Stubendienst eingeteilt, Baracken sauber machen. Also dem habe ich viel zu verdanken."

Wollmann und seiner Familie gelang es noch, vor Kriegsbeginn nach Palästina auszuwandern. Mitten im Krieg, 1942, wurde der Ukrainer Sergej Owraschko 17-jährig ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Als minderjähriger Zwangsarbeiter landete er im sogenannten ‚Jugendblock' und musste nach Bombenangriffen auf das benachbarte Oranienburg ums Leben gekommene Häftlinge, die außerhalb des Lagers im Einsatz gewesen waren, zurück ins KZ bringen:

  • "Die ganze Nacht transportierten wir die Leichen dorthin. Das war natürlich schwer, die Leichen auf das Auto zu laden. Doch das Schwerste war, sie wieder abzuladen. Wenn wir die Leichen neben dem Krematorium auf den Boden herunterwarfen und sie mit dem Kopf auf den Betonboden aufschlugen, dachte ich jedes mal, dass man sie leichter hinunter lassen müsste, dass es sie schmerzen könnte. Du hattest selbst solche Kopfschmerzen, einen solchen Schrecken."

Mit dem Vormarsch sowjetischer Truppen bereitete die Lagerkommandantur die Räumung des KZs vor. Am 21. April 1945, einen Tag vor der Befreiung durch polnische und sowjetische Soldaten, wurden bei naßkaltem Wetter 33 000 der noch verbliebenen 38 000 Sachsenhausen-Häftlinge auf den sogenannten Todesmarsch geschickt. Viele starben an Entkräftung oder wurden erschossen. Ihre Peiniger, an der Spitze der ehemalige Lager-Kommandant Anton Kaindl, wurden 1947 im Berliner Sachsenhausen-Prozess von den Sowjets zur Verantwortung gezogen.

Zu diesem Zeitpunkt unterhielt die östliche Siegermacht der Anti-Hitler-Koalition schon längst mehrere Speziallager für politische Gefangene auf dem von ihr besetzten Gebiet des einstigen Deutschen Reiches, der späteren DDR. Das größte befand sich auf dem Gelände des früheren KZ Sachsenhausen. Hier rechneten die Sowjets mit tatsächlichen und angeblichen Kriegs-Feinden ab. Unter anderem kam dabei der berühmte Schauspieler Heinrich George unter mysteriösen Umständen ums Leben. Die Zahl der Häftlinge bis zur Lager-Auflösung 1950 war erschreckend hoch. Gedenkstätten-Leiter Günter Morsch:

  • "Noch einmal 60 000 Häftlinge, noch einmal 12 000 Tote! Gestorben an Hunger und Krankheiten. Und diese Zeit hat man natürlich völlig verschwiegen. Wenn die Knochen der vielen tausend Leichen aus dem märkischen Boden herausragten, kam die Staatssicherheit, hat sie schnell wieder eingebuddelt, und die Panzer übten weiter auf den Gebeinen. Das ist also eine schreckliche Art der Geschichtsvergessenheit und der Tabuisierung von neuen Verbrechen gewesen."

Während also die sowjetischen Verbrechen verschwiegen wurden, machte sich die Staats- und Parteiführung der DDR daran, Nationale Mahn- und Gedenkstätten zu errichten. Die erste 1956 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar, es folgten Ravensbrück und 1961 Sachsenhausen. In einer Zeit des zugespitzten Ost-West-Konflikts. Die Welt stand wegen der Kuba-Krise am Rande eines Atom-Kriegs. Amerikaner und Sowjets standen sich unversöhnlich gegenüber. Das gleiche galt für die DDR und die Bundesrepublik.

In dieser angespannten Atmosphäre wurde am 22. und 23. April 1961, 16 Jahre nach der Befreiung des KZ, im Beisein von 100 000 Menschen die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen eingeweiht. Zu Beginn beschwor das ehemalige Mitglied des illegalen Lagerkomitees, Max Opitz, den Stalingrad-Mythos:

  • "Im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges verschmolz der Kampf der patriotischen Kräfte für die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes, für den antifaschistischen Freiheitskampf aller anderen Völker. Unter dem Eindruck der bei Stalingrad herbeigeführten entscheidenden Wende verstärkten die patriotischen Kräfte auch unseres Volkes unter der Führung der kommunistischen Partei Deutschlands den Kampf für ein freies, friedliches und demokratisches Deutschland.

Hauptredner war der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht. Er scheute sich nicht, die Einweihung der Gedenkstätte für propagandistische Zwecke zu missbrauchen. Unter anderem mit Angriffen auf das Nordatlantische Verteidigungsbündnis:

  • "Was sagen die Kriegsteilnehmer Frankreichs, Englands, der USA und anderer Länder heute dazu, dass ihre Kameraden heute in der NATO unter dem Befehl von Hitler-Generalen stehen? Was hat man hier eigentlich aus den Prinzipien der Anti-Hitler-Koalition und des Potsdamer Abkommens (mit dem die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs 1945 die Aufteilung Deutschlands und Berlins in vier Besatzungszonen beschlossen haben; Anm. d. Verf.) gemacht? Niemand kann doch bestreiten, dass die Prinzipien der Anti-Hitler-Koalition und der Potsdamer Abkommen nur in einem der beiden deutschen Staaten, nur in der Deutschen Demokratischen Republik verwirklicht worden sind."

Trotz ihrer ideologischen Schlagseite war die Einweihung der Gedenkstätte vor allem für die Überlebenden ein sehr bewegender Moment. Ehemalige Häftlinge aus allen Ländern, die KZ-Opfer in Sachsenhausen zu beklagen hatten, erinnerten an die Qualen und Leiden. Einer von ihnen war Roger Vidal aus Frankreich:

  • "Wir Französinnen und Franzosen betrachten die Erde des ehemaligen KZs Sachsenhausen, die getränkt ist von dem Blut so vieler unserer Landsleute, als eine zweite Heimaterde. Sie ist für uns die heilige Stätte, wo im Kampf und im Leiden die unzerbrüchliche internationale Brüderlichkeit geschaffen und gefestigt wurde. Aus tiefem Herzen danken wir unseren deutschen Kameraden und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik für die Errichtung dieser Mahn- und Gedenkstätte. Sie ist eine wahre humanistische Tat."

Der staatlich verordnete Antifaschismus in der DDR litt von Beginn an unter der fehlenden Glaubwürdigkeit. Wer die Nationale Mahn- und Gedenkstätte bis 1990 besuchte, musste den Eindruck gewinnen, nur Kommunisten hätten Widerstand geleistet und Opfer gebracht. Andere Opfer-Gruppen wurden lediglich am Rande thematisiert oder - im Falle des sowjetischen Speziallagers - ganz verschwiegen. Der heutige Gedenkstätten-Leiter Günter Morsch spricht deshalb von einer ambivalenten Vergangenheit:

  • "Auf diesem Boden der Tabuisierung eigener Verbrechen hat man dann einen Antifaschismus errichtet, der, das muss man anerkennenderweise sagen, weiter war als in der Bundesrepublik, als man dort noch größtenteils KZ-Verbrechen relativiert hat. Man darf nicht vergessen: erst mit dem Auschwitz-Prozess, vorher dem Eichmann-Prozess, also erst Anfang der 60er Jahre ging überhaupt erst die Aufarbeitung der Fragen des Holocaust und der KZ-Verbrechen los in der Bundesrepublik. Da hatte man in der DDR längst wirklich beeindruckend große KZ-Gedenkstätten errichtet. Die allerdings, dass muss man leider sagen, instrumentalisiert worden sind. Und so verloren sie allmählich, im Laufe der Jahre ihre emanzipative Kraft."

Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 änderte sich das Bild langsam. Allerdings dauerte es eine Weile, bis die politische Klasse der Bundesrepublik ihrer Verantwortung an diesem authentischen Ort gerecht wurde. Wegen Vorbehalten gegen die aus der DDR stammenden Gedenkstätte, vermutet Günter Morsch. Mit erheblichem finanziellen Engagement wird nun Sachsenhausen schrittweise saniert und auch inhaltlich weiterentwickelt. Wozu neben dem Museum über das sowjetische Speziallager unter anderem die Dauer-Ausstellung über Oranienburger gehört, die sich an die Zeit des Konzentrationslagers erinnern.

Derzeit bereitem Günter Morsch und sein Team die Gedenkfeiern vor, mit denen im April dieses Jahres an die Befreiung vor 60 Jahren erinnert wird:

  • "Also zum Glück leben noch in Osteuropa, insbesondere Polen, Ukraine, aber auch Russland, noch viele Überlebende. Das kommt daher, weil sie als junge Menschen - 14-, 15-, 16-jährige - zur Zwangsarbeit verschleppt wurden. Und wir sind eigentlich sehr glücklich, dass wir zum 60. Jahrestag der Befreiung, dank einer großzügigen Unterstützung der Landes- und der Bundesregierung noch einmal 1 000 bis 1 200 Überlebende aus diesen Ländern einladen können."

An den Planungen sind auch Mitglieder des internationalen Sachsenhausen-Komitees beteiligt, das sich regelmäßig in der KZ-Gedenkstätte trifft. Das große Treffen im April ist für sie von größter Bedeutung, sagt der ehemalige Häftling Mark Tilevitsch aus Russland:

  • "Weil es für uns bestimmt die letzte Möglichkeit ist, unsere brüderlichen Gefühle, unsere herzliche Dankbarkeit gegenüber unseren ausländischen Kameraden auszudrücken. Die uns geholfen und unterstützt haben, als es für uns im Lager am schlimmsten war."

Und der Pole Zdzislaw Jasko verweist auf die über den Tag hinausreichende Bedeutung der Gedenkstätte Sachsenhausen:

  • "Wir wollen die junge Generation nicht bestrafen für das, was die Großväter in Polen gemacht haben. Sondern wir wollen unterstreichen, dass unsere Zusammenarbeit eine große Verpflichtung ist für die Zukunft, für Europa."

Versöhnung im Geiste der Völkerverständigung, dieses ursprüngliche Anliegen ehrlichen Mahnens und Gedenkens, ist 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen und der anderen Orte des Schreckens endlich möglich - ohne jegliche ideologische Einschränkungen. Es hat lange gedauert.