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Kunst des Erzählens

21. März 2014

In seinem zweiten Roman "Vor dem Fest" lässt Saša Stanišić ein Dorf in der Uckermark entstehen. Mit seiner Erzählkunst eroberte er auf Anhieb das deutsche Feuilleton und gewann den Preis der Leipziger Buchmesse.

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Saša Stanišić (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Lesenswert! - Saša Stanišić

Sie sei seine Gespielin, sagt er, die Sprache. Sie sei eine Modeliermasse, so wie Lehm oder Plastelin, die er bearbeitet, knetet, formt. Er könne daraus alles formen was er will, er könne Figuren entstehen lassen, aus den Figuren Texte, aus den Texten Geschichten. Kein Satz in seinem Buch sei zufällig, sagt Saša Stanišić, der Schriftsteller. Man solle aber nicht denken, er würde sie versklaven, die Sprache, so sei es nicht.

Auch mit ihm würde da etwas passieren, die Sprache würde auch mit ihm spielen, ihn beherrschen, so Stanišić: "Die Geschichten, die ich erzähle, die Themen, die ich behandele, und die Sprache, die ich dazu wähle, schlagen auf mich als Autor und auf mich als Person zurück. Ich werde ein Teil von einer Welt, die ich mir erschaffe. Ich werde davon emotional berührt, erinnere mich an die Dinge, die mir mal wichtig waren, und insofern werde ich auch zum Spielzeug der Sprache."

Und nun hat er eine neue Welt erschaffen. Vor acht Jahren war das in seinem Buch "Wie der Soldat das Grammofon repariert" die Welt seiner alten Heimat Bosnien und Herzegowina, die über Nacht unter dem Druck des Krieges zerfiel. Jetzt ist das Dorf namens Fürstenfelde in der norddeutschen Uckermark vor unseren Augen entstanden.

Perspektive wechseln

"Vor dem Fest" heißt das neue Buch. Darin wird von einer langen Nacht erzählt, in der sich das Dorf für das bevorstehende Fest am nächsten Tag vorbereitet. Es wird von einer nachtblinden Malerin erzählt, die das Dorf bei Nacht malen möchte, von einem früheren Offizier der Nationalen Volksarmee, der den Zigarettenautomaten erschießt, und auch von einer Füchsin, die noch einmal nach Hühnereiern für ihre Jungen sucht, bevor sie sie verlassen und in die weite Welt ziehen. Und es wird von der jahrhundertelangen Vergangenheit des Dorfes erzählt, mit all seinen Geschichten, Mythen und Märchen, es wird von Menschen und ihren Schicksalen und ihren Träumen erzählt.

Saša Stanišić (Foto: DW)
Bild: DW/ M.Smajic

Und wie bei seinem ersten Roman, der überall gelobt , mehrmals ausgezeichnet und in 30 Sprachen übersetzt wurde, sind sich auch diesmal Kritiker einig: "Ein großartiges Buch", "ein Fest für die Leser", "eine furiose Tragikomödie", "ein Wunder, ein großes Glück", schreibt das deutsche Feuilleton, und lobt seine "stilistische Meisterschaft" und seinen Humor. Dabei wundert man sich, wie ein "Neudeutscher über die Urdeutschen" schreibt, und bewundert Stanišićs Fähigkeit, sich sowohl in die Mentalität der Bewohner dieser urdeutschen Provinz, als auch in ihre Geschichte und Mythologie einzufühlen.

"Vielleicht liegt das an der Tatsache, dass er eine vielfältige Identität in sich trägt", sagt Schriftsteller Dragoslav Dedović, der Stanišićs neues Buch für das bosnische Publikum übersetzt. Saša Stanišić floh mit 14 Jahre als Flüchtlingskind vor dem bosnischen Krieg nach Deutschland, damals ohne Deutschkenntnisse, um 14 Jahre später ein fulminantes Debüt als "deutschsprachiger Schriftsteller", wie er sich selbst bezeichnet, zu feiern. Er kann "ohne Mühe in sich mehrere Perspektiven einnehmen, und zwischen ihnen wechseln", erklärt Dedović. "Das ist für einen Schriftsteller von großem Vorteil."

Doppelte Identität

Stanišić selber ist sich seiner mehrfachen Identität sehr bewusst: "Es ist nach wie vor notwendig für mich, mich mit beiden Kulturräumen, dem bosnischen und dem deutschen, auseinanderzusetzen. Deswegen sind viele Geschichten, die ich erzähle, Geschichten, die in beiden Kulturräumen ihren Platz hätten, die beide Welten erfreuen würden." So webe er in den Text mehrere historische Dokumente, Sagen und Legenden aus Norddeutschland ein, sagt Stanišić, aber immer mit Motiven, die auch in seiner alten Heimat vorkommen. "Es ist für mich klar gewesen, dass ich nur solche Mythen erzählen möchte, die ich so auch dort erzählen könnte. Es kommen die gleiche Archetypen vor." Denn, in beiden Welten fühle er sich zu Hause, er trüge sie in sich und pendle oft von einer zur anderen. Allerdings, sagt Stanišić, erzähle er sie in deutscher Sprache "und das ist ein bewusster Vorgang".

Gleichwohl soll seine Biographie nicht als eine Matrix genommen werden, durch die sein Werk zu lesen und zu verstehen wäre. "Biographie ist kein ästhetisches Kriterium für eine Arbeit. Sie kann als Thema vorkommen, aber wenn sie als Stoff nicht auf dem Papier landet, ist sie irrelevant, genauso wie die Haarfarbe des Autors." Daher möchte er sich auch nicht als ein Vertreter der Migrationskultur oder als ein Beispiel gelungener Integration vereinnahmen lassen: "Ich weiss nicht einmal, was eine Migrationskultur ist, und ich würde mich niemals an die Spitze von so etwas wie 'migrantischer Autorenschaft' stellen." In die Schubladen gesteckt zu werden, das liegt Stanišić nicht - auch nicht, wen es positiv gemeint ist. So könne er sich auch nicht als einen Brückenbauer zwischen den Kulturen sehen, sagt er: "Ich schreibe die Geschichten auf. Wenn jemand ein Brückenbauer ist, dann sind das die Leser."

Stanišić (links) und seine Fans: Signierstunde nach einer Lesung in Köln im März 2014 (Foto: DW)
Stanišić (links) und seine Fans: Signierstunde nach einer Lesung in KölnBild: DW/ M.Smajic

Überall verständlich

Und sie lieben seine Bücher. Die Erste Auflage von "Vor dem Fest" war am Tag der offiziellen Präsentation am 10. März 2014 schon ausverkauft, wenige Tage später wird die siebte Auflage vorbereitet, und das Interesse der Verlage im Ausland lässt ahnen, dass auch der internationale Erfolg seines ersten Romans wiederholt wird. Das liege daran, sagt sein bosnischer Übersetzer Dragoslav Dedović, dass Stanišić mit vielen allgemeinen Themen und Archetypen arbeite, die man überall in der Welt verstehe und nachvollziehen könne. "Er hat einen Mikrokosmos geschaffen", sagt Dedović, und vergleicht das erfundene Dorf Fürstenfelde mit jenem weltberümten Dorf Makondo des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel Garcia Marquez. "Literarische Feinschmecker werden merken, dass das die reine Literatur ist, hier geht es um das Erzählen des Erzählens wegen, um die Lust an der künstlerischen Schöpfung."

Einer dieser Leser ist allerdings er selbst. Bei den Lesungen vor dem Publikum merkt man ihm die Freude an, mit der er seinem eigenen Text immer wieder begegnet. "Ich lerne den Text jetzt erst kennen", sagt Stanišić, "und manchmal bin ich von eigenen Sätzen überrascht. Manchmal lese ich einen Satz und denke: 'das war ganz gut'. Dann bin ich wirklich überrascht."