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Rücktritt käme selbst der Opposition ungelegen

3. Januar 2012

Seit bekannt wurde, dass Bundespräsident Wulff die Berichterstattung über seinen Privatkredit verhindern wollte, schwindet der politische Rückhalt. Dennoch fordert kaum jemand seinen Rücktritt. Das hat gute Gründe.

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Wulff von hinten, weggehend
Muss er gehen? Bundespräsident Christian WulffBild: dapd

Zunehmend gehen auch eigene Parteifreunde auf Distanz zu Christian Wulff. Aus seinem niedersächsischen CDU-Heimatverband berichtete der stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion, Karl-Heinz Klare, viele aus der Partei hätten ihn angerufen. "Alle äußerten sich negativ zu Wulffs Verhalten", zitiert ihn die Hannoversche Allgemeine Zeitung.

Auch unter den Liberalen, die den Christdemokraten Wulff im vorletzten Jahr mit zum Bundespräsidenten gewählt hatten, wächst die Distanz. Zwar habe Wulff Respekt verdient, sagte der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Holger Zastrow im Mitteldeutschen Rundfunk. "Aber er ist auch in der Pflicht, das aufzuklären".

Angela Merkel gratuliert Wulff, andere warten
Bild aus besseren Zeiten: Gratulanten nach Wulffs Wahl zum Bundespräsidenten am 30. Juni 2010Bild: picture alliance/dpa

Bisher hat sich Bundespräsident Wulff nicht zu den neuen Vorwürfen geäußert, er habe mit Drohungen gegenüber dem Chefredakteur und dem Verlagsleiter der Bild-Zeitung versucht, einen Bericht über seinen Privatkredit zu verhindern. In einer schriftlichen Erklärung des Bundespräsidialamtes heißt es lediglich, über Vier-Augen-Gespräche und Telefonate gebe der Präsident "grundsätzlich keine Auskunft".

Bundespräsident kann kaum abgesetzt werden

Vier Richter in Roben stehend, einer verliest ein Urteil
Nur sie könnten das Staatsoberhaupt absetzen: Bundesverfassungsrichter in KarlsruheBild: dapd

Das meistdiskutierte Thema im politischen Berlin ist indes, wie lange sich Wulff noch im Amt hält. Das allerdings entscheidet er ganz alleine. Nur wenn er gegen das Grundgesetz oder ein Bundesgesetz verstoßen hätte, könnte ihn der Bundestag oder der Bundesrat, die Gesetzgebungskammer der Länder, beim Bundesverfassungsgericht anklagen. Die obersten Richter könnten ihn dann "des Amtes für verlustig erklären". Bisher wird aber lediglich diskutiert, ob Wulff mit der Annahme eines günstigen Kredits in seiner Zeit als Ministerpräsident gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen haben könnte, also ein Landesgesetz.

Mit der Forderung an Wulff, er solle zurücktreten, hält sich indes sogar die Opposition deutlich zurück. Das hat sicher nicht nur mit Respekt vor dem höchsten deutschen Staatsamt zu tun, sondern auch damit, dass sich zumindest bis Ende letzten Jahres in zahlreichen Umfragen nur eine Minderheit der Bevölkerung für Wulffs Rücktritt ausgesprochen hat. Unter solchen Umständen will man nicht gerne als Königsmörder erscheinen.

Die Zurückhaltung der Opposition hat aber auch noch handfestere Gründe. Denn käme es jetzt zu einer Neuwahl des Bundespräsidenten, hätten Bundeskanzlerin Merkel und die sie tragenden Parteien CDU, CSU und FDP beste Chancen, erneut ihren Kandidaten durchzusetzen. Zwar ist ihre Mehrheit in der Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt wählt, durch die letzten Landtagswahlen geschrumpft, aber noch ist sie knapp vorhanden.

Neuwahl käme der Opposition zu früh

Die Bundesversammlung besteht aus sämtlichen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und einer gleich großen Anzahl von Wahlleuten, die von den 16 Landesparlamenten benannt werden. Die nächste Landtagswahl ist im Mai in Schleswig-Holstein, und wenn sie so ausgeht, wie es sich derzeit in Umfragen abzeichnet, hätte die Berliner Koalition danach ihre Mehrheit in der Bundesversammlung verloren. Ein Rücktritt Wulffs jetzt käme für die Oppositionsparteien daher zu früh.

Blick von oben in den Plenarsaal des Landtags
Vor seiner Neuwahl im Mai hat die Opposition keine Chance: Der Landtag von Schleswig-Holstein in KielBild: AP

Allerdings könnte die Opposition auch bei einem Wahlsieg in Schleswig-Holstein nicht sicher sein, dass sie danach ihren Kandidaten als Bundespräsident durchbrächte. Selbst ein deutlicher Stimmengewinn in dem kleinen Bundesland würde nicht ausreichen, Sozialdemokraten und Grünen eine eigene Mehrheit in der Bundesversammlung zu verschaffen. Sogar zusammen mit der ungeliebten Linkspartei dürften noch Stimmen fehlen. Denn in einigen Landesparlamenten gibt es kleine Fraktionen, die ebenfalls Vertreter in die Bundesversammlung entsenden können – von den bürgerlichen Freien Wählern in Bayern über die Internet-Aktivisten der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus bis hin zur rechtsextremen NPD in zwei Landtagen. Eine Bundespräsidentenwahl unter solchen Umständen wäre vor allem eins: Unberechenbar.

Autor: Peter Stützle

Redaktion: Sabine Kinkartz