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Rückkehr in die fremde Heimat

Elena Beier30. September 2004

In manchen Vierteln von Berlin oder Köln kommt jeder Vierte unter 25 Jahren aus dem Ausland. Unter ihnen gibt es eine besondere Gruppe: Die Russen, die eigentlich Deutsche sind.

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Für viele Russlanddeutsche endet die Rückkehr hinter GitternBild: DW

Sie kamen als Kinder mit ihren Familien nach Deutschland, hatten sofort nach der Einwanderung einen deutschen Pass, und machen jetzt Schlagzeilen mit ihrer angeblichen Anfälligkeit für Drogenkonsum und Gewaltkriminalität. Man nennt sie pauschal "Russen", doch es sind eigentlich Deutsche, die in die Heimat ihrer Vorfahren aus Russland und Kasachstan zurückgekehrt sind.

Sergej war 10, als seine Familie von Kasachstan nach Deutschland kam. "Am Anfang war es sehr hart. Ich fing schon damals als Kind an, Sachen in den Läden zu stehlen. Später kamen auch Schlägereien", erzählt er. Sergej hat einen deutschen Pass, kann aber kaum Deutsch. In der Schule habe er sich ausgegrenzt gefühlt und keine Freunde unter deutschen Altersgenossen gehabt. Die "Russen" blieben eben unter sich. Mit Anfang 20 verbüßt er nun eine dreijährige Haftstrafe wegen mehrerer Drogen- und Gewaltdelikte.

Abrutsch in die Kriminalität

Sergej ist kein Einzelfall. In einigen Justizvollzugsanstalten für jugendliche Straftäter beträgt der Anteil der deutschen Aussiedler bis zu 20 Prozent. Eine traurige Bilanz der Einwanderungswelle, die Mitte der 1990er-Jahre mit jährlich über 200.000 Personen ihren Höhepunkt erreichte. Kinder, die damals 8 bis 14 Jahre alt waren, hatten nicht genug Unterstützung bei der Integration bekommen, was einige von ihnen auf die schiefe Bahn brachte.

Das versucht man in Deutschland jetzt nachzuholen. Die Finanzierung für Integrationsprojekte ist seit 1998 auf über 28 Millionen Euro nahezu verdoppelt worden. Auch das Verständnis für die Besonderheiten dieser Einwanderergruppe ist bei den Verantwortlichen gewachsen.

Integrationsprojekt mit Vorbildcharakter

Ein Beispiel ist Langenfeld, eine Kleinstadt in der Nähe von Düsseldorf. In der knapp 60.000 Einwohner großen Gemeinde leben etwa 120 russlanddeutsche Jugendliche. Bürgermeister Markus Staehler kennt sich inzwischen mit dem Problem gut aus: "Man muss die Geschichte dieser jungen Leute auch sehen. Ich behaupte, dass sie in der Sowjetunion den Führerkult erfahren haben und mit den Freiheiten der Demokratie hier bei uns einfach nicht klar kommen." Konflikte und Frustration entstehen auch daraus, wenn man noch nicht mal die Sprache seiner neuen Heimat spricht, so Staehler.

Um solchen Problemen, die geradewegs in die Jugendkriminalität führen, vorzubeugen, hat man in Langenfeld den Düsseldorfer Verein "Akzeptanz-Vertrauen-Perspektive" (AVP) engagiert. Hier arbeiten Sozialpädagogen, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie die Betroffenen, mit den jugendlichen Russlanddeutschen. Einer dieser Pädagogen ist Michail Georgievsky, der aus Sankt Petersburg stammt. Kleine Erfolge gäbe es schon zu verzeichnen, sagt Georgievsky: "Die meisten russlanddeutschen Jugendlichen schotten sich zum Beispiel nicht mehr von den Altersgenossen anderer Nationalitäten ab, sondern kommen regelmäßig ins Jugendzentrum."

"Man muss die Sache selbst anpacken!"

So wie in Langenfeld laufen bundesweit Hunderte von Integrationsprojekten - speziell für die 2,5 Millionen Spätaussiedler aus Russland und Kasachstan. Um ihre Probleme zu lösen, muss aber noch viel getan werden, sagt Adolf Braun, Vorstand der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V. und Mitglied des Sächsischen Landtages. Er kam in den 1980er-Jahren ebenfalls als Aussiedler in die Bundesrepublik und wird nicht müde, seine Landsleute dazu aufzurufen, ihre Integration in Deutschland selbst aktiv mitzugestalten. Er fordert die jüngere Generation dazu auf, in die Politik zu gehen und in demokratischen Parteien aktiv zu werden. "Das ist der kürzere Weg, als zu sitzen und zu jammern. Man muss die Sache selbst anpacken!" Und genau das sollen auch die jungen Leute in den Integrationsprojekten lernen - so wie in Langenfeld.