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Russland überdenkt seine Politik gegenüber Belarus

23. Februar 2006

Der enge politische Verbündete Lukaschenko ist für Moskau zu einem peinlichen Störfaktor geworden, der Russlands Ansehen im Westen schädigt. Werden die russisch-belarussischen Beziehungen neu justiert?

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Enge Verbündete: Putin und LukaschenkoBild: picture alliance/dpa

Am Anfang seiner politischen Karriere träumte der autoritär regierende Präsident Aleksandr Lukaschenko heimlich davon, seinen Einfluss bis in den Kreml auszudehnen: Die Union mit Russland machte er zu seinem persönlichen Projekt. So drängte er vor zehn Jahren seinen damaligen russischen Amtskollegen Boris Jelzin dazu, einen Unionsvertrag zu unterzeichnen. Ab sofort wurde Lukaschenko im Kreml als gleichberechtigter Partner angesehen, seine Ideen für die gemeinsame Wirtschafts- und Sicherheitspolitik fanden in Russland fruchtbaren Boden.

Unterschiedliche Interessen

Als Wladimir Putin zwei Jahre später an die Macht kam, musste sich der belarussische Präsident von seinem Traum nach und nach trennen. Der Unionsvertrag sei bis heute größtenteils nicht umgesetzt worden, weil die Interessen beider Staatschefs an einem Unionsstaat zu unterschiedlich seien, sagt Rainer Lindner, Osteuropaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: „Putin möchte die Oberhoheit, die Kontrolle über sämtliche Aktivitäten in der eigenen Hand behalten. Für Lukaschenko würde es langfristig bedeuten, seine Macht zu verlieren. Insofern werden die beiden nicht zusammenkommen."

Strategische Partner

Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten seien angespannt, so Lindner. Beide Präsidenten hielten an ihrer Strategie unbeirrt fest. Kürzlich erklärte Lukaschenko im staatlichen Fernsehen sogar, er werde „bis zur letzten Patrone schießen", um seine Macht zu verteidigen. Trotz aller Bedenken gegenüber seinem autoritären Amtskollegen will Putin Belarus als politischen Verbündeten nicht aufgeben. Sergej Karaganow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik unter der Schirmherrschaft von Präsident Putin, beschreibt die russische Haltung so: „Für uns ist Belarus strategisch wichtig, vor allem wegen der Verkehrsverbindungen zum Westen. Momentan sind diese jedoch nicht mehr so zuverlässig. Viele Produkte aus Russland werden an der Grenze auf dubiose Weise beschlagnahmt. Immerhin funktioniert der Gas- und Öl-Transfer problemlos."

Unterstützung durch niedrige Energiepreise

Warum es zu solchen Hindernissen an der Grenze kommt, bleibt für alle Beteiligten ein Rätsel, denn für Lukaschenko ist Russland der wichtigste Handelspartner. Hier kann er zu sehr komfortablen Bedingungen seine Produkte verkaufen, die sonst auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sind. Und nicht zuletzt: Von allen postsowjetischen Staaten zahlt Belarus den geringsten Preis für das russische Erdgas.

Lukaschenkos Gegner sind fest davon überzeugt, dass das autoritäre Regime in Belarus nur durch diesen Preisvorteil so lange bestehen kann. Das meint auch der belarussische Oppositionsführer Aleksandr Milinkewitsch: „Putin unterstützt Lukaschenko vor allem durch den billigen Erdgaspreis. Das ist eine enorme Hilfe in Höhe von drei Milliarden Dollar jährlich. Damit kann der belarussische Präsident soziale Spannungen in seinem Land lösen. Es wirkt wie eine Droge."

Opposition hofft auf russische Unterstützung

Der 57-jährige Milinkewitsch hat sich zum Ziel gesetzt, den letzen Diktator in Europa bei der anstehenden Präsidentschaftswahl abzulösen und Belarus nach Europa zu bringen. Knapp vier Wochen vor der Wahl wirbt er in Russland verstärkt um Hilfe und trifft dabei auf offene Ohren: Innerhalb kurzer Zeit wurde der Oppositionschef zweimal auf höchster Ebene in Moskau empfangen. Milinkewitschs Hoffnung: „Es wäre schön, wenn Russland die demokratischen Prozesse in Belarus unterstützen würde. Wir sind keine Feinde. Wir wollen ein gutes Verhältnis zu Russland aufbauen, ohne dabei unsere Unabhängigkeit zu verlieren. Belarus soll zu einer zuverlässigen Brücke zwischen Ost und West werden."

Distanz zu Lukaschenko?

Ob er auf Russlands Hilfe zählen kann, weiß Lukaschenkos Herausforderer noch nicht. Denn der Kreml ist gerade dabei, seine Politik gegenüber Belarus zu überdenken. Insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahl versuche sich Wladimir Putin von seinem belarussischen Amtskollegen weitgehend zu distanzieren, so der Politikwissenschafter Rainer Lindner: „Putin hat sich nicht direkt zu Lukaschenko bekannt, er ist nicht nach Minsk gereist und wird es sicherlich nicht mehr tun. Andererseits ist Putin auf Belarus als Verbündeter angewiesen, er kann sich eine „orange Revolution" in einem weiteren Nachbarstaat nicht leisten. Moskau sucht nach Wegen, wie man einen anderen Politiker an die Spitze dieses Staates stellen kann, der ebenso nach Russland orientiert, aber leichter zu handhaben ist."

Russlands Politik gegenüber dem autoritär regierenden Nachbarland werde in Zukunft immer mehr von seiner internationalen Rolle abhängen, meint Rainer Lindner: „Russland kann sich im Moment als Vorsitzender der G8 nicht leisten, Lukaschenko öffentlich zu unterstützen. Damit würde es den Widerwillen der westlichen Partner auf sich ziehen."

Enge Bindung soll bleiben

Selbst wenn der belarussische Machthaber die Präsidentschaftswahl gewinnen würde, wäre es sein letzter Sieg, so der Berliner Politologe. Spätestens dann werde sich Russland im Klaren sein, mit wem es künftig zusammenarbeitet. Bis dahin bleibt das kleine Land an der EU-Grenze eine große Herausforderung für die russische Außenpolitik, so Sergej Karaganow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik: „Das Regime in Belarus ist sehr verwundbar. Es ist äußerst gefährlich, die Lage dort zu destabilisieren. Belarus soll Schritt für Schritt in einen demokratischen und marktwirtschaftlichen Staat nach europäischem Muster umgewandelt werden, der trotzdem in Richtung Russland orientiert ist. Am besten gestaltet sich diese Umwandlung mit Russlands Hilfe. "

Olja Melnik

DW-RADIO, 22.2.2006, Fokus Ost-Südost