1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mehr Pressefreiheit?

26. Oktober 2010

Laut "Reporter ohne Grenzen" ist Russland in Sachen Pressefreiheit im internationalen Vergleich von Platz 153 auf 140 aufgestiegen. Doch die regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" sieht keinen Grund zur Freude.

https://p.dw.com/p/Po2z
Menschenrechtsaktivisten bei einer Gedenkveranstaltung für Anna Politkowskaja in Berlin halten ein Plakat von den Reportern ohne Grenzen hoch (Foto: dpa)
Reporter ohne Grenzen bewerten Lage in RusslandBild: picture-alliance/ dpa

Die "Nowaja Gaseta" wird von der staatlichen Medienaufsicht "Roskomnadsor" beobachtet und ist von der Schließung bedroht. Eine erste Verwarnung erhielt die Redaktion bereits vor sechs Monaten, eine zweite könnte zum Entzug der Lizenz führen. Längst ist die Zeitung zum Symbol für investigativen Journalismus in Russland geworden. Ihre Autoren setzen sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit ein. Einige von ihnen haben dies sogar mit ihrem Leben bezahlt, darunter die Journalistin Anna Politkowskaja und die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa.

Eine Titelseite der Nowaja Gaseta (Foto: DW)
Nowaja Gaseta erhielt eine Verwarnung

Im ihrem Artikel "Bande, Agentur, Partei: Wer sind legale Nationalisten?" hatte die "Nowaja Gaseta" über Strukturen und das Treiben von Rechtsextremen im Untergrund berichtet und unter anderem aus deren Webseiten zitiert. Die Beamten von der Staatlichen Medienaufsicht werteten dies als Propaganda von Extremismus und sprachen daraufhin die Verwarnung für die "Nowaja Gaseta" aus.

Laut Gesetz kann die Redaktion dagegen vorgehen, was sie auch tat. Doch das Gericht bestätigte in erster Instanz die Verwarnung der Medienaufsichtsbehörde. Das hält der Chefredakteur der "Nowaja Gaseta", Dmitrij Muratow, für absurd: "Wir haben in der Zeitung Faschisten nur zitiert. Die Verwarnung bekamen aber wir und nicht die Faschisten. Das ist unfassbar!"

Journalisten hoffen auf faire Prüfung

Eine Aufhebung der Verwarnung sei noch möglich, betonte der ehemalige Leiter des russischen Journalistenverbandes, Michail Fedotow, der seit dem 12. Oktober den Menschenrechtsrat beim Präsidenten leitet. Dieser berät das Staatsoberhaupt in Fragen der Förderung zivilgesellschaftlicher Institute und der Menschenrechte. Fedotow hatte das Amt von der Menschenrechtlerin Ella Pamfilowa übernommen, die aus Protest gegen die Ausweitung der Vollmachten des russischen Geheimdienstes FSB Ende Juli 2010 zurückgetreten war.

Portrait von Michail Fedotow (Foto: AP)
Michail Fedotow verweist auf höhere InstanzenBild: AP

Fedotow betonte, die "Nowaja Gaseta" könne noch vor zwei höhere Gerichtsinstanzen ziehen. Beispielsweise habe das Oberste Gericht klar definiert, was als Missbrauch der Medienfreiheit zu werten sei. Es habe darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung solcher Fälle nicht nur Wörter und Zitate in Artikeln, sondern auch der Gesamtkontext sowie das Genre berücksichtigt werden müssten.

Dass dies auch geschieht, hoffen die Journalisten von der "Nowaja Gaseta". Unterdessen setzen sie ihre Arbeit wie gewohnt fort. Für den stellvertretenden Chefredakteur Sergej Sokolow gehören Streit mit Behörden und Gerichten inzwischen zum Alltag von Journalisten: "Wir haben uns bisher gewehrt, sind vor Gericht gezogen, haben uns aber nie der Selbstzensur unterworfen und werden dies auch nie tun."

Keine Verbesserung in Sachen Pressefreiheit

Portrait von Sergej Sokolow (Foto: DW)
Sergej Sokolow sieht keine deutliche VerbesserungBild: Sergej Morozow

"Russland wäre im diesjährigen Ranking der 'Reporter ohne Grenzen' zur Pressefreiheit weltweit nicht um 13 Plätze aufgestiegen, wenn sich diese Geschichte mit der 'Nowaja Gaseta' früher ereignet hätte", vermutet Fedotow. Auch Sokolow sieht in Russland keine deutliche Verbesserung in Sachen Pressefreiheit. "Nicht Russland hat sich verbessert, sondern die Länder haben sich verschlechtert, die wir überholt haben", sagte scherzhaft der stellvertretende Chefredakteur der "Nowaja Gaseta".

Sokolow glaubt, bestimmte Mitarbeiter der Medienaufsichtsbehörde "Roskomnadsor" seien so eifrig, nur um sich beruflich zu profilieren. Er schließt allerdings nicht aus, dass sie auch von höherer Stelle angewiesen werden, solche Fälle wie mit der "Nowaja Gaseta" einfach zu fabrizieren, um Journalisten und Medien unter Druck zu setzen.

Autor: Jegor Winogradow / Artjom Maksimenko
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Gero Rueter