Russland und die syrische Opposition bleiben sich fremd
12. Juli 2012Annäherung sieht anders aus: Das Treffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit Abdelbasset Sida, dem Vorsitzenden des syrischen Nationalrats (SNC), war nicht viel mehr als ein mehr oder weniger freundlicher Meinungsaustausch. Russland steht auch weiter klar an der Seite von Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Der Umstand, dass Russland sich überhaupt zu direkten Gesprächen mit der syrischen Opposition bereit fand, sandte längst nicht jenes starke Signal aus, von dem vor dem Treffen gesprochen worden war.
Forderung nach sofortigem Rücktritt Assads
Damit aber habe sich das Land nicht nur von der Position des Syrischen Nationalrates, sondern von der der gesamten syrischen Opposition entfernt, erklärt Ferhad Ahma, Mitglied des Syrischen Nationalrats in Deutschland. Sämtliche Oppositionsgruppen, sagte er im Gespräch mit der DW, verträten die Ansicht, dass der Zeitpunkt für eine Beteiligung Baschar al-Assads an einer Übergangsregierung längst überschritten sei. Assad habe weder die Vermittlungsversuche der Internationalen Gemeinschaft akzeptiert noch einen eigenen Plan vorgelegt. "Darum ist er verantwortlich für das, was das Land seit anderthalb Jahren erlebt. Und darum wird die Forderung nach seinem Rücktritt mittlerweile von allen Oppositionsgruppen vertreten."
Grundsätzlich aber verweigere sich die syrische Opposition Gesprächen mit Assad auch weiterhin nicht. Sie sei nach wie vor dazu bereit – allerdings unter einer Voraussetzung: "Das Ziel muss ganz klar ein Regimewechsel sein. Baschar Al-Assad und seine engsten Mitstreiter müssen zurücktreten, das Land verlassen und es der syrischen Bevölkerung ermöglichen, ihre Zukunft selbst zu gestalten."
Russlands Interessen in Syrien
Mit dieser Haltung stieß der SNC in Moskau auf erheblichen Widerstand. Warum aber tut sich Russland so schwer damit, sich von Assad zu trennen? Regina Heller ist wissenschaftliche Referentin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Natürlich, erklärt Heller, verfolge Russland in Syrien seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen. So sei Syrien unter Assad ein wichtiger Kunde russischer Waffenlieferungen. Auch habe Russland massiv in die syrische Wirtschaft investiert, etwa in die syrische Energieförderung. Diesen Markt wolle sich der Kreml erhalten – auch wenn es keineswegs sicher sei, dass mit einem Regimewechsel in Damaskus alle russisch-syrischen Geschäfte beendet wären. Die Investitionen in den Energiesektor etwa könnten auch nach einer möglichen Abdankung Assads weiterlaufen.
Allerdings, erläutert Heller im Gespräch mit der DW, bewerte Russland die Situation in Syrien auch politisch ganz anders als der Westen. "Ich denke, dass Russland eine substanziell andere Haltung vertritt, nämlich dass die Androhung von Sanktionen, wie sie der Westen vorschlägt, nicht als konstruktiv eingeschätzt wird. Russland ist sehr stark daran interessiert, durch Vermittlung und Diplomatie den Druck, den der Westen ausüben will, zurückzuschrauben und auf diese Art und Weise dazu beizutragen, Bewegung in die Dinge zu bekommen."
Noch ein weiterer Grund halte Russland aber davon ab, auf Distanz zu Assad zu gehen: dass man nicht wisse, wer ihm folgen werde. Russland nehme sehr genau wahr, wie heterogen die syrische Opposition sei, wie verschieden die Ziele und Absichten der einzelnen Gruppen seien. "Abgesehen vom Sturz des Assad-Regimes sind die Ziele doch sehr unterschiedlich. Ich denke, die Diplomaten in Moskau sind sehr vorsichtig, das als einheitliche Revolutionsbewegung zu bezeichnen."
Syrische Diplomaten rücken von Assad ab
Dennoch bedauert Ferhad Ahma, dass die Gespräche in Russland keine Annäherung gebracht haben. Der SNC habe Russland dazu bewegen wollen, die Waffenlieferungen umgehend einzustellen und auch die bereits unterzeichneten Verträge nicht zu erfüllen. Denn damit trage Russland dazu bei, dass das Regime die russischen Waffen gegen die eigene Bevölkerung einsetze. Somit liege die Verantwortung für die weitere Entwicklung in Syrien in Russland - aber nicht nur dort. "Wenn die Internationale Gemeinschaft entschlossen auftritt, inklusive Russland vor allem, dann wird es auch nicht mehr lange dauern bis das Regime umkippt und ein Wandel in Syrien stattfindet."
Als Umstand, der diesen Wandel beschleunigen könnte, wertet die Opposition auch den Schritt des syrischen Botschafters im Irak. Nawaf Fares hatte sich von der der Regierung Assad losgesagt und erklärt, er sei der Opposition beigetreten. Der Schritt stimmt diese umso zuversichtlicher, als noch andere Diplomaten ihn tun wollten, wie Ahma erklärte. Viele Diplomaten könnten sich diesen Schritt aber nicht erlauben. "Ihre Angehörigen werden in Syrien als Geiseln gehalten. Familienangehörige der Botschafter wurden bereits vor mehreren Monaten nach Syrien einbestellt, so dass die Diplomaten außerhalb Syriens es so lange nicht wagen werden, sich vom Regime loszusagen, wie sie ihre Familien nicht in Sicherheit gebracht haben."
Zeitenwende der russischen Nahost-Politik
Dass Nawaf Fares sich von seinem bisherigen Dienstherrn losgesagt hat, ist ein alarmierendes Zeichen für Assad – und ebenso für seine Verbündeten. Umso erstaunlicher ist die Entschlossenheit Moskaus, weiterhin an Assads Seite zu stehen. Russland verfüge allerdings längst nicht mehr über die Gestaltungsmöglichkeiten, die es vor 20 oder 25 Jahren in der Region hatte, erklärt Regina Heller. Darum sei es nicht ausgeschlossen, dass Moskau bald ein neues Verhältnis zu den Staaten des Nahen Ostens entwickelt. "Es ist Zeit für Russland, sich von alten Großmachtinsignien zu trennen. Und dazu gehört eben dieses Denken in alten Einflussgebieten - alte Einflussgebiete bewahren, alte Beziehungsmuster aufrechterhalten. Es ist an der Zeit, eine neue und konstruktive Rolle in der Region zu finden."