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"Russland geht es um Sicherheit in Nahost"

Kersten Knipp7. Oktober 2015

Russland interveniert militärisch in Syrien - angeblich, um gegen die Terrormiliz IS vorzugehen. Doch Moskaus Luftwaffe bombardiert auch die syrischen Rebellen. Putins Ziele erklärt Russlandexperte Stefan Meister.

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Ein russisches Kampfflug startet von der Militärbasis Hmeimim in Syrien, 03.10.15 (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Kots

Deutsche Welle: Herr Meister, seit einigen Tagen fliegt die russische Luftwaffe Angriffe in Syrien. Welches Interesse verfolgt Moskau in dem Land?

Stefan Meister: Der syrische Präsident Baschar al-Assad ist einer der wichtigsten russischen Verbündeten in der Region. Assad steht unter dem Druck einer gesellschaftlichen Bewegung, die Putin als einen vom Westen unterstützten Aufstand sieht. Genau diese Form eines von außen herbeigeführten Regimewechsels lehnt Putin ab, da er für sich auch darin eine Gefahr sieht.

Putin begründet seine Intervention mit dem Hinweis, Assad sei der legitime Präsident Syriens. Für wie aufrichtig halten Sie dieses Argument?

Auf jeden Fall entspricht es der gesamten außenpolitischen Strategie Moskaus. Die russische Elite ist der Ansicht, der Westen habe autoritäre und aus russischer Perspektive legitime Regime oder Regierungen gestürzt und das derzeitige Chaos im Nahen Osten dadurch verursacht. Ich halte das für eine echte Überzeugung dieser Elite.

Damit gehen auch entsprechende Sicherheitsüberlegungen einher. Das hat aus russischer Perspektive in erster Linie mit der Nahost-Politik der USA zu tun: die Destabilisierung in Libyen, im Irak, in Afghanistan und auch das Aufkommen des "Islamischen Staats" (IS). Das ist aus russischer Sicht eine Folge der Destabilisierungspolitik gegenüber "legitim" gewählten Regimen mit dem Ziel eines Regimewechsels.

Nun argumentieren Politiker im Westen oft, Russland halte seine Hand über Assad und verlängere den Krieg in Syrien auf diese Weise.

Die russische Unterstützung für Assad hat dazu geführt, dass er politisch länger überlebt hat, mit der Folge, dass der Konflikt weitergeht. Ob ohne den Krieg der IS nicht entstanden wäre, ist noch einmal eine andere Frage. Ich denke schon, dass die USA im Nahen Osten ein Vakuum geschaffen haben, Stichwort Libyen, Irak. Dort hat Washington mit seinen Verbündeten interveniert und ist dann zu früh rausgegangen, ohne neue Strukturen aufzubauen. In Syrien haben sich die USA darauf beschränkt, bestimmte Gruppen zu unterstützen. Und eben dieses Vakuum versucht Russland nun zu füllen.

Russlandexperte Stefan Meister (Foto: ECFR)
Russlandexperte Stefan MeisterBild: ECFR

Aber man kann wohl nicht sagen, dass die derzeitige Lage nicht entstanden wäre, wenn Russland Assad nicht unterstützt hätte. Dann wären womöglich weniger Menschen gestorben, dann hätte das Regime auch nicht diese brutale Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung betrieben. Aber der Staat Syrien wäre trotzdem zusammengebrochen. Denn Syrien als Staat existiert im Grunde ja nicht mehr. Dieses Vakuum wäre vielleicht dann durch andere Akteure, etwa den Iran, gefüllt worden.

Wenn wir über Syrien hinausschauen: Was ist denn die übergeordnete russische Strategie im Nahen Osten?

Putin ist aus zwei Gründen in Syrien aktiv geworden. Einmal versucht Putin auf diese Weise, aus der Isolation gegenüber dem Westen herauszukommen, in die er durch die Ukraine-Krise geraten ist. Russland möchte von den USA als wichtige internationale Macht anerkannt werden. Und Putin hat verstanden, dass das nicht durch sein Agieren in der Ukraine möglich ist, sondern in jener Region, die für die Amerikaner wirklich relevant ist - und das ist der Nahe Osten.

Den zweiten Grund habe ich bereits angedeutet: Russland versucht die Lücke zu füllen, die die US-Amerikaner hinterlassen haben. Bisher hat Moskau vor allem zu verhindern versucht, dass die USA im postsowjetischen Raum an Einfluss gewinnen, jetzt ist es sogar dazu bereit, außerhalb dieser Region militärisch in das Vakuum zu gehen, das Washington hinterlassen hat.

Dadurch will Russland auch sein eigenes Modell der internationalen Beziehungen und Stabilisierungspolitik demonstrieren. Während die USA Demokratiebewegungen unterstützen, so etwa die des "Arabischen Frühlings", wollen die Russen nur jene legitim gewählten Regierungen mittragen, die aus ihrer Sicht Sicherheit garantieren können. Und diese Regierungen müssen aus russischer Sicht unterstützt werden, koste es, was es wolle.

Mutmaßlicher russischer Luftangriff auf die Stadt Talbisseh in der Provinz Homs, Sept. 2015 (Foto: AFP/Getty Images)
Mutmaßlicher russischer Luftangriff auf die Stadt Talbisseh in der Provinz HomsBild: Getty Images/AFP/M. Taha

Damit geht es natürlich auch um Putin selbst, um sein eigenes Regime, das sich in dem von Assad in gewisser Weise auch spiegelt. Das Kalkül dahinter: Wenn er Assad nicht hilft, kann auch er selbst irgendwann an der Reihe sein und stürzen. Letztlich geht es um ein Modell internationaler Beziehungen: Geht man Kooperationen nur mit einem Staat ein, ganz unabhängig davon, ob er autoritär ist oder nicht? Oder auch mit demokratischen Bewegungen, wie wir sie definieren, die es zu unterstützen gilt, um letztlich andere Staaten und Regime zu kreieren?

Droht sich Russland mit dem Einsatz in Syrien und seiner anvisierten Rolle in der Region zu übernehmen?

Ich halte die russische Strategie für sehr riskant. Denn Putin begibt sich in einen Konflikt, den weder die Amerikaner noch die EU zusammen in den Griff bekommen haben. Russland hat seinen Einsatz sowohl zeitlich wie auch in der Wahl der militärischen Mittel begrenzt. Aber wenn man sich einmal in dieser Region befindet, dann ergeben sich Herausforderungen an vielen anderen Stellen. Was passiert, wenn die russische Militärbasis durch Terroristen angegriffen wird?

Eine weitere Frage wäre, ob Russland hinreichend militärische Fähigkeiten hat, um in dem Konflikt auf Dauer präsent zu sein. Können sie die entsprechenden Kosten tragen? Ich bin da sehr skeptisch. Ich bin nicht sicher, ob Russland in dieser Hinsicht ein Konzept hat. Jedoch ist es beeindruckend, dass sie inzwischen wieder die militärische Kapazität haben, um solche Einsätze zumindest für eine kurze Zeit zu organisieren.

Welche Rolle spielt in dieser Hinsicht der Dschihadismus von Gruppen wie dem IS, den Russland in Syrien ja auch bekämpft?

Ich würde die Bedeutung des Dschihadismus für die russische Strategie nicht unterschätzen. Aber ich halte ihn nicht für den zentralen Grund. Die bereits genannten Punkte halte ich für erheblich wichtiger. Aus Russland wie auch anderen postsowjetischen Staaten kommen sehr viele derer, die in den Reihen des IS kämpfen. Allein aus Russland sollen 5000 Personen kommen und davon 3000 aus dem russischen Kaukasus.

Die Russen wie auch die Politiker der ehemals sowjetischen Staaten, die sich oft durch schwache Staatlichkeit auszeichnen, haben die Sorge, dass diese Kämpfer zurückkommen und ihre Staaten destabilisieren und dort Terrorattacken ausführen könnten. Und darum sagt man im russischen Generalstab, man wolle die eigenen Bürger lieber in Syrien und im Irak töten, bevor sie zurückkommen und dort zuschlagen. Insgesamt ist die Bekämpfung des Dschihadismus sicher ein wichtiges, aber nicht das zentrale Motiv.

Der Politikwissenschaftler Stefan Meister ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Programmleiter für Russland, Osteuropa und Zentralasien und unter anderem auf Russische Außen- und Sicherheitspolitik spezialisiert.

Das Interview führte Kersten Knipp.