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Kein Oscar für russischen Trickfilm

Philipp Anft27. Februar 2016

Zwei Kosmonauten und ihre Liebe zum All: Darum geht es in "We Can't Live Without Cosmos". Der russische Kurzfilm von Konstantin Bronzit ging als Underdog ins Rennen um die Oscars - und bekam keinen.

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Filmstill aus "We Can't Live Without Cosmos" zeigt zwei Kosmonauten in Raumanzügen (Foto: Melnitsa Animation)
Bild: Melnitsa Animation

Es sind schnelle, routinierte Striche mit denen Konstantin Bronzit seine zwei Helden auf dünnes Transparentpapier zeichnet. Zwei Köpfe, einer eckig, einer rund, dazu ein breiter Körper. Auf dem beleuchteten Zeichenpult liegen viele Lagen Papier. Nur in kleinen Details unterscheiden sich die Zeichnungen darauf. Schnelles Blättern erweckt die Figuren zum Leben: Plötzlich bewegt sich ein Arm, Gesichtszüge verändern sich. Einfache Strichmännchen bekommen Gefühle und Persönlichkeiten.

Von dieser Magie ist Bronzit fasziniert, seit er denken kann. "Schon früher in der Schule, wenn alle draußen Fußball gespielt haben, war ich drinnen und habe Daumenkinos gezeichnet", erzählt der 50-Jährige mit dem rasierten Kopf und dem kleinen Ring im linken Ohr der DW. "Ich hatte gar keine Wahl. Es war, als ob jemand von oben gesagt hätte: Werde Trickfilmer! Und so bin ich halt einer geworden!"

Vier Jahre Arbeit für einen Geistesblitz

Die beiden grinsenden Figuren auf dem Zeichenpult könnten eine neue Phase in Konstantin Bronzits Leben einläuten. Denn für seinen Film "We Can't Live Without Cosmos" ist der Petersburger nun für den Oscar nominiert, in der Kategorie "Bester animierter Kurzfilm". Der Streifen zeigt das Leben von zwei befreundeten Kosmonauten. Gemeinsam bewältigen sie die Prüfungen im Trainingscamp, sie teilen sich ein Zimmer und schlafen zusammen ein. Der Zeichenstil ist schlicht – nicht abstrakt oder experimentell – erinnert an einen simplen Cartoon für Kinder. Auch Bronzits Humor ist kindlich, manchmal fast albern. Dennoch gelingt es dem Regisseur, ernste Töne anzuschlagen – mit einer ganz eigenen Tragik. Denn: In der Rakete ist nur Platz für einen.

Russischer Trickfilmer Konstantin Bronzit in seinem Studio (Foto: DW)
Zum zweiten Mal ist ein Film von Trickfilmer Konstantin Bronzit für den Oscar nominiertBild: DW
Zeichnung einer Figur im Comic-Stil (Foto: DW)
Echte Handarbeit – jedes Bild wird von Hand gezeichnetBild: DW

Vier Jahre hat Bronzit an seinem Kurzfilm gearbeitet. Angefangen habe alles mit einer Eingebung im Schlaf. "Ich habe im Traum ein Bild gesehen. Ich will es nicht mystisch nennen, aber es war rätselhaft. Ich bin aufgewacht – und innerhalb von fünf Minuten hatte ich die komplette Geschichte". Wenn Bronzit am 29. Februar aufwacht, wird er wissen, ob er für seinen Geistesblitz den begehrtesten Filmpreis der Welt bekommen hat. Aber was verändert der Oscar für einen Trickfilmer? "Gar nicht viel", meint er lachend. "Für Schauspieler in Hollywood wird durch einen Oscar alles anders: Sie werden bekannter, ihre Gagen steigen. Bei einem Trickfilmer ist das nicht so. Das hat einfach mit dem Job zu tun."

Nominierung für eine verliebte Klofrau

Trotzdem bedeutet ihm der Preis viel– schon die Nominierung sieht Bronzit als Bestätigung für seine Arbeit. Vor allem, weil es schon seine zweite ist. Im Jahr 2009 war Bronzit bereits für seinen Kurzfilm "Lavatory Lovestory" nominiert. Der Film erzählt liebevoll von einer einsamen Klofrau und ihrer Suche nach einem mysteriösen Verehrer. Fast komplett in Schwarz-weiß und mit simplen Strichen gezeichnet, begeisterte der Film damals zwar die Kritiker, der Oscar aber ging an einen japanischen Kurzfilm.

Filmstill aus "Lavatory Lovestory" zeigt eine Klofrau (Foto: Melnitsa Animation)
2009 war bereits Bronzits Film "Lavatory Lovestory" für den Oscar nominiert – eine Romanze über eine KlofrauBild: Melnitsa Animation

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Bronzit in Russland schon einen Namen gemacht. Er leitet das Trickfilmstudio Melnitsa Animation, mit 250 Mitarbeitern eines der größten in Russland. Die hier gezeichneten Trickfilme sind erfolgreich, zum Teil echte Kassenschlager. Selbstverständlich ist das nicht. Denn im Kino müssen sie gegen die Hochglanzproduktionen aus den USA bestehen. Riesige Firmen wie die Disney-Tochter Pixar beherrschen den Markt für Animationsfilme: mit weit über tausend Mitarbeitern, der besten Technologie und den größten Budgets. Der internationale Wettbewerb ist für Bronzit deshalb ein bisschen wie der Kampf von David gegen Goliath. "Solche Unternehmen haben für jeden einzelnen Arbeitsschritt die besten Künstler, die besten Techniker der Welt. Da müssten die sich schon ziemlich dumm anstellen, um keine guten Filme zu machen. Für uns ist es schwierig, da mitzuhalten."

Sowjetische Zeichentrick-Parallelwelt

So geht Bronzit als Underdog ins Oscar-Rennen. Und das, obwohl Trickfilm in Russland keineswegs eine Randerscheinung ist. Vor allem in der Sowjetunion der 1960er und 1970er Jahre entstand eine wahre Zeichentrick-Parallelwelt zum westlichen Disney-Universum. Statt Mickey Mouse und Donald Duck, beherrschten hier zum Beispiel das plüschige Tscheburaschka und Krokodil Gena die Kinderzimmer. Bis heute haben viele dieser Figuren in den ehemaligen Sowjetstaaten Kultstatus.

"Natürlich bin ich von dieser Tradition geprägt", erzählt Bronzit. "Aber oft stört mich der Angang vieler sowjetischer Trickfilme. Sie sind immer belehrend, schreiben Kindern vor, was sie zu tun haben." Mit diesem pädagogischen Ansatz will Bronzit nichts zu tun haben. Das Thema Raumfahrt steht bei Bronzit deshalb auch nicht für Nationalstolz und Heroismus, wie es bis heute in Russland häufig der Fall ist. Stattdessen erzählt "We Can't Live Without Cosmos" eine Geschichte über Freundschaft, Verlust und den ewigen Traum vom Fliegen. Eine Geschichte, die dem russischen Trickfilm den langersehnten Oscar hätte einbringen können, jedoch bei der Verleihung leer ausging.

Filmstill aus "We Can't Live Without Cosmos" zeigt zwei befreundete Kosmonauten in Rückenansicht, die eine Rakete betrachten (Foto: Melnitsa Animation)
Tragisch: In der Rakete ist leider nur Platz für einen KosmonautenBild: Melnitsa Animation